Barack Obamas Masterplan

Der Neue will nicht warten

Bis Ende Januar ist Bush noch Präsident. Doch bereits vor seinem Amtsantritt scheint Obama mit Hilfe des Kongresses einige sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen durchsetzen zu wollen.

Wenn ein neuer Präsident gewählt wird, muss nicht nur der Vorgänger das Weiße Haus räumen. Etwa 4 000 Staatsangestellte werden ausgetauscht, oder auch 5 000, je nachdem, wie tief der neue Amtsinhaber in die Arbeit der Behörden eingreifen will. Er hat für die Postenvergabe fast drei Monate Zeit, denn erst am 20. Januar übernimmt er die Regierungsgeschäfte. Doch Barack Obama darf nicht trödeln, die Öffentlichkeit erwartet schnelle Personalentscheidungen, die Aus­kunft darüber geben, wie der versprochene change aussehen soll. Überdies müssen sich die Neulinge, vor allem die mit der Wirtschaftskrise befassten, möglichst schnell einarbeiten.
Der designierte Präsident benannte bereits am Tag nach seiner Wahl Rahm Emanuel als neuen Stabschef des Weißen Hauses. Emanuel stammt aus Chicago, er beriet Präsident Bill Clinton und ist seit einigen Jahren ein hochrangiger Kongress­abgeordneter. Er gilt als Repräsentant des rüden Chicago-Politikstils, aber auch als talentiert bei der Beschaffung von Mehrheiten. Der militärisch klingende Titel ist dem Job nicht unangemessen, der Stabschef ist so etwas wie der Erste Offizier des Präsidenten, ein Berater, der den Informations­fluss für seinen Chef organisiert und in seinem Namen verhandelt.
Vor allem aber wird erwartet, dass Obama schnell seinen Finanzminister ernennt. Das im Oktober beschlossene »Rettungspaket« für die Finanzinstitutionen stattet diesen Minister mit einigen neuen, weit reichenden Vollmachten aus. Allerdings bleibt ihm zunächst nichts anderes übrig, als die vom noch amtierenden Finanzminister Henry Paulson beschlossenen Maßnahmen weiterzuführen. Möglichst bald soll er an den von Paulson mit den Banken geführten Verhandlungen teilnehmen und wohl auch dessen Tätigkeit überwachen.
Als potenzielle Kandidaten gelten Larry Summers, der Finanzminister Clintons, und Paul Volcker, ein Berater Obamas und Vorgänger Alan Greenspans als Chef der Notenbank Federal Reserve. Doch Valerie Jarrett, eine der engsten Beraterinnen Obamas, betont, dass es sich nur um Medienspekulationen handele.

Die Ernennung eines Finanzministers ist die wohl heikelste Entscheidung. Etwas leichter hat es Obama bei der Besetzung außenpolitischer Ämter, die Ernennung des Verteidigungs- und Außenministers wird noch in dieser Woche erwartet. Obama kommt zugute, dass seine Ansich­ten über die Kriegspolitik in Afghanistan und im Irak mittlerweile von den meisten Amerikanern, auch von vielen Republikanern, geteilt werden.
Insidern zufolge wird Obama möglicherweise eine dieser Positionen mit einem Republikaner besetzen, etwa dem Senator Chuck Hagel aus Nebraska oder dem seit 2006 amtierenden Verteidigungsminister Robert Gates. Bei Hagel handelt es sich um einen Multilateralisten, der schon früh der Außenpolitik George W. Bushs widersprach und als Befürworter einer Politik der Verhandlungen gilt.
John Kerry, der bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2004 gegen Bush unterlag, soll ebenfalls Interesse am Job des Außenministers haben. Auch er ist Multilateralist, wie der designierte Vizepräsident Joe Biden. Ob Gates ernannt wird, dürfte unter anderem davon abhängen, wie die Verhandlungen zwischen der irakischen Regierung und den Repräsentanten Bushs verlaufen und ob Gates bereit ist, sich der technisch schwie­rigen Aufgabe zu widmen, etwa eine Brigade pro Monat abzuziehen, wie Obama es im Wahlkampf forderte.
Gates befürwortet zudem die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo. Obamas Berater planen offenbar, einen Teil der Gefangenen freizulassen und die anderen auf dem Territorium der USA vor Gericht zu stellen, einige vor neu zu schaffenden Tribunalen. Endgültige Entscheidungen wurden jedoch noch nicht getroffen. Auch im Hinblick auf die rendition, die Überstellung von Gefangenen an Staaten, in denen gefoltert wird, auf die von Bush genehmigten Verhörpraktiken und die Ausweitung der Abhörbefugnisse wird vor dem Amtsantritt Obamas nicht mit der Bekanntgabe konkreter Maßnahmen gerechnet. Zunächst einmal wollen Obama und sein Team die zahlreichen executive orders, die Verordnungen Bushs, sichten und überprüfen.
Obama gehört zu den Präsidenten, deren Partei auch die Mehrheit der Kongressabgeordneten stellt. Dennoch können die Demokraten nicht be­schließen, was sie wollen. Obwohl die Demokraten fünf Sitze im Senat hinzugewannen, verfügen die Republikaner noch über die Sperrminorität von 40 Stimmen. Ein Republikaner in Obamas Regierung könnte zögerliche Parteifreunde zur Zusammenarbeit vor allem in der Außenpolitik bewegen, allerdings sind die meisten republikanischen Senatoren entweder Neokonservative oder loyale Mitläufer der Kriegspolitik Bushs.
Andererseits verstärken sich derzeit wieder die isolationistischen Tendenzen bei den Republikanern, insbesondere im Abgeordnetenhaus. Gewin­nen die Isolationisten unter der Führung des rechtsliberalen Ron Paul weiter an Einfluss, wären die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Republikanern in der Außenpolitik noch verwirrender. Im Vergleich steht die demokratische Partei mit einem führenden multilateralen Flügel, dem auch Barack Obama angehört, und einer einflussreichen friedenspolitischen Fraktion einheitlicher da.
Obwohl Obama am Freitag vergangener Woche auf seiner ersten Pressekonferenz als designierter Präsident betonte, dass »Amerika nur einen Präsidenten auf einmal hat« und dieser bis zum 20. Januar 2009 George W. Bush heiße, deuten die Ankündigungen Emanuels während seines ersten Fernsehinterviews nach seiner Ernennung darauf hin, dass schon zuvor Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise unter der Regie Obamas beschlossen werden sollen. Möglich wäre dies über den Kongress, der Emanuel zufolge umgehend die Bezugszeiten für Arbeitslosengeld verlängern und die angestiegenen Kosten für die nicht Versicherten in den bundesstaatlichen Gesundheitsprogrammen in den Haushalt übernehmen soll. Die Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit Kolumbien, die nur noch während dieser Legislaturperiode erfolgen kann, lehnte Emanuel hingegen ab.
Offenbar will Obama mit einigen sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen nicht warten. Sowohl Emanuel als auch die führenden Demokraten im Kongress forderten am Wochenende, ein »Rettungspaket« mit einem Volumen bis 50 Milliarden Dollar für die US-Automobilkonzerne General Motors und Ford noch in der laufenden Legislaturperiode zu verabschieden. Obama selbst sagte am Freitag vergangener Woche, dass er gemeinsam mit der demokratischen Gouverneurin Jennifer Granholm aus Michigan, der Hochburg der US-Autoindustrie, nach Lösungen suche, um die »schwierige Lage« der Unternehmen zu verbessern.

