Der Suhrkamp-Verlag soll nach Berlin ziehen

Das Feuilleton als Scheiterhaufen

Der Suhrkamp-Verlag soll vielleicht nach Berlin ziehen. Sicher ist noch gar nichts. Spekuliert wird dafür umso mehr.

Derzeit, so scheint es, hat das deutsche Feuilleton nicht richtig viel zu tun. Die Berlinale hat gerade erst angefangen, der neue Kehlmann ist schnell weggelobt, die Finanzkrise bleibt für verängstigte Kulturarbeitende völlig unverständlich, und das Prekariat, von dem man eh nicht so genau weiß, was es sein soll, lernt man, wenn der Redakteurs­platz alsbald weggekürzt wird, noch zur Genüge kennen. Daher beschäftigt man sich heuer lieber mit anderen Dingen. Aber mit was? Der Zufall sei gepriesen, es stolperte die geschickt an einem unverdächtigen Platz, nämlich in einem Fachmagazin für Werber, lancierte Nachricht herein, dass der Suhrkamp-Verlag erwäge Frankfurt zu verlassen, um seine Zelte in Berlin aufzuschlagen. Begeisterung allerorten. Ein Thema, nein, so­gar ein gefundenes Fressen für alle Redakteurinnen und Redakteure in den Kulturressorts.
Suhrkamp ist bekanntlich jener Verlag, den die heutigen Jungredakteurinnen und Jung­redak­teure angeblich vor 40 Jahren, als sie von ihren Eltern noch nicht eingeplant waren, bereits für Adorno liebten (oder tatsächlich dann in ihrer Pubertät für Hesse) – bekanntlich hält der deutsche Denker die Tradition sogar dann noch hoch, wenn er nicht weiß, warum sie eine Tradition ist. Dort, also bei Suhrkamp, so hat man mal von älteren Kollegen gehört oder in Martin Walsers Tagebüchern erschnüffelt, gab es bis 2002 den guten König Siegfried Unseld, der eine »Legende« ist, was einfach zu behaupten im Regelfall genügt. Genügt es wider Erwarten doch nicht, verweist man auf Adorno, Hesse oder Walser, dann schließt sich der Kreis, und der Jungredakteur ist glücklich bei sich selbst angekommen und Unseld als Übervater bestätigt. Diese Selbstfindung bietet allerdings nur den Hin­tergrund für eine vordergründige Überlegung: Wie kann es sein, dass heutzutage eine Frau/Hure/Verführerin/Hexe (Zutreffendes bitte ankreuzen) diesen Verlag leiten darf, und zwar, als Erbin des großen Übervaters Unseld – kann das mit rechten Dingen zugegangen sein? – und, schlimmer noch, offensichtlich nach ihrem eigenem Gusto.
Ulla Unseld-Berkéwicz nämlich, von der hier die Rede ist, ist eine Autorin, die sich schon lange rühmen darf, zwar nicht eine verfolgte Unschuld zu sein, wohl aber vom deutschen Feuilleton geradezu fanatisch belangt zu werden. Unseld-Berkéwicz schlägt, spätestens seit sie es sich erlaubte, den Verlag selbst zu führen, unverhohlener Hass entgegen, mit einer Abneigung gegen Frauen allein ist dieser kaum noch zu erklären, dass dieser Hass vor allem von Frauenhass motiviert ist, ist allerdings leicht nachzuweisen.
Frau Unseld-Berkéwicz nämlich hat es gewagt, sich im Verlag just so zu benehmen wie zuvor ihr Gatte, was heißt, dass einige Manager ihren Platz räumen mussten, wie bereits unter dem alten Patriarchen einige Nachfolger durch das Haus geführt und schließlich hinausgeworfen wurden, darunter befand sich sogar ein leibliches Kind. Unseld-Berkéwicz aber ist, da sie Frau ist, die Möglichkeit zum Patronat nicht gegeben. Da sie es sich dennoch, wie es ihr verbrieftes Recht ist, angeeignet hat, muss es, so munkelt man, nicht mit rechten Dingen zugehen im Haus. Dass etwa Martin Walser ihretwegen, nach­dem er von ihr auch öffentlich scharf angegriffen wurde, das Haus verließ, rechnet man ihr noch heute als Versagen an, dass sie nahezu zeitgleich Christa Wolf zu Suhrkamp holte, mit der mit Sicherheit ein größeres Schulbuch­geschäft zu machen ist, wird weitestgehend igno­riert.
