Sozialquote für Gymnasien in Berlin?

Das Ressentiment des Elternabends

Die Forderung nach einer Sozialquote für Gymnasien folgt einem zutiefst reaktionären Impuls.

»Positive Diskriminierung« werden Versuche genannt, die berufliche Benachteiligung von Frauen, aber auch von »Randgruppen« wie Farbigen oder Behinderten, durch verbindliche Quotierungen zu mildern. Die Marginalisierung dieser Gruppen im Erwerbsleben soll auf diese Weise bewusst gemacht und durch Veränderung des personalpolitischen Entscheidungsprozesses korrigiert werden. Als die Frauenbewegung seit den siebziger Jahren Quoten vor allem an den Universitäten durchsetzte, war noch allen Beteiligten klar, dass es sich dabei um ein strategisches Instrument handelte, dessen Anwendung nicht mehr nötig wäre, wenn das Bewusstsein um die Gleichrangigkeit der Geschlechter bei der Konkurrenz im Beruf endlich zur Selbstverständlichkeit würde. Heute dagegen fungiert die Quote längst als bloßes PR-Label beim Wettbewerb um die »korrekteste« Personalpolitik. Ihre positiven Effekte sind im Vergleich mit ihrer Bedeutung als Standortfaktor nur mehr Nebensache.

Vor allem aber korrespondiert die »positive Diskriminierung« mit dem Bedürfnis der um ihre Überflüssigkeit wissenden Individuen, sich im Pochen auf ihren ureigensten Defekt ihr Terrain zu sichern. Deshalb ist der Forderung nach Quotierungen aller Art in ökonomisch schwierigen Zeiten große Zustimmung sicher – besonders seitens einer »Linken«, die den »Traum von einer Sache« längst zugunsten eifriger Elendsverwaltung fahren gelassen hat. Nur so ist zu erklären, dass über die Forderung der Linkspartei nach Einführung einer Sozialquote an Gymnasien in Berlin überhaupt ernsthaft diskutiert wird.
Obwohl jeder Quotenpolitik die Tendenz innewohnt, die per Quote exponierte Gruppe als Träger eines Defizits zu bestimmen, das durch Quotierung ausgeglichen werden soll, jede »positive Diskriminierung« also immer auch negativ diskriminierend wirkt, ergibt eine geschlechterpolitische Quote zumindest ansatzweise Sinn: Gerade weil Frauen nicht dümmer sind als Männer, jedoch mitunter so behandelt werden, lässt sich die Quote als Aufforderung verstehen, allein nach der Qualifikation zu urteilen. Bei der Armenquote sieht die Sache dagegen anders aus. Wie die Rede von den »bildungsfernen Schichten« andeutet, haben Kinder aus armen Familien qua Sozialisation tatsächlich geringere Chancen, einen höheren Bildungsweg einzuschlagen, weil sie die vom Gymnasium zu Recht vorausgesetzten Fähigkeiten nur eingeschränkt mitbringen. Das Geschlecht allein kann niemals Index für »Bildungsferne« sein, Armut leider schon.
Wer soziale Benachteiligung als positives Auswahlkriterium für den im Zuge der Berliner Schulreform neu zu schaffenden Typus von Gymnasium empfiehlt, der nutzt den bildungspolitischen Umbau zur Zementierung von Armut als Ersatz­identität. Deklassierung wird so zum Bonus, der dem als nutzlos Ausgespuckten gutgeschrieben wird, ohne etwas an den Verhältnissen zu ändern, die ihn ausspuckten. Gesellschaftlich produziertes Elend wird zum Argument dafür gemacht, Rechte zu fordern, die einem doch wiederum nur dank der eigenen Armut zugesprochen werden. Armut soll nicht abgeschafft, sondern zur Legitimation dafür gemacht werden, dank sozialer Defizienz eine bildungspolitische Spezialbehandlung zu beanspruchen. Damit wird Armut, bisher ebenso nüchtern wie treffend als »Qualifikationshindernis« definiert, selbst zur Qualifikation erhoben.

Erst wer sich vollends der Sehnsucht nach einem Zustand entschlagen hat, in dem es Überfluss für alle gibt, kann auf die Idee verfallen, Deklassierung zu kontingentieren und zu verwalten, wie die Linkspartei es fordert. Kern solcher Propaganda ist nicht der Wunsch nach »Chancengleichheit«, sondern das blinde Ressentiment, wie es sich auf jedem ordinären Elternabend auszutoben pflegt. Jeder Lehrer kennt die weinerliche Patzigkeit, mit der Eltern auftreten, wenn ausgerechnet ihr Kind eine Realschul- statt eine Gymnasialempfehlung bekommen hat.
Wie es dabei fast nie um die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes geht, sondern darum, eine von jeder Spur des Bildungsprivilegs bereinigte negative Gleichheit durchzusetzen, so geht es bei der Armenquote nicht um Freiheit zur Bildung, sondern um autoritär durchgesetzte Bildungssicherheit. Deklassierung wird dadurch nicht abgeschafft, sondern als Ticket für den Zugang zu den Bildungsressourcen affirmiert, die als gleichmäßig zu verteilendes Rohmaterial statt als Gegenstand lebendiger Erfahrung erscheinen. Wer derlei fordert, hat jeden Begriff gesellschaftlicher Emanzipation endgültig preisgegeben.