Was die Computer- und Videospielbranche derzeit anbietet

Wenn Meister Proper Städte plant

Hüpfen, rennen, schlagen, denken – was die Computer- und Videospielbranche derzeit zu bieten hat.

Computer- und Videospiele seien erwachsen geworden, heißt es immer wieder. Eigentlich sind sie das schon längst. Nur hängt es eben in erster Linie von der existierenden Technik ab, wie ein Spiel ausschaut und wie es sich spielen lässt. Jedoch nicht immer.
Als Anfang der achtziger Jahre mit »Donkey Kong« und »Pitfall!« die ersten Jump’n’Run-Spiele erschienen, war es der technische Höhepunkt, dass sich die Figuren durch einen zweidimensionalen Raum bewegen konnten. Heutzutage geschieht das nicht nur im dreidimensionalen Raum. In »Mirror’s Edge« erlebt man das Geschehen sogar aus der Ich-Perspektive, steuert den Helden also so, wie es bislang lediglich im Ego-Shooter-Genre der Fall war. In »Mirror’s Edge« geht es tur­bulent zu, vor allem älteren Spielern dürfte es gefallen. Das Beste daran: Man agiert mittendrin.
Faith, die zu steuernde Hauptfigur, ist eigentlich Botin, wird aber in einen Mordfall verwickelt, sodass sie unentwegt auf der Flucht ist. Sie hetzt von Dach zu Dach, balanciert in Schwindel erregender Höhe über Stahlrohre, hopst über Geländer und schwingt sich über Abgründe. Faith könnte sich irgendwo verstecken, doch die Ge­schich­te findet in einer Gesellschaft statt, die George Orwell hätte erdenken können. Das Verbrechen wird im Keim erstickt. Und deshalb sehen die Gebäude auch so aus, als wäre Meister Proper der Stadtplaner gewesen: nirgends eine Spur von Dreck, weder Krümel noch herumfliegende Plastikverpackungen.
Doch so toll »Mirror’s Edge« auch ist, so sehr raubt es einem auch den Nerv. Schließlich kommt es nicht selten vor, dass man sich überhaupt keinen Überblick verschaffen kann und ins Leere springt, stets in der Hoffnung, dass Faith auf einem gegenüberliegenden Dach landet. Wenn es ihr nicht gelingt, sich schnell genug an einem Rohr festzuklammern, an dem sie nach oben klettern kann, segelt die sportive Frau mir nichts dir nichts in die Tiefe und bricht sich das Genick. Nur gut, dass Faith bald darauf wieder an ihrem zuletzt erreichten Checkpoint lossprinten kann.

Die Frustration hängt aber nicht zwangsläufig mit aufwändig dargestellten Spielwelten zusammen. Auch einfache Ansätze können herausfordern. Das zeigt zum Beispiel »World of Goo«, ein ausgefallenes Knobelspiel, bei dem man Konstruktionen miteinander verbinden muss, um klei­ne, schleimartige Kugelwesen zum Ziel zu geleiten. Ja, das Prinzip klingt simpel. Doch wer früher ausgiebig »Lemmings« gespielt hat, der weiß, dass sich hinter derartigen Ansätzen mehr versteckt: Die Hindernisse, die immer wieder plötzlich im Weg stehen, machen es dem Spieler zusehends schwerer. Zusätzlich ist die Konstruktion schwabbelig. Muss man sie etwa von unten nach oben um eine Ecke bauen, bewegt sie sich, abhängig von der Montage, hin und her. Berührt der Bau dann ein scharfes Messer in der Nähe, macht es schnipp und der betroffene Teil ist dahin.
»World of Goo« ist kurz vor Weihnachten erschie­nen und eines der Spiele, die zweierlei beweisen: Zum einen bedarf es keiner großen Teams, die jah­relang an ein und demselben Spiel ackern. Das trifft im Fall von »World of Goo« zu. Es wurde lediglich von zwei amerikanischen Independent-Entwicklern geschaffen. Zum anderen lassen sich niedliche Wesen viel einfacher ins Herz schließen. Die Kugelwesen sind zwar aus schwarzem Schleim, sie geben aber solch besorgniserregende Töne von sich und schauen mit ihren verhältnismäßig großen Augen so süß aus, dass sie unweigerlich Schutzinstinkte wecken.
»World of Goo« ist aber nicht bloß ein Knobelspiel, das mit viel Charme daherkommt. Es zeigt auch, dass das Leben mitunter sehr hart sein kann. Jeder Schritt, fast so wie jede Entscheidung im Leben, muss wohl überlegt sein. Es lassen sich jedoch Schritte rückgängig machen. Anderer­seits ist dies keine Garantie dafür, dass dann alles besser wird. Womöglich ist es nämlich sinnvoller, einfach noch mal von vorne zu beginnen und die Konstruktion zu überdenken. Und der An­spruch an das Denken ist ja ohnehin ein Faktor, der dazu geführt hat, dass Computer- und Videospiele zur Massenware wurden. Deshalb sprechen viele Beobachter auch davon, dass die Spiele erwachsen geworden seien. Tatsächlich zutreffender ist die Feststellung, dass die erste Generation von Spielern erwachsen geworden ist.
Zu dieser Entwicklung, in deren Verlauf Computerspiele eine größere gesellschaftliche Anerkennung gefunden haben, hat Nintendo maßgeb­lich beigetragen. Hier sei vor allem »Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging« erwähnt. Denn obwohl es vergleichbare Denkaufgaben bereits vor etlichen Jahren gegeben hat, wurde das Konsolenspiel ein überaus großer Erfolg. Daraufhin haben etliche Firmen versucht, an das Vorbild der Japaner anzuknüpfen, tatsächlich ist dies aber kaum gelungen. Meist gibt es nur billige Nachahmungen auf dem Markt. Darüber hinaus hat es Nintendo nicht nur geschafft, in den Kinderzimmern den Dauerbetrieb der Fernseher zu gewährleisten. Mittlerweile gibt es sogar einige Familienspiele, neuerdings auch vollständige Spielesammlungen. Daneben ist es Sony mit der »SingStar«-Reihe gelungen, für unzählige Trällerabende zu sorgen.

