Das Debütalbum von Jacques Palminger

Der Lee Perry aus Hamburg

Jacques Palminger vereinigt auf seinem Debütalbum die Geister von Dada und Dub.

Das Interessante an der Hamburger Schule waren schon immer ihre Grenzgänger. Die Szene um den Golden Pudel Club galt schon immer als besonders experimen­tierfreudig. Man denke nur an die wahnwitzigen Pudel-Produkte-Sampler, den Discohasen Erobique an der Käseorgel oder an das Schaffen des Künstlers Jens Rachut (Kommando Sonne-Nmilch, Oma Hans). Exemplarisch für den Erfolg dieser Szene ist natürlich ganz be­sonders die Geschichte von Studio Braun.
Die psychedelische Antiwitzgruppe um Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jacques Pal­minger hat Mitte der neunziger Jahre unsinnige Telefon­gespräche zu amüsanten Dadakunstwerken hochstilisiert – von Fans geliebt und von unzähligen Radiosendern schlecht bis unerträg­lich imitiert.
Im Laufe der Jahre entwickelten sie rund um ihre Telefonate ein amüsantes wie erfolgreiches Showkonzept aus Lesung, Musik und Improvisationstheater.
Schamoni und Strunk sind inzwischen als Prosa-Autoren überaus erfolgreich, und ihre Bücher »Fleisch ist mein Gemüse« und »Dorfpunks« wurden verfilmt, als Hörspiele produziert oder zum Stoff für Theaterstücke.
Jacques Palminger, der als Schauspieler, Regisseur und Body-Painting-Performer tätig ist, nimmt dagegen seit Jahren in unregelmäßigen Abständen phänomenale, avantgardistische Mu­sik­stücke in deutscher Sprache auf. Der musikalische Leitfaden seiner Stücke ist Dub.
Dub-Musik entstand Anfang der Siebziger Jahre auf Jamaika. Hier wurden Instrumentalspuren durch Echo-Bandgeräte geschleift, und so ent­stand ein Klang, der in seiner akustischen Architektur größer klang als jeder Tempel auf Erden. Der Dubmusiker und Hobby-Parapsychologe Lee »Scratch« Perry behauptet noch heute steif und fest, dass Außerirdische ihm damals bei der Musikproduktion geholfen hätten.
Mit dem Hamburger Außerirdischen Viktor Marek, der für die Dub-lastigen Beat- und Sound-Architekturen zwischen Madlib und King Tubby verantwortlich ist, und der Chansonsängerin Rica Blunck hat Palminger nun die »Kings of Dub Rock« gegründet. Jetzt erscheint mit »Mondo Cherry« der erste Langspieler von Jacques Palminger, in seinem zarten Alter von 44 Lebens­jahren.
»Fortdauernde Behauptung einer Möglichkeit wird zum Glauben, und der Glaube aktiviert die Kräfte zur Verwirklichung.« Was sich im ersten Stück, »Worte nur Worte«, wie ein Mental-Coaching-Seminar anhört – tatsächlich ist es ein Zitat des Mental-Positivisten Oscar Schellbach –, will aber Protokoll einer Flirt-Situation sein. Rica Blunck spielt Palmingers Angebetete und singt: »Worte, nichts als Worte, das alte Lied, der Traum zu Ende … «
Ihr Gesang wirkt auf dem gesamten Album wie eine Simultan-Übersetzung von Palmingers abstrusen dadaistischen Textverfransungen. Sie verleiht den Liedern mit einfachen Worten einen Sinn, während Palminger unermüdlich und sehr unterhaltsam Unsinn doziert.
Wenn er etwa im programmatischen Titel »Playboy« zu Blunck spricht: »Wer hat dir gesagt, dass ich ein Playboy bin? Erstens: Es ist unverantwortlich, so etwas über irgendjemanden zu behaupten, und zweitens ist es wahr«, singt Rica Blunck in schlafwandlerischer Wiederholung: »Wer hat dir das gesagt?« und »Playboy«.
Die verruchte Stimmung der Musik – Balearen-Flamenco für Pauschaltouristen in Dub – lässt vor uns das Bild einer nächtlichen Spelunke entstehen.
Gespannt lauscht man der absurden Balzrede weiter. Es kommt zur Einladung zum »Banana-Loveboat-Becher«, und urologische Liebesbekun­dungen werden ausgesprochen: »Siehst du die Tränen in meinen Augen? Ich habe eine Salz­blase. Meine Begierde bringt die Harnsäure dazu, sich zu winzigen Urindiamanten zu verdichten … « Eine Rede wie die eines Medizinstudenten im Rausche der Nacht. Die Kneipe kann eben auch ziemlich Dada sein, wenn man den Gesprächen am Tresen lauscht.
Auf dem Cover der Platte sieht man eine Zeich­nung, die einen Japaner mit buschigen Achselhaaren zeigt, der einen gefangenen Aal in die Luft hält. Man weiß zwar nicht, ob Palminger, der hier selbst gezeichnet hat, ein begeisterter Angler ist, aber er weist uns auf ein zoologisches Rätsel hin: Anders als beim europäischen Aal nämlich, der in der Saragossasee laicht, weiß man bis heute nicht, wo der japanische Aal seine Eier ablegt.
So hat auch ein japanischer Künstler es Palminger ganz besonders angetan: Yokio Mishima, Schriftsteller und politischer Aktivist, der im November 1970 Seppuku – eine ritualisierte Form des Selbstmords – beging, als Respekterweisung an den japanischen Kaiser. Folglich verkündet Palminger in seinem Song »Mishima« die Gründung des »Harakiri-Stammtischs Altona« und singt mal nicht auf eine Dubreggae-Musik, sondern auf etwas, das an überschäumenden Schulmädchenreport-Funk wie etwa auf James Lasts großartigem Album »Voodoo Party« (1971) erinnert: »Das ist unser Leben, unser Risiko, wir richten uns selbst wie der Harakiri-Gigolo. Wir schämen uns für alles, doch wir werden uns befreien.«
So steht Palmingers Textdichtung stets in dadaistischer Tradition. Sie kultiviert ihren »Zweifel an allem« vor allem im Zweifel an sich selbst. Trotzdem singt Palminger auch: »Komm mit mir auf die Ja-Straße«, und wir folgen dem Hamburger natürlich blind. Dabei fühlen wir uns nicht zuletzt an eine andere Band der Ham­burger Schule, an Blumfeld, erinnert, an deren unsterbliche Zeile: »Von der Unmöglichkeit, ›Nein‹ zu sagen, ohne sich umzubringen.« Konsequent heißt es dann in Palmingers Stück »Tüddeldub«: »Man muss ja schließlich aus Ham­burg kommen, um hier irgendwie mitreden zu können.« Übrigens findet man Palmingers Kopf auch auf dem Collagen-Cover des Blumfeld-Albums »L’état est moi« neben anderen Chef­zweiflern aus dem Pudellager wie etwa Schorsch Kamerun oder Daniel Richter.
Demnächst ist Palminger zusammen mit seinen »Kings of Dub Rock« auch auf Deutschland-Tournee. Das macht auf kleinen Bühnen Hoffnung in Zeiten von babylonischen Men­schen­ansammlungen bei Mario-Barth-Auftritten. Humor aus Deutschland, das lehrt uns Palminger, muss nicht immer total behämmert sein.

Jacques Palminger & The Kings of Dub Rock: Mondo Cherry (Buback)