Finanzgipfel in Berlin

Böse Oasen

Beim Finanzgipfel in Berlin wurde deutlich, dass die EU auch in einer politischen Krise steckt

Wenn man sich untereinander nicht einig ist, das aber nicht zugeben darf, weil man gemeinsame Interessen gegenüber anderen vertreten will, ist es immer hilfreich, sich einen äußeren Feind zu suchen. Die Teilnehmer des Berliner Gipfeltreffens am Sonntag in Berlin, bei dem EU-Politiker über das Vorgehen beim Treffen der G20 Anfang April in London berieten, hätten noch einmal über gierige Heuschrecken oder regulierungsunwillige Amerikaner klagen können. Doch sie wollten dem Publikum wohl etwas Neues bieten.
Das Stichwort für die ökonomischen Schein­debatten der kommenden Wochen heißt »Steueroase«. Während die Medien das Publikum mit Reportagen wie »Cocktails in der Karibik – Wo die Banker unser Geld verzocken« erfreuen dürften, wollen die EU-Politiker »Sanktionsmechanismen entwickeln«. Ein Adressat solcher Sanktionen saß mit am Tisch. Die Cayman Islands, der fünftgrößte Bankenstandort der Welt, sind eine britische Kronkolonie. Der in Berlin anwesende britische Premierminister Premierminister Gordon Brown schien jedoch nicht besorgt zu sein, er weiß wohl, was von Beschlüssen dieser Art zu halten ist.
Bislang wurde nur ein Bruchteil der Verluste privater und staatlicher Banken offiziell verbucht. Das wissen wohl auch die europäischen Politiker, ihre in Berlin erhobene Forderung, die Mittel des IWF zu verdoppeln, macht deutlich, dass sie weitere Staatsbankrotte erwarten. Die für den Finanzmarkt nun vorgesehene »angemessene Aufsicht oder Regulierung« soll jedoch nicht einmal so weit gehen wie die Maßnahmen, die sozialistischer Umtriebe unverdächtige asiatische Staaten wie Malaysia bei früheren Finanzkrisen mit einigem Erfolg anwendeten. Mit Kontrollen des Kapitalexports etwa ließe sich verhindern, dass überhaupt erst Geld in »Oasen« transferiert wird.
In Berlin wurde deutlich, dass die Staaten der EU, wenn es um konkrete Maßnahmen geht, fast ausschließlich im nationalen Rahmen handeln. Sie wollen »den Wettbewerb in geringst möglicher Weise verzerren«, behalten sich also weitere Eingriffe zugunsten ihrer jeweiligen Unternehmen vor. In der Krise brechen die Widersprüche auf. Die EU soll weder Staatenbund noch Bundesstaat sein, die meisten ihrer Mitglieder haben eine gemeinsame Währung, doch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik gibt es nicht. In einem komplexen Geflecht von Institutionen soll ein Interessenausgleich zwischen den nationalen Regierungen erreicht werden. Doch nun, bei der ersten ernsthaften Herausforderung, sind es nicht die Kommissare und schon gar nicht die Abgeordneten des Europa-Parlaments, die verhandeln, sondern die Regierenden der Nationalstaaten.
Die politische Krise der EU hindert deren Repräsentanten jedoch nicht daran, andere zu belehren. Am wenigsten die Deutschen, deren Haltung besonders bizarr ist. Als der französische Präsident Nicolas Sarkozy im Oktober 2008 eine »klar identifizierbare Wirtschaftsregierung« für die EU forderte, lehnte Kanzlerin Angela Merkel ab. Nun wünscht sie sich eine globale »Charta des gemeinsamen Wirtschaftens« und einen »Weltwirtschafts­rat«. Mit dem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat hat es nicht geklappt, vielleicht kommt man wenigstens in den Weltwirtschaftsrat. Denn gewiss dürstet die Welt nach deutschen Lektionen über nachhaltiges Wirtschaften, und schließlich soll Deutschland ja gestärkt aus der Krise hervorgehen.