»Alarm für Cobra 11«

Independence Day auf der A 61

Serie über Serien. Ein plastischer Eindruck vom Wesen zyklischer Krisen des Kapitals.

Nachdem ich eine Zeit lang für die propere »Nanny« geschwärmt hatte – weniger ihrer engen Kleider, in denen sie aussah wie eine Landleberwurst, als vielmehr ihrer schrillen jiddischen Momme und ihrer peinlichen Mischpoke wegen –, kann ich nun am Abend des Donnerstag keine Verabredung treffen. Donnerstag, zwanzig Uhr fünfzehn, kommt »Alarm für Cobra 11« auf RTL.
Die Serie spielt im Wesentlichen auf zwei Ebenen – einer mehr privaten und einer quasi öffentlichen, auf der kriminelle Fieslinge unschädlich gemacht werden.
Beides ist kein Grund, »Alarm für Cobra 11« zu lieben. Ohne private Techtelmechtel und gelegentliches Mobbing im Büro kommt heutzutage kein Krimi mehr aus.
Vor allem zwei der Antagonisten – ein Dicker und ein Langer – sorgen für Abwechslung. Mal will der Dicke Vertrauensmann werden, und mal droht der Sohn des Langen ins kriminelle Milieu abzugleiten. Die Chefin verknallt sich in den Gangsterboss, der im Hauptberuf ein hohes Tier beim Landeskriminalamt ist, und die Frau des kleinen dicken Protagonisten Semir, die praktischerweise im gleichen Büro als Tippse schafft, leidet unter Vernachlässigung.
Es kommt auch vor, dass der zweite Protagonist, ein Schönling, sich in eine arrogante Schönheit verliebt, die er irrtümlich für die Bossin einer Bande von Schmugglern exotischer Tiere hält, die in Wahrheit jedoch eine verdeckte Ermittlerin ist.
Dergleichen Verwicklungen werden niedrig gehängt, erhöhen also nicht den Reiz der Serie, selbst wenn die ganze Mannschaft samt Chefin sich gelbe Fußballtrikots überzieht, weil es gegen das Rauschgiftdezernat geht, und die Bremsflüssigkeit aus dem Schlauch läuft, denn wer überleben muss, weiß der erfahrene Cineast nach zehn Metern, und dass das ganze Revier über’n Jordan geht, liegt außerhalb jeder Serienlogik.
So haben die zwischenmenschlichen Gags den Unterhaltungswert eines Leit­artikels von Frank Schirrmacher. Vor einigen Wochen schenkte der Lange dem Dicken einen rosafarbenen Kleinwagen, und wenn Semir seiner Gattin zum Schluss am plätschernden Rhein die ersehnte Liebeserklärung macht, klappt das wie in »GZSZ«.
Was zerrt mich dann aber vor den Bildschirm, wenn weder die Krimi­nalität noch der Klönschnack die europäische Gemütlichkeit stören?
Es sind die Massen­karambolagen, die bei mir zwei Effekte auslösen. Zunächst verlasse ich die Acht-Uhr-Nachrichten schon vor dem Wetter, um den Anfang nicht zu verpassen, und danach fühle ich mich veranlasst, 60 Minuten dranzubleiben, um die abschließende Verfolgungsjagd mit automobilistischer Hinrichtung des Übeltäters nicht zu verpassen.
»Alarm für Cobra 11« ist eine unbedeutende Serie, die von zwei atemraubenden Unfallserien eingerahmt wird. Vor allem die einleitende Katastrophe ist großartig. Cronenbergs »Crash« ist dagegen Gehirnwichsen. Nach wenigen Sekunden Vorgeplänkel – Semir hat versehentlich das Handy seiner Liebsten eingesteckt – geht’s los. Hochkarätige Limousinen verwandeln sich in Ufos, durchschlagen der Länge nach vollbeladene Trucks samt Anhänger, und binnen einer Minute gleicht die A 61 dem Set von »Independence Day«. Kaum Leichen, zwei unversehrte Protagonisten, die nach einem »neuen Dienstwagen« telefonieren, jede Menge Rettungsfahrzeuge und ein halbes hundert zermanschte, qualmende PKW und Fernlastwagen.
Ich habe mich gefragt, woher meine Lust an dieser Szene kommt. Der Grund ist evident.
Es bleibt so schrecklich unsinnlich, wenn Daimler-Chef Schrempp mal eben fünf Milliarden in den Sand setzt. Wenn aber Semir am Steuer seines fabrikneuen Dienstwagens Marke Mercedes, Anschaffungswert 86 000 Euro, durch eine Unachtsamkeit des überholenden ukrainischen LKW-Fahrers Luxuskarossen und Brummis im Gesamtwert von geschätzten zehn Millionen zerlegt, so bekomme ich ein Gefühl für das Wesen zyklischer Krisen des Kapitals.