Das Memorandum der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik«

Keynes hier, Keynes da

Ist das noch »konjunkturgerechte Wachstumspolitik« oder ist das schon »problem­adäquate Wirtschaftspolitik«? In der Krise werden sich die bestellten und die nicht bestellten Berater der Bundesregierung immer ähnlicher.

Die Bundesregierung lässt sich bekanntlich gern beraten. Für dieses oder jenes Vorhaben holt man »Experten« an einen Tisch, die dann gemeinsam überlegen, wie man die Dinge so regelt, dass sie dem Kapital genehm sind, und wie man dem gemeinen Bürger klar macht, dass er künftig zwar noch weniger Geld in der Tasche haben wird, die neuen »Reformen« aber trotzdem nicht »blockieren« soll.
Allerdings hat die Regierung auch Berater, die gar nicht bestellt sind. Die hartnäckigsten dieser Exemplare dürften in der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik« zu finden sein. Jedes Jahr veröffentlichen die Wirtschaftswissenschaft­ler und Gewerkschafter ein »Memorandum« zur wirtschaftlichen Lage und wie sie zu verbessern sei. »Wer kritisiert, muss Alternativen bieten«, lautet der strikte Grundsatz der Gruppe, und so erhält die Bundesregierung Consulting frei Haus bzw. für weniger als 20 Euro im Buchhandel ihres Vertrauens.

Jahrelang schien die Regierung das günstige Ange­bot zu verschmähen. Erst im Zeichen der Krise könnte man plötzlich meinen, Vertreter der Regie­rung, zumindest aber die so genannten Wirtschafts­weisen aus dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, hätten doch heimlich in den »Memoranden« nach­geblättert. »Das wirklichkeitsferne, starre Festhal­ten am Neoliberalismus ist zu Ende. Das begrüßt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik«, sagte der Gelsenkirchener Wirtschaftswissenschaft­ler Heinz-Josef Bontrup vorige Woche in Berlin.
Wegen des Ernsts der Lage verfassten die unermüdlichen nicht bestellten Berater, von denen einige Mitglieder der Linkspartei oder bei Attac sind, gleich ein »Sondermemorandum«, in dem es unter der Überschrift »Krise unterschätzt. Mas­sives Konjunkturprogramm erforderlich« zur Sache geht. Die aktuelle Situation, das »völlig un­zureichende« Konjunkturprogramm der Bundesregierung und die Vorschläge des Sachverständigenrats zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung, die »ebenfalls hinter den Notwendig­keiten« zurückblieben, werden darin analysiert. Heinz-Josef Bontrup und die Bremer Wirtschaftswissenschaftlerin Mechthild Schrooten stellten die Ergebnisse vor.
So sei die Wirtschaftskrise in Deutschland keineswegs allein eine Folge der Finanzkrise in den USA. Stagnierende Löhne und Gehälter und die »Agenda 2010« hätten maßgeblich dazu beigetra­gen, dass den Bürgern das Geld fehle, um die Wirtschaft mit ausgiebigen Shoppingtouren anzukurbeln. In der Sprache der Ökonomen heißt das, die »Wachstumskräfte« seien geschwunden und schon zum schwächlichen Aufschwung habe »das größte Nachfrageaggregat, der private Konsum«, nichts beigetragen. Noch schöner ausgedrückt: »Infolge der verteilungspolitischen Diskri­minierung der Masseneinkommen während des jüngsten Aufschwungs blieb das Niveau des privaten Konsums viel zu niedrig.«