Dass es Unseld-Berkéwicz in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin nun erwägt, den Suhrkamp Verlag aus Frankfurt/Main nach Berlin zu versetzen, trägt man ihr genauso nach. Viele Dinge spielen hinein: Offensichtlich macht der Kultursenator, der in Berlin zur Zeit identisch mit dem Oberbürgermeister Klaus Wowereit ist, ein ziemlich verlockendes finanzielles Angebot, mit dem er den prestigeträchtigen Umzug unterstützen würde, dieses nicht wenigstens zu erwägen, wäre eine ökonomische Dummheit. Doch im Feuilleton, in dem Fragen der Ökonomie selten eine Rolle spielen, redet man vielmehr über die Kraft des Symbolischen. Das nun eine Frau und ein offen schwuler Bürgermeister miteinander etwas verhandeln, scheint daher einer kleinen Verschwörung nahe zu kommen. Wenn etwa die Honoratioren der Stadt Frankfurt, die ja völlig zu Recht um Suhrkamp ringen, verlautbaren lassen, es sei unlauter, dass der Bürgermeister einer Stadt eine solche Offerte unterbreite, wird dies bedenkenlos im Feuilleton nachgeplappert, da man in den Kulturredaktions­stuben halt nicht weiß, dass dergleichen in der sonst stets gepriesenen freien Wirtschaft gang und gäbe ist. Man will geradezu mit Verbissenheit etwas Unlauteres in diese Verbindung hinein­geheimnissen. Auch der Umstand, dass ein solcher Umzug den ökonomischen Vorteil böte, einige ältere Mitarbeiter, die wegen ihrer langjährigen Beschäftigung im Haus höher bezahlt werden als jüngere, nun zu verlieren, da sie den Umzug nicht mitmachen würden, wird beschworen wie ein Unding. Es ist aber – wir leben im Kapitalismus, und jeder und jede darf mit seinem und ihrem Eigentum machen, was er oder sie will – ebenso üblich, wie gerade auch die Mitarbeiter von Sat 1 erfahren. Man wirft Suhrkamp also nichts weniger vor, als dass sich die Verlagsleitung verhält, wie sich die kaufmännische Verlagsführung nun einmal verhalten sollte.
Vor allem: Es ist nichts entschieden. Zwar sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses alarmiert, und 80 Prozent der Belegschaft, so ergab eine interne Umfrage, wollen lieber am Main bleiben, doch eigentlich gibt es weiter nichts zu erzählen. So wurde noch einmal vermeldet, dass die Verlagsführung sich bis Mitte Februar entscheiden werde, ob sie umziehe oder nicht.
Dass der ganze Verlag Frankfurt verlässt, ist dabei nicht einmal wahrscheinlich, denn das Verlagsgebäude ist Grundeigentum des Verlags, das darin befindliche Archiv zu versetzen wäre arg teuer, zudem wurde das Haus vom Über­vater gebaut, ist also auch legendenumwoben. Dennoch kann es sein, dass ein Großteil der Verlagsabteilungen in die Hauptstadt zieht, und sehr wahrscheinlich ist das eine ökonomisch sinnvolle Erwägung.
Dass es hier um ökonomische Fragen geht, wird aber, wie gesagt, vom Feuilleton gänzlich ignoriert, oder sogar, als sei Handelnkönnen ein Verbrechen, als verwerflich gebrandmarkt. Vor allem unterstellt man der Verlagsleiterin persönliche Motive – sie wolle den Übervater und dem durch seine Legendenhaftigkeit ausgelösten Erwartungsdruck auf ihre Person entfliehen, indem sie umzöge. Das Verhalten der Dame wird also psychologisiert, wenn nicht pathologisiert.
Das alles ist schrecklich mitanzusehen, weil so viel Zeit darauf verschwendet wird, diesen Verlag gegen sich selbst zu verteidigen. Obschon dafür zur Zeit kein Grund besteht. Suhrkamp macht Programme, die mal stärker, mal schwächer sind, zweifelsohne aber ist der Verlag weiter­hin einer der wichtigsten Verlage des Landes. Und er ist zunächst einmal ein Wirtschaftsbetrieb, der geleitet wird von jener Frau, die über den Mehrheitsanteil verfügt. Diese leitet ihn, wie sie glaubt, ihn leiten zu müssen. Wem das nicht schmeckt, der kann ja seinen eigenen Verlag aufmachen.