Die Debatte über den islamischen Religionsunterricht

Kein Zweifel am Propheten

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und Innenminister Schäuble setzen sich mittlerweile für den islamischen Religionsunterricht ein. Doch wie sollen die Religionslehrer ausgebildet werden? Muslimische Verbände lehnen historisch-kritische Methoden ab. Das zeigt der Fall eines Professors aus Münster.

Seit Sven Kalisch mit 15 Jahren zum Islam übergetreten ist, trägt er zusätzlich den Namen Muhammad. Zeitungen in muslimischen Ländern sprechen ihm diesen Namen mittlerweile ab. Er sei abtrünnig geworden, da er die tatsächliche Existenz des Propheten anzweifle. Nach Auffassung fundamentalistischer Muslime steht darauf die Todesstrafe.
Kalischs Büro wurde aus Sicherheitsgründen mittlerweile verlegt. Er hatte 2004 die Professur für den bundesweit ersten Lehrstuhl für die Religion des Islam am »Centrum für Religiöse Stu­dien« der Universität Münster erhalten. Damit war er der erste Professor in Deutschland, der islamische Religionslehrer ausbilden sollte.

Seit mehr als 20 Jahren wird in Deutschland darüber diskutiert, ob ein islamischer Religionsunterricht eingeführt werden soll. Die Debatten waren und sind bisweilen rassistisch geprägt. Andererseits wird aber auch zu Recht befürchtet, der Unterricht könne dazu missbraucht werden, eine reaktionäre Ideologie zu verbreiten. Inzwischen mehren sich die Befürworter. So hat sich das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, ein Zusammenschluss von Laien in der katholischen Kirche, im vergangenen Monat erneut für den islamischen Religionsunterricht ausgesprochen. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) befürwortet die Gleichbehandlung der Religionen nach dem Grundgesetz und deshalb den islamischen Religionsunterricht.
»Allerdings«, so sagt Schäuble, »müssen die Muslime selbst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie als Religionsgemeinschaft anerkannt werden« – um als solche dabei zu helfen, den Religionsunterricht an den staatlichen Schulen zu gestalten. Bisher fehlte es vor allem an einem muslimischen Ansprechpartner. So gab es bislang nur vereinzelte Versuche, einen freiwilligen Islamkundeunterricht zu betreiben, in dem im Unterschied zum christlichen Bekenntnisunterricht jedoch auf die Verkündung des Glaubens und die Erziehung zum Glauben verzichtet werden sollte.
Kalischs Lehrstuhl wurde indes mit dem Ziel ins Leben gerufen, Lehrerinnen und Lehrer für einen islamischen Religionsunterricht auszubilden, der künftig in Zusammenarbeit mit einem muslimischen Ansprechpartner als ordentliches Lehrfach angeboten werden sollte. Ein vorläufiger Beirat muslimischer Verbände hatte zunächst die Professur Kalischs unterstützt und eine Zusammenarbeit angekündigt. Der Beirat hatte jedoch nur eine beratende Funktion, wohingegen die Kirchen den christlichen Religionsunterricht maßgeblich gestalten können.
In dem Beirat sind die Türkisch-Islamische Union (Ditib), der Verband der islamischen Kulturzentren und der Zentralrat der Muslime sowie der von der islamistischen Bewegung Milli Görüs geprägte Islamrat vertreten. Diese Organisationen gründeten im März 2007 den Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland als Dach­verband. Dieser wird zwar rechtlich noch immer nicht als Ansprechpartner für einen ordentlichen Religionsunterricht anerkannt, politisch erhebt er aber seitdem einen Alleinvertretungsanspruch. Dabei repräsentieren die beteiligten Verbände weniger als zehn Prozent der Muslime in Deutschland, und vor allem die liberalen Organisationen sind nicht beteiligt.