»Müssen wir alle wieder Keynesianer werden?« fragte kürzlich das Manager-Magazin, und das nackte Entsetzen in Anbetracht der beschlossenen und vorgeschlagenen Konjunkturprogramme sprach daraus. Zwar hat etwa der Plan der Regierung, die KFZ-Steuer für einen neuen Opel ein Jahr lang zu erlassen, noch nicht allzu viel mit Keynesianismus zu tun, doch Verwechslungen zwischen den beiden Beratergruppen sind an man­chen Punkten keineswegs mehr ausgeschlossen. Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung kritisiert die Memorandum-Gruppe gleich mit den Worten des Sachverständigenrats, weil der es so hübsch ausgedrückt hat: »Tatsächlich handelt es sich aber um ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen, das zwar den Eindruck vermitteln mag ›wir tun was‹, ansonsten aber nur bedingt auf die Erhöhung des Potenzialwachstums bei gleichzeitigem konjunkturellen Impuls zielt.«
Eine weitere Bestandsaufnahme des Sachverständigenrats könnte ebensogut von der Memorandum-Gruppe stammen: »Im Zuge der Konso­lidierungsmaßnahmen der letzten Jahre wurden die öffentlichen Investitionen so stark zurückgefahren, dass sie seit dem Jahr 2003 geringer ausfallen als die Abschreibungen. Der Staat lebt somit von der Substanz.« Und auch hier meint man die bekennenden Keynesianer herauszuhören: »In Anbetracht der Tatsache, dass auf absehbare Zeit kaum mit nennenswerten außenwirtschaftlichen Impulsen zu rechnen ist, hängt die konjunkturelle Entwicklung vor allem von der Binnennachfrage ab.« Entsprechend fordern der Sachverständigenrat und die Memorandum-Gruppe einvernehmlich etwa Investitionen in die Infrastrukur und die Bildung. Und auf die allseits beliebte Frage, wie denn das »gegenfinanziert« werden solle, entgegnet sogar der Sachverständigenrat keck, es könnten »im Rahmen einer investitionsorientierten Verschuldung (Goldene Regel der Finanzpolitik) staatliche Nettoinvesti­tionen grundsätzlich durch eine öffentliche Kreditaufnahme finanziert werden«.
Die Analyse der Memorandum-Gruppe zu einer anderen Stelle im Gutachten des Sachverständigenrats dürfte die Redakteure des Manager-Magazins wiederum beruhigen: Beim Thema Arbeitsmarkt und den dazugehörigen Politikempfehlun­gen zeige sich, »dass die Mehrheit der Mitglieder des SVR die bisherige neoliberale Position keineswegs in Frage stelle, sondern sie sogar noch bekräftigt«. Gemeint sind etwa der vorgeschlagene »flexiblere gesetzliche Kündigungsschutz«, das Kombilohnmodell und »Korrekturen bei der Unternehmenssteuerreform«, die die »unternehmerische Investitionsnachfrage« stärken.
Natürlich gehen das von den linken Ökonomen kurzfristig geforderte Konjunkturprogramm von 100 bis 110 Milliarden Euro und die langfristigen Maßnahmen in Höhe von jährlich 75 Milliarden Euro weit über die Vorschläge des Sachverständigenrats hinaus. Die Empfehlungen, das Arbeitslosengeld II auf 450 Euro zu erhöhen, die Arbeitszeiten zu verkürzen und mehr öffentlich geförderte Beschäftigung zu ermöglichen, hörte man aus dem Mund des obersten »Wirtschaftsweisen« Bert Rürup bislang noch nicht.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hat ausgerechnet, dass es beim Konjunkturprogramm der Bundesregierung faktisch um eine Summe geht, die 0,15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Der Sachverständigenrat empfiehlt Investitionen in einem Umfang von 0,5 bis einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Memorandum-Gruppe in einem Umfang von vier Prozent. »Wir erwarten, dass jetzt endlich gegengesteuert wird.« Es müsse »geklotzt«, nicht »gekleckert« werden, sagt Bontrup emphatisch.
Irgendwo zwischen »kleckern« und »klotzen«, zwischen einem Prozent und vier Prozent verläuft sie also, die Grenze zwischen Neoliberalismus und Keynesianismus. Oder auch zwischen einer »konjunkturgerechten Wachstumspolitik« (Sachverständigenrat) und »problemadäquater Wirtschaftspolitik« (Memorandum-Gruppe).