Interview mit Heiner Busch über das neue BKA-Gesetz, Überwachung und die deutsche »Sicherheitsarchitektur«

»Das BKA wird vergeheimdienstlicht«

Observationen rund um die Uhr, Videokameras vor Hauseingängen, GPS-Peilgeräte an Autos, abgehörte Telefone, mitgelesene E-Mails und Wanzen in Wohnungen, Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern – all das gehört schon heute zum Repertoire des Bundeskriminalamts (BKA), wenn es beispielsweise nach Paragraph 129a ermittelt. Vergangene Woche einigten sich SPD und CDU/CSU auf ein neues BKA-Gesetz, das noch in diesem Jahr in Kraft treten soll und die Befugnisse der Be­hörde erneut erweitert. Heiner Busch ist Vorstandsmitglied des Komitees für Grund­rechte und Demokratie und beschäftigt sich dort mit den Entwicklungen innerhalb der Polizei. Außerdem ist er Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP, deren aktuelle Ausgabe die Veränderung der »Sicherheitsarchitektur« in Deutschland thematisiert.

Mit dem neuen BKA-Gesetz würde eine Art deutsches FBI entstehen, warnten in der vergangenen Woche Kritiker. Worauf gründet dieser Vergleich, und was ist eigentlich so schlimm an einer Institution wie dem FBI?

Gemeint ist erst einmal, dass die Zentralisierung der Polizei in Deutschland weiter voranschreitet. Bislang war das BKA nur für die Verfolgung von Straftätern zuständig. Nach der Reform darf es erstmals auch präventiv zur Gefahrenabwehr tätig werden, zunächst im Bereich des Terrorismus. Das war im föderalistischen Deutschland bis­lang den einzelnen Landespolizeien vorbehalten. Genau wie das FBI bekommt das BKA hierzu ein so genanntes Selbsteintrittsrecht, das heißt, es kann jederzeit in einem Bundesland auftauchen und aktiv werden, wenn es meint, eine Gefahr entdeckt zu haben. Hinzu kommt, dass das BKA –so wie das FBI – eine ganze Reihe von Befugnissen im Bereich geheimer Ermittlungen hat. Mit dem neuen BKA-Gesetz erhält es noch weitere.
Was schlimm ist an einer geheim operierenden Zentralpolizei, ist leicht zu sagen. Geheime Überwachungen sind für die Betroffenen nicht erkenn­bar. Eine Polizei, die so arbeitet, kann man kaum kontrollieren. Zwar muss das BKA für man­che Maßnahmen die Bewilligung eines Ermittlungsrichters einholen, aber das Ergebnis solcher Ermittlungen wird, wenn es am Ende nicht zu einer Anklage kommt, niemandem mehr vorgelegt. Was das BKA genau tut, kann die Öffentlichkeit dann nur raten.

Wenn das BKA lediglich in einen Bereich eingeschaltet wird, den bisher die Landespolizeien abgedeckt haben, worin besteht dann der qualitative Unterschied?

Eine zentralistische Polizei steht noch weiter außerhalb jeglicher Kontrolle als eine lokale Polizei. Außerdem arbeitet das BKA sehr viel mit Hinweisen aus dem Ausland. Das ist seit jeher so, ob im Bereich der Drogendelikte, der so genannten organisierten Kriminalität oder des Terrorismus. Diese Bereiche sind für die Ermittlungsrichter, die einzelne Maßnahmen absegnen sollen, meistens kaum zu durchschauen. Die Informationen aus dem Ausland sind kaum überprüfbar.

Welche Rolle spielt das neue BKA-Gesetz in der Gesamtentwicklung der deutschen »Sicher­heitsarchitektur«?

Es ist ein weiterer Schritt in eine bekannte Richtung. Das zentrale Problem der Polizeientwicklung in den vergangenen zwanzig Jahren besteht darin, dass rechtsstaatliche Hürden wie der konkrete Tatverdacht zunehmend abgebaut werden und die Polizei immer mehr im Vorfeld, also präventiv tätig werden darf. Dabei nimmt sie nicht mehr einzelne Tatverdächtige in den Blick, denn eine Tat gibt es ja noch gar nicht, sondern ganze Bevölkerungsteile, aus deren Reihen so genannte Gefahren kommen könnten. Das ähnelt dann struk­turell eher der Arbeitsweise eines Geheimdienstes, der ja ebenfalls im Vorfeld Aufklärung leisten soll. Und technisch geht es mit immer neuen geheimen Ermittlungsmethoden in die gleiche Richtung. So auch jetzt beim BKA.

Wird das BKA auch mehr als bisher mit Geheim­diensten vernetzt werden?

Nein. In diesem Zusammenhang hat es zwar in den vergangenen Jahren eine Reihe neuer Gesetze gegeben, man denke nur an die gemeinsame Anti-Terror-Datei von Polizei und Geheimdiensten. Im BKA-Gesetz steht dazu aber nichts Neues. Eher würde ich sagen, das BKA selbst wird weiter vergeheimdienstlicht.

Wird man dieser Entwicklung mit der Forderung nach einer strikten Trennung von Polizei und Geheimdiensten, die in letzter Zeit häufig erhoben wurde, dann überhaupt gerecht?

