Die Niederlage der israelischen Linken

Israels Linke ohne Perspektive

Wirtschafts- und sozialpolitische Themen spielten bei der Wahl kaum eine Rolle. Die linken Parteien haben aber nicht nur zu diesen, sondern auch zu friedenspolitischen Fragen keine Alternativen anzubieten.

Es ist ein trauriges Häufchen, das von der einstmals so stolzen israelischen Arbeitspartei übrig geblieben ist. Nur knapp über zehn Prozent der Stimmen konnte sie bei den Wahlen auf sich vereinigen. Die Hoffnung des Parteivorsitzenden, Verteidigungsminister Ehud Barak, durch seine gute Presse während der Militäroffensive im Gaza-Streifen den seit mehreren Wahlen anhaltenden Niedergang zu stoppen, hat sich nicht erfüllt. Auch in Israel bestätigte sich einmal mehr die Regel, dass mit rechter Politik kein linker Wahlkampf zu gewinnen ist, da jeder weiß, dass die politische Rechte rechte Politik besser macht.
Es hat dann auch nicht lange gedauert, bis der Rücktritt Baraks gefordert wurde. An die Spitze der Kampagne hat sich dessen Vorgänger Amir Peretz gestellt. Am Samstag erklärte er seine Kandidatur für den Parteivorsitz. Peretz allerdings hat seine eigenen Erfahrungen mit dem Versuch, sich durch militärische Erfolge politisch zu profilieren. Während des zweiten Libanon-Kriegs, der in der Öffentlichkeit schnell als Desaster gewertet wurde, war Peretz Verteidigungsminister. Dieses Amt und den Parteivorsitz verlor er daraufhin an Barak.

Der Niedergang der Arbeitspartei hat historische Dimensionen. Hervorgegangen war sie 1968 aus der Partei Mapai, die seit den dreißiger Jahren die dominierende politische Partei des Yishuv, der jüdischen Gemeinschaft in Palästina, war und Israel bis 1977 ununterbrochen regierte. Nach ihrer Rückkehr an die Macht unter Yitzhak Rabin war die Arbeitspartei in den neunziger Jahren die treibende Kraft hinter dem Oslo-Friedensprozess. 1996 wurde Ehud Barak Regierungs­chef. Unter seiner Führung standen Israelis und Palästinenser kurz vor einer Einigung, doch der Oslo-Prozess scheiterte, und Ariel Sharon wurde im Februar 2001 zum Ministerpräsidenten gewählt.
Stillstand und Rückschläge im Friedensprozess hatte es auch zuvor gegeben, diesmal aber war es etwas anderes. Als wegen beidseitiger Starrsinnigkeit die Verhandlungen in Camp David im Sommer 2000 festgefahren waren, gab Barak die Parole aus, dass es auf palästinensischer Seite keinen Partner für einen Frieden gäbe. Die Palästinenser, allen voran Yassir Arafat, gaben dem nachträglich Plausibilität, als sie sich in der zweiten Intifada wieder einer militanten Strategie verschrieben. Mit der Parole aber hatte Barak dem Friedensprozess die gesamte Grundlage entzogen. Nicht nur, dass die israelischen Wähler daraus schlossen, dass, wenn es keinen palästinensischen Partner gebe, man auch keinen israelischen Verhandlungsführer brauche. Indem die Arbeitspartei als Initiatorin des Oslo-Prozesses dessen Scheitern erklärte, trug sie zugleich entscheidend dazu bei, dass die Hoffnung auf eine Einigung mit den Paläs­tinensern verschwand.

