Das erfolgreichste deutsche Schlagerduo »Die Amigos«

Ein Tag im Schunkel-Paradies

Vergessen Sie alles, was Sie in »Fleisch ist mein Gemüse« zu sehen kriegten. Die Rea­lität des deutschen Provinzschlagers ist noch viel härter. Maurice Summen hat es am eigenen Leib erlebt; Im Konzert der Sauerländer Gebrüder Ulrich in der Berliner Kongresshalle. Meine Damen und Herren: Die Amigos!

Das größte Spektakel der aktuellen Schlagerszene sind die Amigos aus dem Sauerland. Die beiden Brüder Bernd und Karl-Heinz Ulrich gründeten ihre Band bereits im Jahr 1970. Die beiden, der eine von Beruf Brummifahrer, der andere Bierbrauer, tingelten zunächst erfolglos umher, bis sie schließlich von der österreichischen Plattenfirma MCP-Media im Jahr 2006 unter Vertrag genommen wurden. Diese erkannte das Potenzial der Amigos für die breite Masse und ließ sie von diversen Fernseh-Verkaufsshows anpreisen. Die Amigos, die ihre Stücke in einer zum Tonstudio umfunktionierten Garage zusammenbasteln, hatten so schnell großen Erfolg, dass sie ins professionelle Musikbusiness hineinrutschten: Echo-Nominierung, Auftritte in »Achims Hitparade« und dem »Musikantenstadl«. Ihr Album »Der helle Wahnsinn« stieg von Null auf Eins in die deutschen Albumcharts ein.
Innerhalb von nur 24 Monaten verkauften die Amigos rund 1,5 Millionen Tonträger und gehören damit zu den derzeit erfolgreichsten deutschsprachigen Künstlern. Stilistisch sind die beiden einzuordnen zwischen dem Schlager-Futurismus der Flippers und dem Schmalzgesang eines Roger Whittaker.
Ob man die Amigos nun wirklich ernsthaft als Künstler bezeichnen sollte, ist jedoch fragwürdig, denn das Bruderpaar bewegt sich auf einer phänomenalen, noch nie dagewesenen Ebene der Authentizität. Sie erinnern mit ihren unglaublich einfallslosen, sowohl schlecht komponierten als auch miserabel getexteten Liedern nicht nur an die talentlosen Schlagergruppen aus den Dörfern, sondern sie sind, so paradox das jetzt klingen mag, die erfolglose Schlagergruppe aus der Provinz – allerdings mit sensationellem Erfolg.
Die Amigos spielen nahezu alle Lieder in der gleichen Tonart mit gleichem Tempo, verachten Moll-Akkorde und unterlegen ihre Schlager mit 4-to-the-floor-Bassdrums für ihre Enkelkinder. Ob die Lieder von missbrauchten Kindern handeln (»Gebrochene Kinderherzen«), der goldenen Hochzeit (»Zwei goldene Herzen«) oder von Obdachlosen (»Der alte Mann auf der Parkbank«): Die Kompositionen sind immer gleich, die Melodiebögen hügelig-flach wie das Sauerland, und die vergurkten Rhythmen haben nicht einmal einen Hauch von Swing, sondern lassen den Eierlikör im Kühlschrank der Großmutter schlecht werden.
Die Diskografie der Freunde spricht eine eigene Sprache. 1993 heißt es »Schenk mir bitte diese Nacht«, 1994 »Sehnsucht in ihrem Herzen«, 1996 »Sterne von Santa Monica«, 2000 »Zwischen Liebe und Wahnsinn«, 2002 »Herz an Herz«, 2004 »Ich steh wieder auf«, 2005 » … durch’s Feuer«, 2006 gibt’s »Die großen Erfolge« und »Weihnachten daheim«, 2007 folgen »Das Beste«, »Die schönsten Liebeslieder«, »Ein kleines Souvenir« und »Der helle Wahnsinn«.
Auf dem Konzert der Amigos zum aktuellen Album »Ein Tag im Paradies« am Nikolaus­abend im ICC in Berlin kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Texte, die jeder versteht, natürlich in Ihrer Muttersprache«, tönt es aus den Lautsprechern, »meine Damen und Herren: Die Amigos!!!«
Was sich in den nächsten 90 Minuten vor rund 1 000 zahlenden Gästen ereignet, ist Alche­mie pur: Hier wird aus Scheiße Gold gemacht. Das zumeist aus Damen bestehende Publikum lässt sich in die Sessel im Kongresssaal fallen und wird Zeuge einer spektakulären Nihilismus-Show mit Liedern ohne Sinn.
Man kann den Amigos nicht absprechen, dass sie Songs schreiben können, denn die Stücke sind formal als Lied erkennbar: Sie haben einen Anfang, sie haben ein Ende, sie haben Stro­phen und Refrain, sie haben Text und Melodie, aber Hand und Fuß haben sie nicht.
Vor allem, wenn sie den herkömmlichen Themenpark des Schlagers verlassen, also gute Laune, Liebe, Saufen oder alles zusammen, erwartet einen Unfassbares. Geben sie zum Beispiel eines ihrer selbstfa­bri­zierten Weihnachtslieder zum Besten, so möchte man auf der Stelle ein bundesweites Verbot für selbstkomponierte Weihnachtslieder aussprechen.
Nicht etwa, dass man sich wünscht, die Amigos würden für uns »Stille Nacht« anstimmen, aber beim Anhören ihres Titels »Engel der Berge«, in dem sich jemand am Weihnachtsabend verirrt und vom besungenen Engel der Berge vor dem Erfrieren gerettet wird, möchte man doch lieber auf der Stelle schockgefrostet werden, als es nur noch einmal im Leben hören zu müssen.
Die Amigos schaffen es, dem Publikum dieses Material unterzujubeln. Oft genug betonen sie aber, dass sie selbst überhaupt keine Ah­nung hätten, wieso sie auf einmal so erfolgreich sind. Warum und vor allem wovon also sind die zahlreich angereisten Fans so begeistert?
Liegt es daran, dass die Gebrüder Ulrich die Menschen an den Traum vom Aufstieg erinnern? Vom Lastenwagenfahrer und Bierbrauer zum Millionär? Machen die Amigos die Welt gerechter, indem sie die Musik schlechter machen? Oder ist der Do-it-yourself-Gedanke aus der Punk- und New-Wave-Zeit einfach nur mit 30jähriger Verspätung im Schlagerland angekommen?
Dorfgruppen und Alleinunterhalter trauen sich in der Regel ja kaum mit eigenem Material auf die Bühne, sondern spielen lieber alte, bekannte Gassenhauer von den Stars aus dem Welt­wirtschaftswunderfernsehen. Die Amigos aber zelebrieren konsequent ihr eigenes Ding. Und landen damit im Fernsehen.
Diese Band macht ihrem Publikum auch völlig plausibel: »Keine Ahnung, wie das alles passieren konnte. Wir können euch nur dafür danken. Es ist der helle Wahnsinn!« Besser hätte man es nun wirklich auch nicht sagen können.