Mit »Professor Layton und das geheimnisvolle Dorf« ist allerdings ein Spiel erschienen, das zeigt, dass »Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging« schon wieder überholt ist. Für ältere Menschen mag dessen übersichtliches Konzept zwar weiterhin angenehm sein, die Aufgaben, die in »Professor Layton und das geheimnisvolle Dorf« zu meistern sind, machen aber viel mehr her. Eingebunden in eine Detektivgeschichte, in der der Archäologe Hershel Layton und sein junger Gehilfe Luke einen Erbschaftsstreit beilegen sollen, muss man Rätsel in großer Zahl lösen. Der Ausdruck Rätsel ist indes ein wenig irreführend. Tatsächlich handelt es sich nämlich um Denksportaufgaben, bei denen eine allzu komplizierte Herangehensweise zu falschen Annahmen verleitet.
So überraschend mitreißend »Professor Layton und das geheimnisvolle Dorf« ist, so enttäuschend fällt das Hack’n’Slay-Spiel »Rise of the Argonauts« aus. Denn die Action ist so öde, ja derart altbacken, dass man schnell die Laune verliert und den Controller wütend in die Ecke schmeißt. Den Ent­wicklern stand nicht genügend Zeit zur Verfügung, denn das Spiel sollte unbedingt noch vor Weih­nachten in den Verkaufsregalen stehen. Das bestätigen vor allem die starren Gesichtsanimationen und der teilweise rucklige Bildfluss. Ein weiteres Dreivierteljahr Entwicklungszeit hätte »Rise of the Argonauts« sicherlich gut getan. Stattdessen haben aber wieder mal die Gesetze des Marktes entschieden.
Eingangs wurde erwähnt, dass die Qualität eines Spiels von der existierenden Technik abhängt. Das trifft jedoch nur bedingt zu. »Rise of the Argo­nauts« etwa ist kein Spiel für Next-Generation-Konsolen, nur weil es für die Playstation 3 erhält­lich ist. Denn das, was allein für die neue Konsolengeneration entworfen wurde, sieht so aus wie »Assassin’s Creed« oder »Metal Gear Solid 4«. »Rise of the Argonauts« hingegen ist ein vergeblich aufgeblähtes Werk, das sich auf dem Niveau der Playstation 2 bewegt. An sich wäre das nicht schlimm, wenn es wenigstens dem Spieler das Gefühl geben würde, er erlebe etwas Neuartiges.

Eine Seltenheit ist das allerdings nicht. Man kann gut an den Verkaufscharts ablesen, dass populäre Reihen immer wieder die Gunst der Konsumenten erhalten. »Need for Speed: Undercover«, der bislang letzte Teil der bekannten Rennsimulation, wurde kurz nach der Veröffentlichung sehr häufig verkauft, andererseits aber von den Kritikern verrissen. So zeigt sich, dass Fortsetzungen zwar den Produktionsfirmen eine Sicherheit bieten, nicht aber den Käufern. Auf lange Sicht sorgen bei den Konsumenten andere Spiele für Freude. Das können durchaus solche sein, die man mit dem Prädikat »klein, aber fein« versieht. Dazu gehören nicht nur »World of Goo« und »Professor Layton und das geheimnisvolle Dorf«, sondern auch das Geschicklichkeitsspiel »LocoRoco 2«, in dem niedliche, unentwegt singende Wesen durch kunterbunte, zuweilen labyrinthartige Welten rollen – und dabei die Herzen im Sturm erobern.
Auch eine weitere Entwicklung sollte nicht vernachlässigt werden: die Familienunterhaltung. Vor allem mit der »Wii« existiert eine Spielkonsole, die Eltern und Kinder gleichermaßen benutzen können. Mit »Wii Sports«, das dem Gerät beiliegt, kann man in den eigenen vier Wänden Bowling oder Tennis spielen oder boxen. Nintendo bewirbt die Wii-Konsole immer noch so, als wäre sie gerade erst erschienen. Dabei ist sie schon seit zwei Jahren erhältlich. Dem Unternehmen geht es jedoch in erster Linie darum zu vermitteln, wie einfach der Einstieg und wie groß der Spielspaß ist. Die Zielgruppe wird währenddessen so groß wie möglich gehalten: »Wii Music«, so suggeriert es zumindest ein Fernsehspot, könnte auch von einem 70jährigen gespielt werden.