Die nationalistischen Streiks der britischen Arbeiter

Nationalistisch gegen die Krise

In Großbritannien streikten Arbeiter und erhoben die Forderung »Britische Jobs für britische Arbeiter«. Das hatte auch der Pre­mierminister versprochen, dessen Labour-Regierung den Streik aber verurteilte.
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»Wenn die uns nach Hause schicken, dann verlan­gen wir auch Fabio Capello zurück«, kommentierte ein italienischer Arbeiter den Protest seiner Kollegen im britischen Hafen von Grimsby. Doch die Parolen der Streikenden richteten sich nicht gegen den italienischen Trainer der englischen Fußballnationalmannschaft. Sie forderten: »Britische Jobs für britische Arbeiter«. Die Botschaft der vergangene Woche in britischen Raffinerien, Kraftwerken und Atomanlagen Streikenden war deutlich und löste nicht nur in Großbritannien ei­ne heftige Debatte aus.
Den Arbeitskampf begonnen hatte die Belegschaft des Ölkonzerns Total im nordenglischen Lindsey, dort hatte eine italienische Firma den Auftrag zum Bau einer Entschwefelungsanlage be­kommen und brachte auch ihre eigenen, billigeren Arbeiter aus Italien und Portugal mit. Die bri­tische Belegschaft trat daraufhin in den Streik. Nachdem sich der Streik und mit ihm die Slogans gegen die ausländischen Arbeiter im ganzen Land verbreitet hatten, konnte die Belegschaft in Lindsey einen Sieg feiern. Mitte der vorigen Woche sagte der Konzern Total zu, die Hälfte der um­strittenen Stellen mit britischen Staatsbürgern zu besetzen. Die Belegschaft kündigte das Ende der Proteste an, aber die Debatte ist damit noch lange nicht vorbei.

In der Debatte um die ausländerfeindlichen Paro­len der Arbeiter und die nationalistischen Töne, die in Zeiten der Krise immer lauter werden, wur­de auch die Rolle der britischen Gewerkschaften thematisiert. Nach Angaben des BBC-Reporters Paul Mason waren die Streiks nicht so spontan, wie sie anfangs dargestellt wurden. Die Gewerkschaft Unite, entstanden im Jahr 2007 aus einem Zusammenschluss der Transport and General Workers’ Union mit Amicus, einer Angestelltenge­werkschaft, darf die Warnstreiks offiziell nicht un­terstützen. Doch Mason zufolge half sie, die Proteste zu organisieren, und stellte auch Geld zur Verfügung.
In Großbritannien gelten repressive Gewerk­schafts­gesetze, sie wurden in der Ära Margaret Thatchers erlassen und in der zwölfjährigen Regierungszeit der Labour-Partei nicht aufgehoben. Den britischen Gewerkschaften bleibt es wei­terhin verboten, sich an spontanen Streiks zu beteiligen. Ein Streik darf niemals kurzfristig anberaumt werden. Erforderlich für einen legalen Ausstand ist eine Abstimmung aller Gewerkschafts­mitglieder, die brieflich erfolgen muss. Auch die einflussreiche GMB (Britain’s General Union) hatte in der vergangenen Woche deshalb keine andere Wahl, als vorzutäuschen, dass sie nichts mit den Streiks zu tun habe. Den Gewerkschaften wurde die Rolle von Vermittlern aufgezwungen, die sich darum bemühen mussten, mit den Unternehmen zu verhandeln und den Konflikt so schnell wie möglich zu beenden.

