Eine Reise durch den US-amerikanischen Bible Belt

Welcome to Smalltown America

Auf einer politischen Karte der USA verläuft ein rotes L vom Süden entlang bis ­hinauf an die kanadische Grenze. Es markiert republikanische Bundesstaaten, das konservative Zentrum des Landes. Obwohl der Wahlkampf in den USA schon so gut wie entschieden zu sein scheint und alle Umfragen für den demokratischen Kandidaten Barack Obama sprechen, ist die Verteilung der Stimmen längst nicht so eindeutig. Im Gegenteil, in vielen Staaten hat Obama nicht den Hauch einer Chance gegen seinen republikanischen Konkurrenten John McCain.

Der Übergang aus dem Norden zu den Südstaaten der USA verläuft schleichend. Allmählich sieht man häufiger Kirchen und ihre ominösen Werbeschilder am Rand der Highways: »Du nennst es Abtreibung – GOTT nennt es Mord!!« Aus den Bäumen wächst langsam das Spanish moss, eine Art Moos, das die Trägheit und feuchte Schwüle des Südens symbolisiert wie kaum eine andere Pflanze. Im so genannten Bible Belt sprechen die Menschen langsamer, gedehnter. Man ist gastfreundlich und zuvorkommend, aber gleichzeitig von einem tief sitzenden Argwohn, der deutlich macht, dass man abends an der Bar besser nicht den falschen Scherz machen sollte. Man kann von der Straße aus sehen, dass die meisten Menschen hier nicht viel Geld haben, außer den großen Handelsketten gibt es fast keine Geschäfte mehr, die Innen­städte sind ausgestorben, und die meisten Häuser könnten einen neuen Anstrich vertragen, oder gleich eine Grundrenovierung. Konföderiertenflaggen hängen neben der Wäsche auf den Veranden. Es scheint, als sei die Niederlage im Bürgerkrieg noch immer in den Köpfen präsent. Es ist ein Teil von Amerika, der vielen Amerikanern selbst merkwürdig erscheint und von dem in den Cafés in Brooklyn oder Berkeley abfällig und mit diffuser Furcht gesprochen wird, voll von Orten, die man höchstens auf dem Weg von Küste zu Küste eilig durchquert.

Dothan, Alabama, ist so ein Ort im Herzen des Bible Belt. Fast 50 Kirchen hat die Kleinstadt, die meisten zählen zur Southern Baptist Church. Der Ort ist einst als Austauschstelle für Maultiere auf dem langen Weg an den Golf von Mexiko entstanden, stolz verweist eine Tafel auf die Ursprünge der Stadt. Den kleinsten Häuserblock der Welt gibt es hier, sonst nicht viel Erwähnenswertes. In Dothan hat man sich deshalb selbst zur Erdnusshauptstadt der Welt gekürt und eine jährliche Parade erfunden. Es sind Städtchen wie Dothan, die noch die im Wahlkampf viel zitierte »Main Street« haben, damit sind die kleinen Leute gemeint, die unter dem Versagen der Wall Street zu leiden haben. Dabei hat auch hier längst eine Umgehungsstraße mit ihren Shopping Malls die Menschen von der Main Street weggezogen. Wer hier lebt, bekennt sich offen zu seiner Bibeltreue und seinem Patriotismus. Politik ist hier keine Frage des Entweder-Oder, Republikaner zu sein, ist für viele Leute hier eine Selbstverständlichkeit
»Dass jemand mit dem Namen Barack Obama überhaupt antreten darf, ist mir ein Rätsel. Im Ernst, ein Osama Hussein hat unser Land angegriffen, und dann sollen wir jemanden wählen, der genau so heißt?« Jack Riley schüttelt fassungslos den Kopf. »Der hieß Osama bin Laden«, wendet seine Frau Donna leise ein. Aber Jack ist von seiner Meinung nicht abzubringen. Er zeigt eine tief sitzende Skepsis gegenüber allem, was er als fremd empfindet. Die beiden wohnen seit ihrer Geburt in Alabama. Sie sind aufrechte Republikaner, George-W.