Der Bundesregierung und den Ländern kommt es jedoch gelegen, mit dem Koordinierungsrat endlich einen Ansprechpartner gefunden zu haben – da scheint man es weder mit der politischen Ideologie noch mit der fehlenden Legitimation der vertretenen Verbände sonderlich ernst zu nehmen. Stattdessen gab die nordrhein-westfälische Landesregierung im September dem Drängen des Dachverbandes nach. Dieser hatte die Zusammenarbeit mit Kalisch wegen einer »erheblichen Diskrepanz zwischen den Grundsätzen der islamischen Lehre« und Kalischs »veröffentlichten Positionen« aufgekündigt. Die Universität Münster entzog dem Professor daraufhin mit der Unterstützung des Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart (FDP) die Befugnis zur Ausbildung von Religionslehrern. Ansonsten bleibt Kalisch aber der Inhaber des Lehrstuhls. »Für alle Wissenschaftler, auch in der Islamischen Religionswissen­schaft, gilt die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre«, bemerkte Pinkwart dazu.
Kalischs wissenschaftlicher Umgang mit dem Koran wurde von den muslimischen Verbänden seit längerem kritisiert. Daneben griffen einige islamische Vertreter seine liberalen Äußerungen zum Karikaturenstreit 2006 scharf an. Die neuesten Thesen Kalischs waren dann ein willkommener Anlass, um die Zusammenarbeit mit ihm zu beenden. Es geht um einen Aufsatz, den Kalisch auf der Internetseite seines Lehrstuhls veröffentlichte. Er schreibt darin: »Meine Position bezüglich der Frage der Geschichtlichkeit Muhammads ist, dass ich weder seine Existenz noch seine Nichtexistenz für beweisbar halte. Ich tendiere zwar zur Nichtexistenz, für beweisbar halte ich sie jedoch nicht.«
Kalisch plädiert für eine historisch-kritische Forschung zur Existenz Muhammads, ähnlich der Bibelarchäologie. Nichtislamische Zeugnisse bewertet er als eigenständige Quellen, die mit der religiösen Geschichtsschreibung verglichen werden müssten. Dabei steht die islamische Forschung zunächst vor Schwierigkeiten. »Die Bibelarchäologie hat einfach aufgrund ihrer längeren Geschichte eine wesentlich größere Dichte von Funden aufzuweisen, während im Islam ja schon darin ein Problem besteht, dass an den interessantesten Plätzen gar nicht gegraben werden darf«, schreibt Kalisch.

Diese Methode erschüttert eine Religion in ihren Grundsätzen, zumal die nichtreligiösen Quellen weniger im Verdacht stehen, ideologisch verfälscht worden zu sein. Die christliche Theologie hat diese Erschütterung mehr oder minder verwunden. Wenn auch die Existenz Jesu nur von einer Minderheit von Forschern bezweifelt wird, besteht jedenfalls die Freiheit, solche Ansichten zu vertreten. Diese Freiheit fordert Kalisch auch in der Islamwissenschaft.
Kalischs Aufsatz sollte aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Existenz oder Nichtexistenz Muhammads betrachtet werden. Der Professor betont selbst, der bestehenden Forschungs­lage nicht viel Neues hinzugefügt zu haben. Obwohl er den Stand der Forschung ausführlich diskutiert, legt er sich nicht auf ein Ergebnis fest. Allerdings hält er es für wahrscheinlich, dass der Islam aus mystischen Strömungen des Christentums hervorgegangen ist. Die islamische Religion wäre also Mystik, der Koran Mythologie.
Für Kalisch ist das kein dramatischer Schluss. Vielmehr ist er mit seinen grundsätzlichen religionsphilosophischen Vorstellungen vereinbar. Religion versteht er als metaphysische, nicht als historische Wahrheit. Einen Gottesbeweis jenseits der subjektiven, spirituellen Erfahrung hält Kalisch für gescheitert. Religionen seien spirituelle Traditionen, die für den Einzelnen nur das Angebot darstellten, sie anzunehmen, abzulehnen oder zu ändern. Der Maßstab, den der Einzelne dabei anzulegen habe, sei die Vernunft. Sie ist für Kalisch kein relativer Begriff, ihm zufolge sind aus Sicht der Vernunft »Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und Pluralismus unverzichtbar«. Das mag selbstverständlich klingen, für die materialistische Kritik sogar anachronistisch – aber für den Islam könnte es eine kleine Revolution darstellen.