Seither hat die Arbeitspartei sämtliche Wahlen verloren, doch die Konsequenzen dieser Entwicklung reichen weiter. Neben der Arbeitspartei ist die linksliberale Partei Meretz die zweite große Verliererin der Wahlen. Meretz erhebt den Anspruch, die zionistische Linke zu vertreten, die konsequent für einen Frieden mit den Palästinensern eintritt. Mit der Hoffnung auf einen solchen Frieden schwanden auch die Wählerstimmen für Meretz. Darüber hinaus aber fehlt die gesellschaftliche Resonanz für eine aktive Friedenspolitik mittlerweile fast völlig. Nicht zufällig ist ein Protest gegen den Gaza-Krieg, dessen katastrophale Folgen für das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern jedem klar sein mussten, weitgehend ausgeblieben. Auch Meretz hatte den Krieg grundsätzlich unterstützt. Die Arbeitspartei selbst ist in den Ansichten zu dieser Frage kaum noch von gemäßigten rechten Parteien wie der Kadima von Zipi Livni zu unterscheiden.
Kadima wurde 2005 vom damaligen Ministerpräsidenten Ariel Sharon gegründet, um sich vom extrem rechten Flügel des Likud zu trennen und den Rückzug aus dem Gaza-Streifen organisieren zu können. Auch wenn einige Politiker der Arbeitspartei wie Shimon Peres zu Kadima gestoßen sind, so war und ist die Partei doch von ehemaligen Likudpolitikern dominiert. Zwar hat sie sich nominell auf eine Zwei-Staaten-Lösung festgelegt, faktisch aber zielt ihre Politik auf den Erhalt des Status quo und ein unilaterales Vorgehen im Konflikt mit den Palästinensern.

Vertreter der Arbeitspartei reklamierten nach der Wahl, dass das schlechte Ergebnis ihrer Partei vor allem dem Umstand zuzuschreiben sei, dass viele ihrer Anhänger Kadima wählten, um eine Regierung des Likud zu verhindern. Dies trifft sicherlich zu, deutet aber auf ein dahinter liegendes Problem: Dass mit Kadima eine rechte Partei als Gegengewicht zum rechten Likud gilt, zeigt, dass die Arbeitspartei keine politische Alternative anzubieten hat. Es zeigt aber auch, dass in weiten Teilen der linken und liberalen Öffentlichkeit die Perspektive für eine Lösung des Konflikts verloren gegangen ist. Die von Sharon und Kadima betriebene Politik des Unilateralismus musste als logische Konsequenz erscheinen, wenn man die Parole Baraks akzeptiert, dass es auf palästinensischer Seite keinen Partner gibt.
Wenig Unterschiede gibt es zwischen der Arbeits­partei und Kadima auch in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Arbeitspartei hat sich bereits vor Jahren von ihren sozialdemokratischen Positionen verabschiedet. Insgesamt aber spielten bei diesen Wahlen wirtschafts- und sozialpolitische Themen fast keine Rolle. Bemerkenswert ist, dass in Zeiten der globalen Wirtschaftskrise, die mittlerweile auch Israel erreicht hat, mit Netanjahu der Verfechter eines fast lupenreinen Neoliberalismus solchen Zuspruch erhalten hat. Die Politik in Israel ist durch den Konflikt mit den Palästinensern derart überdeterminiert, dass andere Themen nur noch am Rande wahrgenommen werden.

Allerdings besteht ein Zusammenhang zwischen der Aufgabe sozialdemokratischer Positionen durch die Arbeitspartei und dem Legitimationsverlust der Friedenspolitik. Eine wesentliche Motivation für den Oslo-Prozess bestand darin, dass man annahm, er erleichtere die Öffnung der bis dahin noch relativ stark staatssozialistisch geprägten israelischen Wirtschaft für den Weltmarkt. Mit ihm einher ging, unter der Regie der Arbeitspartei, die Entmachtung der Gewerkschaften und der Abbau des Sozialstaats. Der Oslo-Prozess vertiefte daher die Entfremdung der Unterschichten von der Arbeitspartei. Diese hatte es nie verstanden, die Idee eines Ausgleichs mit den Palästinensern mit der Idee sozialer Gerechtigkeit zu verbinden.
Nun stellt sich die Frage, welche Entwicklung die Arbeitspartei und die israelische Linke insgesamt nimmt. Amir Peretz hat bereits betont, dass er als Parteivorsitzender das »soziale Profil der Partei stärken« würde. Während seiner ersten Amtszeit war davon zwar viel die Rede, passiert ist allerdings nichts. Eine sozialpolitische Alternative zur Vorherrschaft rechter Parteien wäre mehr als notwendig. Angesichts der alles überschattenden Bedeutung des Konflikts mit den Palästinensern wäre sie aber ohne eine damit verbundene friedenspolitische Alternative wirkungslos. Viel wird also davon abhängen, ob sich die Arbeitspartei, und mit ihr die gesamte Linke, nicht nur personell, sondern auch ideologisch vom Erbe Baraks befreien kann.