-Bush-Unterstützer der ersten Stunde, noch heute hängt das Wahlbanner der letzten Kampagne von Bush und Dick Cheney über ihrem Sofa. Dass ihr Präsident wegen seiner Militärpolitik in Europa auf keine große Gegenliebe stößt, können sie nicht nachvollziehen. »Das muss man doch verstehen«, sagt Jack, »Bush war gerade zehn Monate im Amt gewesen, als die Türme attackiert wurden. Er hatte sich gerade erst warm gelaufen, da hatte er wirklich anderes im Kopf als Europa.« Die beiden bekommen ihre Informationen ausschließlich von FoxNews, dem rechtskonservativen Sender, dem weite Teile der amerikanischen Medienlandschaft gehören. »Den ganzen liberalen Medien kann man nicht trauen, Fox sind die einzigen, die objektive Berichterstattung machen. Mit gesundem Menschenverstand.« Der zählt hier im tiefsten Süden ohnehin mehr als viele andere Dinge. Auf dem obersten Platz auf der Werteskala steht hier die Familie, dann kommen die Gemeinde und eine ehrliche Arbeit. Auch ein »aufrechter Amerikaner« und Patriot zu sein, sind ganz wichtige Werte hier. Europa liegt weit entfernt, fast so weit wie New York oder Kalifornien, Bundesstaaten, die man hier grundsätzlich als eine fremde Welt empfindet. Hier wird der Alltag durch klare, strukturierte Regeln und Abläufe definiert. Der Samstag ist für Footballspiele reserviert, der Sonntag gehört der Kirche, morgens und abends.
Jack arbeitet im Atomkraftwerk, neben der Airforce einer der größten Arbeitgeber im Landkreis Dothan. Er fährt wie seine Frau einen riesigen weißen SUV, der Schwiegervater hat früher bei General Motors gearbeitet. Wenn an der Ampel neben ihm Rapmusik aus einem Auto zu hören ist, dreht er Metallica auf volle Lautstärke, denn Rap und HipHop hören die Schwarzen, und Jack ist weiß. Vor dem Fernseher, beim Footballgucken, rutscht Jack, der sonst vor seinen Kindern vollkommen auf Flüche verzichtet, schon mal das Wort »Coon« heraus, wenn LSU spielt, ein Team aus Baton Rouge, das viele schwarze Spieler hat. Das N-Wort sagt man selbst hier höchstens noch hinter verschlossenen Türen, aber »Coon« ist eine ähnlich abwertende rassistische Beleidigung.

Die Menschen in Dothan sind sehr gastfreundlich, die Türen stehen tatsächlich immer offen, wie es dem Süden sprichwörtlich nachgesagt wird. Am Samstag werden riesige Berge Chicken Wings und Chips vorbereitet, falls Freunde oder Nachbarn zum Footballgucken vorbeikommen. Einen Barack Obama als Präsidenten kann und will man sich hier nicht vorstellen. Sarah Palin ist dagegen sehr populär. »Sie ist wie die Leute in Alabama«, sagt Jack. »Huntin’, fishin’, that’s right up our alley.« Genau unsere Kragenweite, würde man auf Deutsch sagen. Nur dass es die amerikanische Formulierung noch besser trifft: Sie ist eine von uns, die könnte hier in der Nachbarschaft leben. Genau dieses Image fehlt dem smarten Obama, und genau das könnte ihn nächste Woche bei den Wahlen noch scheitern lassen. Denn trotz seiner Bemühungen, beim kleinen Mann anzukommen, wird er kein »Typ von nebenan« mehr werden, den die Bewohner eines Südstaats zum Grillen einladen würden. Und das hat bei weitem nicht nur mit seiner Hautfarbe zu tun. Bill Clinton wurde als solch ein Typ empfunden, George W. Bushs Qualitäten beschränkten sich fast ausschließlich darauf, »einer von uns« zu sein. Aber Obama muss hart für die Anerkennung dieser weißen Mittelschicht kämpfen, die einen nicht zu unterschätzenden Teil der US-amerikanischen Wählerschaft ausmacht. Die Menschen in Alabama sagen genau die Sachen, über die im liberalen Amerika gescherzt wird und die für Europäer so schwer nachzuvollziehen sind. Aber sie sagen sie aus vollem Herzen und mit tiefster Überzeugung. Hier wird mindestens ebenso inbrünstig an die konservativen Ideale geglaubt, wie die Demokraten an ihre Leitbegriffe »Change« und »Hope« glauben. Wer das unterschätzt, dürfte diese Wahlen nicht gewinnen können.