Die Forderung ist schon wichtig, sie lässt sich übrigens auch mit der Verfassung untermauern. Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten zieht die Regierung allerdings inzwischen die gewitzte Schlussfolgerung, dass Polizeibehörden und Geheimdienste, gerade weil sie getrennt sind, zur Zusammenarbeit verpflichtet seien. Das heißt, das verfassungsrechtliche Argument geht heute ins Leere, leider.
Daher finde ich, dass eine bürgerrechtliche Position heute nicht nur in dieser zurückhaltenden Forderung nach einer Trennung bestehen sollte. Die konsequente Forderung, die das Komitee für Grundrechte und Demokratie übrigens seit Jahrzehnten vertritt, müsste lauten: Schafft die Geheimdienste ab!

Wieso?

Geheimdienste wie der BND oder auch die Verfassungsschutzämter sind strukturell undemokra­tisch, sie lassen sich rechtlich weder einbinden noch wirksam kontrollieren. Die parlamentarische Kontrolle ist ein Witz. Das ist aber sozusagen systemimmanent, geheim ist eben geheim. Auf diese Weise definieren Geheimdienste letztlich weitgehend selbst, was sie für eine verfassungsfeindliche Bestrebung oder Terrorismus halten und wann sie wen überwachen. Sie brauchen noch nicht einmal einen Anfangsverdacht.

Zu den neuen Befugnissen, die im BKA-Gesetz festgeschrieben werden, gehört neben der Online-Durchsuchung auch die präventive Rasterfahndung. Was hat man sich darunter vorzustellen?

Das ist eigentlich nichts Neues. Neu ist nur, dass diese Maßnahme durch das BKA-Gesetz jetzt einfacher durchzuführen ist als früher. Die letzte Rasterfahndung nach den Anschlägen vom 11. Sep­tember, bei der die Polizei die Datensätze von Millionen von Bürgern mit bestimmten Merkmalen abgeglichen hat, um auf diese Weise Personen zu finden, die einem bestimmten »verdächtigen« Profil entsprachen, war auch schon präventiv. Gesucht wurden ja nicht Personen, die schon etwas Strafbares gemacht hatten, sondern solche, die dies nach Ansicht der Behörden in Zukunft vor­haben könnten.
Hier zeigt sich deutlich, was Zentralisierung bei der Polizei bewirkt. 2001 musste das BKA noch den umständlichen Weg über die Landespolizeien gehen. Jede Landespolizei musste in ihrem Bundesland eine eigene richterliche Genehmigung einholen, in manchen Ländern haben die Gerichte der Polizei auch Beschränkungen auferlegt. Nach dem neuen Gesetz erhält das BKA eine eigene zentrale Zuständigkeit für präventive Rasterfahn­dungen. Damit reicht künftig ein einziger richterlicher Beschluss aus, um in ganz Deutschland zu rastern.

Nachdem im Februar das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeiten einer Online-Durchsuchung einschränkte, gab es unter Bürgerrechtlern und Datenschützern bereits ein großes Aufatmen. Ist das BKA-Gesetz durch das Urteil vom Februar merklich abgemildert worden?

Das BKA-Gesetz übernimmt zum Teil wörtlich die Vorgaben aus dem Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­gerichts. Das zeigt aber gerade, wie wenig dieses Urteil eigentlich gebracht hat. Das Gericht hat dem Gesetzgeber damals erklärt, welche Vorkehrungen er treffen muss, damit die Online-Durchsuchung, die man aus bürgerrechtlicher Sicht ja eigentlich zu 100 Prozent ablehnen muss, in Karlsruhe Bestand hat. Letztlich hat das Gericht damit der Online-Durchsuchung den roten Teppich ausgerollt, wenn auch vielleicht ungewollt.

Andererseits sind im BKA-Gesetz einige Kontrollmechanismen für die Durchführung von Online-Durchsuchungen vorgesehen, die es vorher, beispielsweise in der nordrhein-westfälischen Version der Online-Durchsuchung, noch nicht gab.

Ja, vor allem ist jetzt vorgeschrieben, dass Online-Durchsuchungen grundsätzlich von einem Richter angeordnet werden müssen. Man muss sich aber vor Augen halten, dass der Amtsrichter beim Amtsgericht Wiesbaden gemeint ist, wo das BKA seinen Hauptsitz hat. Dieser Richter ist auch zuständig für die Rasterfahndungen, die Großen Lauschangriffe und alles mögliche andere. Dieses Gericht ist notwendigerweise überfordert. Es müsste theoretisch jedes Mal ganze Aktenberge durchprüfen, und das in maximal drei Tagen.

Der FDP-Politiker Gerhart Baum hält die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für unzureichend realisiert und will auch das neue BKA-Gesetz vor das Bundesverfassungsgericht bringen. Wie schätzen Sie die Chancen einer erneuten Verfassungsbeschwerde ein?

Ich könnte mir schon vorstellen, dass das Gericht das neue BKA-Gesetz noch einmal stutzt. Dabei geht es vor allem um die Frage der richterlichen Kontrolle bei Online-Durchsuchungen. Das jetzige BKA-Gesetz sieht vor, dass in Eilfällen auf den Richterbeschluss auch verzichtet werden kann. In diesem Punkt gab es aber eigentlich strenge Vorgaben aus Karlsruhe.
Viel gewonnen wäre mit einer erfolgreichen Klage in diesem Punkt aber auch nicht. Wenn ein Richter im Eilfall entscheiden soll, dann hat er für die Aktenberge ja noch weniger Zeit. Eine ernst­zunehmende Kontrolle des BKA wäre das jedenfalls nicht.