Über brennende Autos in Göttingen

Wenn kaputt, dann wir Spaß

Immer wieder brennen in Göttingen Fahrzeuge. Die Polizei macht »linksextremistische Gruppierungen« für die Taten verantwortlich. Doch keiner weiß, warum sie verübt werden.

Selbst wenn man der Meinung ist, die Herrschaft habe im Kapitalismus Namen und Adresse, erscheinen Fahrzeuge eines städtischen Ver­sor­gungs­betriebs eher als harmlose Gerätschaften. Das hinderte bisher unbekannte Brandstifter allerdings nicht daran, Ende November fünf Autos der Stadtwerke Göttingen in Brand zu setzen. Einen politischen Slogan verpassten sie nach Angaben der Polizei einer nahe gelegenen Wand. »Nieder mit Kapitalismus, Patriarchat und Gewalt gegen Frauen, etc.«, stand dort. Für die Polizei ist der Fall damit klar. Sie reiht den Anschlag in eine Serie von Brandstiftungen ein, in deren Verlauf in den vergangenen zwei Jahren 19 Fahrzeuge zerstört oder beschädigt wurden und ein Sachschaden von 350 000 Euro entstand.
Die Serie begann im Herbst 2006, als am Abend vor einem Naziaufmarsch ein Fahrzeug der Polizei in Brand gesteckt wurde. Es folgten Anschläge auf Dienstwagen der Bundespolizei, einen Firmenwagen der Telekom, aber auch Privatfahrzeuge der gehobenen Mittelklasse. Der Leiter des Göttinger Kriminaldienstes, Volker Warnecke, erkennt in diesen Taten keinen Sinn: »Wir haben mehrfach mit Unverständnis reagiert, warum nun ausgerechnet dieser Geschädigte ausgesucht wurde.« Es habe sich teilweise um neuwertige Erd­gasfahrzeuge gehandelt, die Anschläge seien »also auch aus ökologischer Sicht nicht nachvollziehbar«.

Wer hinter den Taten steckt, ist unklar. Es gab zwar nach Angaben der Polizei bereits im Januar ein Bekennerschreiben, das bei einer Hamburger Zeitung einging. Genauere Rückschlüsse auf die Täter seien aus dem Schreiben aber nicht zu ziehen, eine Einsicht wird aus »ermittlungstaktischen Gründen« verwehrt. »Über einen längeren Text wird dort erklärt, weshalb man sich in dieser Form politisch äußern will. Das ist für mich rational überhaupt nicht nachvollziehbar«, sagt Kriminal­direktor Warnecke. Anders tritt diese »linksextremistische Gruppierung«, wie sie die Polizei nennt, nicht in Erscheinung. Sie hinterlässt lediglich vereinzelte Graffiti in der Nähe des Tatorts. Der Polizeipräsident Hans Wargel vermutet »linksextremistische Autonome aus dem Bereich Göttingen« als Täter, nennt aber keine weiteren Anhalts­punkte für seine Vermutung. In Antifa-Kreisen ist die Sorge groß, solche Äußerungen könnten der Vorbereitung von Überwachungsmaßnahmen »gegen missliebige Gruppen, Personen oder Organisationen« dienen, wie eine Sprecherin der Gruppe »Radical M« sagt.
Für die Ermittlungsbehörden bieten diese Anschläge in der Tat eine willkommene Gelegenheit, um Stimmung gegen die gesamte Linke zu machen. So stellte Wargel nach dem bisher letzten Anschlag umgehend fest, dass die Tat die »er­hebliche kriminelle Energie und heimtückische Gewaltbereitschaft von linksextremistischen Grup­pen in Göttingen« zeige. Der Oberstaatsanwalt Hans-Hugo Heimgärtner schloss nicht aus, die Sache nach eingehender Prüfung der Bundesanwaltschaft vorzulegen. Diese könnte dann ein Ermittlungsverfahren wegen »Bildung einer terroristischen Vereinigung« nach Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs einleiten – für die von den Ermittlungen betroffenen Personen, die zwar verdächtigt würden, aber nicht die Brandstifter sein müssten, bedeutete dies unter Umständen monatelange Überwachung und eine faktische Ab­schaffung ihrer Privatsphäre.

Dass Linke, die für die Anschläge unter Umständen verantwortlich sein könnten, mit einem solchen Vorgehen der eigenen Sache schaden, scheint auch den meisten Göttinger Linken klar zu sein. »Der Versuch, Kapitalverhältnis und Herr­schaft zu verstehen, um schließlich beides zu überwinden, verschwindet dabei hinter dichten Rauchschwaden«, hieß es in einem im Januar erschienenen Kommentar zu der Anschlagsserie in einer Szenepublikation. Man ist eher etwas ratlos angesichts der Anschläge. Die Frage, die sich Linke und Polizei in Göttingen derzeit gleichermaßen stellen, ist: Wer macht so was bloß, und warum?