Die Gewerkschaften haben allerdings eine weitere und vielleicht wichtigere Rolle gespielt. Da die Streiks mit einem Protest gegen die Personal­politik einer italienischen Firma anfingen, war es absehbar, dass xenophobe und rassistische Re­flexe eine Rolle spielen würden. Deshalb war es auch kein Wunder, dass die rechtsextreme British National Party (BNP) schnell an Ort und Stelle war und versuchte, die Proteste auszunutzen. Sie bildete die Aktionsgruppe »British Wildcats Strike Support Collective« und erstellte eine Website zur Unterstützung der Streikenden. Seit langer Zeit hatte die BNP nach einer Möglichkeit gesucht, ihren Einfluss auf die Industriearbeiter zu erhöhen, bisher jedoch ohne Erfolg. Ihr Versuch, eine alternative, »weiße« und »britische« Gewerkschaft namens Solidarity zu gründen, schlug fehl. Einige BNP-Mitglieder wurden aus anderen Gewerkschaften ausgeschlossen. Gewerkschaftlich organisierte Angestellte der Post haben sich gelegentlich geweigert, Wahlmaterial der BNP zu verteilen.
Die in die Streiks involvierten Gewerkschaften Unite und GMB haben diese Gefahr wahrgenommen, allerdings zu spät reagiert und damit den Eindruck vermittelt, die Situation sei ihnen völlig entglitten und sie stünden den rassistischen Tendenzen hilflos gegenüber. Nachdem die ausländerfeindlichen Parolen sich bereits in Großbritannien verbreitet hatten, versuchten die Gewerkschaften, sie durch »politisch korrekte« Begriffe zu ersetzen. GMB und Unite engagieren sich seit langer Zeit gegen die BNP, sie finanzieren und unterstützen die großen nationalen Kam­pagnen gegen die extreme Rechte, sowohl »Hope, not Hate« als auch »Unite Against Fascism«.
Die italienischen Gewerkschaften gaben eine Er­klärung ab, in der sie ihr Verständnis für die Bedrängnis der streikenden britischen Arbeiter, aber auch ihre Besorgnis wegen der Ausländerfeindlichkeit ausdrücken. »Was in Lincolnshire pas­siert, ist eine der hässlichsten Seiten in der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung in diesen globalisierten Zeiten: englische Arbeiter gegen italienische Arbeiter.«

Die Linke in Großbritannien beurteilte die Streiks unterschiedlich. Die Socialist Workers Party (SWP) lehnte die Aktionen ab: »Wir können uns nicht von Rassismus oder Nationalismus spalten lassen.« Bei den Protesten gegen den Krieg im Gaza-Streifen hatte die SWP allerdings weniger Probleme mit Parolen, die nationale Trennungslinien priesen.
Mitglieder der Socialist Party (früher Militant Tendency) waren dagegen in den Streikkomitees präsent und versuchten, eher traditionelle Gewerkschaftsforderungen durchzusetzen. »Dies ist kein rassistischer Streik«, sagte einer ihrer Sprecher, »sondern ein Streik für Gewerkschaftsrechte.« Immerhin gelang es, die Protestierenden davon zu überzeugen, sich für die gewerkschaftliche Or­ganisation von migrantischen Arbeitskräften und für die Zusammenarbeit der Gewerkschaften in Europa einzusetzen.
In gewisser Hinsicht waren die wilden Streiks sowohl ein Test für die Gewerkschaften als auch für die Labour-Partei, die aus einem Zusammenschluss mehrerer Gewerkschaften und sozialistischer Gruppen entstand und noch immer eng mit der Gewerkschaftsbewegung verbunden ist. Während die Gewerkschaften versucht haben, die ausländerfeindlichen Tendenzen zu bekämpfen, und zumindest erreichten, dass in Lindsey schließlich »workers of the world unite« gefordert wurde, hat sich die Labour-Partei eindeutig gegen die Streikenden gewandt.
Peter Mandelson, Minister für Geschäfte, Unter­nehmen und regulierende Reformen, forderte sogar, gegen die streikenden Arbeiter vorzugehen. Auch Premierminister Gordon Brown hatte im Jahr 2007 »britische Jobs für britische Arbeiter« gefordert. Die Regierung bemüht sich seit Jah­ren, die »Britishness« der Briten zu steigern, leistete also auch ihren Beitrag zur Verbreitung nationalistischer Ressentiments. Andererseits verteidigt sie kompromisslos die EU-Arbeitsgesetze, die transnationalen Unternehmen weitreichende Rech­te zugestehen und die Gewerkschaften benachteiligen. Da mag manch einem Arbeiter die BNP attraktiver erscheinen. Bislang stellt die BNP weder einen Abgeordneten im Europa- noch im britischen Parlament. Die Gewerkschaften befürchten, dass die Rechtsextremisten bei den Europa-Wahlen im Juni mehr Erfolg haben könnten.