Serie über Serien: »Miami-Vice«

Die Taube kam nicht bis Florida

Serie über Serien. Sven Scheer zählt die Toten in jeder »Miami-Vice«-Folge

Zugriff Miami Vice. Schüsse, der erste Körper fällt, der zweite, und noch einer. Einer zu viel! Ich verlasse das Wohnzimmer, dabei nuschlig rausbringend, wie unerträglich diese Gewalt doch ist. So schüchtern äußerte sich mein jugendliches Aufbegehren, es fand eine Zeit lang im moralischen Rigorismus seinen Ausdruck: Die Weiße Taube bestimmte damals das Anti-Nato-Doppelbeschluss-­Leben. Auf den Schwingen des Friedensvogels nach Miami fliegen, eine absurde Vorstellung – doch wer hat schon einen weißen Ferrari, der ihn dorthin bringen könnte? Ich hatte jedenfalls keinen. Auch Sonny Crockett nicht. Jedenfalls wurde ihm sein weißer Testarossa erst in der dritten Staffel von Enzo Ferrari vor die Tür gestellt, nein, nicht persönlich, auch wenn man sich das bei all den Cameo-Auftritten in der Serie durchaus hätte vorstellen können.
Enzo Ferrari ertrug es nicht, dass anfangs eine schwarze Ferrari-Imitation für die Serie genutzt wurde, ersetzte diese durch das neueste Modell des Hauses und trug so zur langen Liste der coolen Produkte in »Miami Vice« bei: neben begehrenswerten Autos großzügige Yachten, die richtige Sonnenbrille und italienische Mode im Überfluss. Zu viel Verführung für konsumkritische Gemüter, und doch fand ich mich immer wieder vorm Fernseher ein – empört rausrennen konnte ich ja während der laufenden Folge immer noch.
Ich war definitiv auf der Seite derer, die der Serie übermäßige Gewalt und Zynismus vorwarfen. Doch was sollte man machen, da das alles so gut aussah? Wie gut die Serie gemacht ist, lässt sich daran ermessen, dass man sich bei Crocketts nächtlicher Fahrt zu »In the air tonight« noch heute nicht vorstellen kann, jemals ein Wort gegen Phil Collins geäußert zu haben.
Achtziger Jahre, populäre Kultur, affirmative Taktiken – mittlerweile überall eingesickert: Dagegensein ist leicht, schwer aber ist es, dafür zu sein. Damals standen für das Dafürsein Armani, Versace, Ferrari. Und obwohl auch ich diese Trinität begehrte, die den Bildschirm dienstags um 21.45 Uhr erleuchtete, hielt ich weiterhin an meinem Anti-Gewalt-Verdikt fest. Als sich später für mich die Gelegenheit hätte ergeben sollen, mich erneut, jetzt staatlich herausgefordert, gegen die Gewalt auszusprechen – es hieß »Gewissensprüfung« –, kam nichts, der Musterungsbescheid blieb aus, da wollte ich mich nicht mit meinem Idealismus aufdrängen, sondern machte eben andere Erfahrungen. Wenn gerade niemand etwas von einem will, kann man sich ja auch mal entspannen und tanzen gehen. »Body Count« skandierte Ice-T damals vom Plattenteller des »Tempelhof« in Hamburg. Das erinnerte mich nicht mehr an die Leichen aus »Miami Vice«, unbelastet konnte ich in den Actionopern des Kinos versinken.
Aber nicht nur im Vergleich zu diesen Filmen gibt es in »Miami Vice« gar nicht so viele Leichen, stellte ich beim erneuten Ansehen der ersten Staffel auf DVD fest. Um es in eine naheliegende Relation zu setzen: Gäbe es auch nur halb so viele Leichen wie verschiedene Outfits in einer Folge, hätte man ein echtes Blutbad. Aber das hat man nicht, denn die eigentlichen Themen von »Miami Vice«, das macht schon der Vor­spann klar, sind Geld, Macht und Stil. Sehen wir es also entspannter: zweifellos die richtige Einstellung zu der im Rückblick ikonisch für die Achtziger stehenden Serie. Ja, diese ist historisch, Erzähltempo und Schnitt erscheinen heute längst nicht mehr so rasant. Bis die ersten Kugeln fliegen, dauert es jedenfalls länger, als es einem die Erinnerung weismachen wollte. Warum sich in den Achtzigern meine friedensbewegte Empörung ausgerechnet an »Miami Vice« entzündete, ist für mich heute jedenfalls nicht mehr nachvollziehbar.