Es sollen nicht nur Subventionen gezahlt werden. Emanuel zufolge will die neue Regierung auch die Entwicklung und Produktion energieeffizienter Fahrzeuge fördern. Das könnte auch zu Streit unter den Demokraten führen. John Dingell, der demokratische Vorsitzende des Energiekomitees im Abgeordnetenhaus, ist derzeit der Repräsentant der in seinem Wahlkreis Detroit beheimateten »Großen Drei« der US-Automobilkonzerne, die seit Jahrzehnten jegliche Verschärfung der Benzinverbrauchsstandards ablehnen. Im Führungsstab von Nancy Pelosi, der demokratischen Sprecherin des Abgeordnetenhauses, wird Zei­tungs­berichten zufolge darüber diskutiert, Dingell zu entmachten. Denn mit Subventionen allein dürfte den Autokonzernen nicht geholfen sein. Ausländische Hersteller vor allem aus Japan produzieren Fahrzeuge mit geringerem Verbrauch, staatliche Vorschriften sollen die US-Unternehmen konkurrenzfähiger machen.
Werden die verschiedenen Pläne Emanuels und der demokratischen Führung vom Kongress unterstützt, stünde Bush vor der Wahl, entweder mit seiner Unterschrift die ersten inoffiziellen Amts­handlungen Obamas zu beglaubigen oder sich stur zu stellen. Angesichts der angehäuften Beweismittel hinsichtlich mehrerer möglicherwei­se strafbarer Handlungen diverser Mitglieder der amtierenden Regierung wäre es allerdings riskant, den künftigen Präsidenten durch eine politische Blockade zu brüskieren. Dennoch dürfte Bush versuchen, noch einige Verordnungen in letzter Minute zu erlassen. Spätestens nach dem 20. Januar wird sich Obamas Regierung den wichtigsten im Wahlkampf angesprochenen Themen widmen: einer Gesundheitsreform, einer neuen Energiepolitik, einer anderen Haltung bei den internationalen Verhandlungen über Maßnahmen gegen den Klimawandel sowie Veränderungen in der Bildungspolitik. Mit der Wirtschafts­krise gebe es schließlich auch »die Chance, zügig eine Reihe von Änderungen durchzusetzen, welche die Amerikaner seit Jahren vor sich herschieben«, meint Emanuel.

Die immensen Staatsschulden, die sich durch das »Rettungspaket« noch einmal erhöhten, lassen wenig Spielraum für höhere Sozialausgaben, sofern Obama nicht unerwartet die auch für demokratische Präsidenten gültigen Tabus brechen und etwa den Militärhaushalt drastisch kürzen sollte. Doch es gibt auch sozialpolitische Maß­nahmen, die die Regierung nichts kosten.
So könnte die im vergangenen Jahr durch ein Urteil des Obersten Gerichts faktisch abgeschaffte Möglichkeit, die Lohngleichheit für Frauen einzuklagen, durch ein neues Gesetz wiederhergestellt werden. Bislang haben die Republikaner entsprechende Initiativen verhindert. Ebenfalls durch ein neues Gesetz ließe sich sicherstellen, dass in den Unternehmen leichter gewerkschaftliche Vertretungen gegründet werden können. Noch können Beschäftigte, die für die Gewerkschaft werben, weitgehend straflos drangsaliert oder gar gefeuert werden.
Diese Maßnahmen würden insbesondere die Anhänger Hillary Clintons, arbeitende Frauen und Gewerkschaftsmitglieder, erfreuen. Da das Geld für eine Subventionierung der Unternehmen, die die Folgen der Rezession mindern kön­nte, knapp ist, wären die Maßnahmen aber vor allem ein Mittel, die Lohnabhängigen davon zu überzeugen, dass tatsächlich ein Wandel stattfindet. Schließlich möchte Obama im Jahr 2012 noch einmal zum Präsidenten gewählt werden.