Wenn man von Alabama nach Westen fährt, über den breiten braunen Mississippi, durch Baumwollfelder und ehemalige Plantagen, kommt nach den Hügeln der Ozark Mountains irgendwann das flache Land von Oklahoma. Zwischen Texas und Kansas gibt es hier Weideland, Weizenfelder und ein paar Ölbohrtürme. Hier schlägt das republikanische Herz der USA. John McCain lag hier eine Woche vor den Wahlen mit 23,8 Prozentpunkten in Führung, so deutlich wie in keinem anderen Staat. Der letzte demokratische Präsidentschaftskandidat, der in Oklahoma die Wahlen gewinnen konnte, war Lyndon B. Johnson. Das war 1964, kurz nachdem sein Vorgänger John F. Kennedy erschossen worden war.
In den Vorgärten sieht man kaum ein Schild für Obama, dafür stehen in den Einfahrten Pickups, in denen noch Gewehrhalterungen hinter den Sitzen befestigt sind. In Oklahoma ist es nicht verboten, eine Waffe bei sich zu tragen, vor Postämtern und Banken wird deshalb eigens darauf hingewiesen, seine Waffen bitte vor der Tür abzugeben. Das Recht, Waffen zu tragen, sehen die Menschen hier als eine Art Menschenrecht an. Wer sich selbst verteidigen kann, der braucht den Staat nicht dafür. Die Argumentation ist eindeutig und spiegelt eine politische Einstellung wider, die bis auf den Wilden Westen zurückgeht. Der amerikanische Traum bedeutet hier: Jeder ist seines Glückes Schmied. Es bedeutet auch: Wer zu schwach ist, bleibt zurück.

Robert Wesley hat sein Glück ganz sicher selbst in die Hand genommen. Aufgewachsen in Los Angeles, als Mitglied einer Streetgang und ohne Schulabschluss sah seine Zukunft nicht rosig aus. Bis er seine Frau Sharon kennen lernte. Sie zogen nach Oklahoma auf der Suche nach einem besseren Leben in der Kleinstadt Sallisaw am Fuß der Ozarks. 25 Jahre später ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann und Hausbesitzer, er hat den Weg vom Tellerwäscher zum reichen Unternehmer selbst beschritten. »Denkst du, ich hätte Hilfe angenommen? Guck dich um, das hab’ ich mir selbst erarbeitet«, sagt der stämmige Mann mit dem langen Haar und dem Schnurrbart und deutet auf sein Haus, seine Autos, seine Harley Davidson. Er ist selbst ein Viertel-Cherokee, hält aber alle Indianer für faul und gierig, weil sie die staatlichen Subventionsprogramme nutzen. Im Selbstverständnis des republikanischen Amerika soll sich der Staat, soweit es nur irgendwie geht, aus dem Privatleben heraushalten. Das fängt bei der Anschnallpflicht an und hört bei Steuern und sozialen Regierungsprogrammen auf.
Im mittleren Westen trifft die Wirtschaftskrise die Amerikaner härter als an den Küsten. In jeder Kleinstadt sieht man leer stehende Tankstellen und Fabriken. Die Industrie hält sich in überschau­baren Grenzen, Unternehmen werden ausgelagert. In Sallisaw gab es einen großen Hersteller von Autoteilen, mittlerweile stehen in zwei der drei Hallen die Maschinen still, die Produktion ist zum größten Teil nach Ithaca, New York, verlagert worden.
Sharon arbeitet in der Verwaltung. In ihren Büroräumen ist nicht einmal die Hälfte der kleinen Kabinen besetzt, sie sorgt sich um ihren Job, wie viele andere auch. Wer die Verantwortung für die gegenwärtige Wirtschaftskrise trägt, ist für sie klar: »Die Demokraten stellen die Mehrheit im Senat, aber unsere liberalen Medien machen natürlich Bush für die Krise verantwortlich.« »Our liberal media«, das hört man hier oft, »unsere«, sagen sie, wie zu einem ungezogenen Sohn, dem man zu viele Freiheiten gelassen hat. So genau kann sie keiner benennen, die liberalen Medien, auch Sharon nicht. Auf den amtierenden Präsidenten lässt sie aber nichts kommen. »Ich liebe unseren Präsidenten«, sagt sie. »George W. Bush ist ein Mann, der genau das hält, was er versprochen hat. Der redet nicht um den heißen Brei herum, genau wie McCain.« Aus dem Hintergrund brummt Robert, dass McCain ihm ja eigentlich einen Tick zu liberal sei. Die Antworten auf komplexe außenpolitische Fragen sind für ihn recht einfach: »Wer die USA bedroht, dem treten wir in den Hintern. Und Obama, der Idiot, will sich tatsächlich mit Terroristen an einen Tisch setzen.« Dialogbereitschaft in politischen Fragen wird hier immer noch als Schwäche interpretiert, und die kann man Bush nicht gerade nachsagen. »Ich hoffe, die Geschichte wird zeigen, dass Bush einer unserer besten Präsidenten war.« Widersprüche, die nicht ins Weltbild passen, werden beiseite geschoben. Dass Bush sich selbst vor dem Militärdienst gedrückt hat, dass McCains und Palins Familienleben nicht gerade dem konservativen Ideal entsprechen. Man ist im Herzen Amerikas leicht bereit zu vergeben und zu vergessen – solange es die eigene Seite betrifft.
Diese Amerikaner sprach McCain an, als er bei einer Wahlkampfrede in Ohio sagte, Obama besuche mit seinen dubiosen »Hollywood-Freunden« Spenden-Galas, während er selbst »hier bei den hart arbeitenden Männern und Frauen von Ohio« spreche. Viele dieser Wähler bevorzugen aber die Vizekandidatin Sarah Palin, McCain selbst müsse erst mühsam lernen, seiner Stammklientel näher zukommen, hört man hier häufig. Für einen »Mann von nebenan« sei er eigentlich zu sperrig. Die selbstverständliche Leutseligkeit eines George W. Bush oder gar eines Ronald Reagan, der einst als Meister des saloppen Scherzens und Händeschüttelns galt, wird er nie erreichen. Auch wegen seiner Volksnähe, die seine Politik nie annähernd reflektierte, ist Reagan heute noch ein Idol für Republikaner. Palin kommt diesem Bild näher. Sie zwinkert den Kameras zu, spricht die Leute mit »folks« an, wie sie es im mittleren Westen auch machen. Die Republikaner halten sich an der kleinen Hoffnung fest, dass die ehrlichen patriotischen Bürger in »Smalltown America« das Ruder noch für sie herumreißen können.
Von solchen Parallelwelten, die nebeneinander existieren, ist Amerika voll. Die Küstenmetropolen scheinen vom Süden und vom Midwest Lichtjahre entfernt. Die diesjährigen Wahlen haben, unabhängig von ihrem Ausgang, bereits die Fronten verhärtet und ein immer noch sehr widersprüchliches Land weiter gespalten. Noch könnte auch Obama dem so genannten Bradley-Effekt zum Opfer fallen, benannt nach dem afroamerikanischen Gouverneurskandidaten, der 1982 in Kalifornien scheinbar uneinholbar vorne lag, um dann doch nicht gewählt zu werden, weil die Wähler zwar in den Umfragen einen schwarzen Kandidaten unterstützten, nicht aber in den Wahlkabinen. Aber selbst ein Präsident Barack Obama wird das Herz von Amerika nicht in eine weltoffene Gemeinde verwandeln können, denn die Grundfesten des republikanischen Glaubens sind schwer zu erschüttern.