Das Unwort »Enteignung«

Deckname »Ultima Ratio«

Tu es, aber sprich nicht darüber: Das ­Unwort »Enteignung« geht um.

Jedes Jahr wird in Deutschland das Unwort gewählt. Da möchte ich nicht in der Jury sitzen, denn wie aus einer Sprache ein Unwort wählen, die nur aus Unwörtern besteht, angefangen mit dem Unwort »Unwort«? Wirtschaftsnahe Kreise möchten der Jury bei ihrer schweren Arbeit beistehen und empfehlen ihr für 2009 »Enteignung«.
In »Enteignung« ist, höchst unbequem, das »Eigen« eingezwängt, und das ist der Deutschen höchstes Gut. Die Brüder Grimm führen über ein Dutzend Stellen bei Goethe an, der das Wort verherrlicht: »Ich versprach ihm dein / Als meines Eigensten zu wahren«, mit ihm sich zurückgelehnt: »Ja ich weiß, wie behaglich ein Weibchen im Hause sich findet, / Das ihr eignes Geräth in Küch und Zimmern erkennet«, und sich besoffen hat: »Hier liegt mein eigen Haus, mein Wald, mein Teich«, aber auch mit ihm droht: »Sollt ich solche Beleidigungen dulden im eignen Hause?« Und damit haben wir alle Zutaten für die gefährliche Gemütlichkeit des »eignen« beisammen, die immer dann explodiert, wenn man ihr das Körnchen »ent« beigibt.
Denn wie die Linguistin Renate Bartsch im »Handbuch Lexikologie« (2005) schreibt, hebe diese Vorsilbe jeweils einen Zustand auf, den das »komplexe Verb« angebe. »Die Verstopfung wird aufgehoben durch das Entstopfen, die Behaarung wird aufgehoben durch das Enthaaren, und die Schuld wird aufgehoben durch das Entschuldigen.« Das Eignen wird aufgehoben durch das Enteignen, und das ärgert die Eigner, wundert die behaglichen Weibchen und bestürzt die Besitzer von Haus, Wald und Teich.
So war also ganz schön was los, als die Regierung eine Enteignung der nahezu bankrotten Hypo Real Estate beschlossen hat. »Enteignung – das ist das Reizwort unserer Tage«, schrieb Bettina Seidl auf der Börsenseite der ARD. »Enteignung wäre Verrat am Profil der Union«, erklärte der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, »Ent­eignungen sind mit der sozialen Marktwirtschaft unvereinbar«, Dirk Niebel, der Generalsekretär der FDP, »ein ordnungspolitischer Sündenfall«, sein Parteifreund Otto Fricke. Und Hans D. Barbier, früher Ressortleiter der FAZ, jetzt Vorsitzender der Erhard-Stiftung, glaubt: »Ludwig Erhard würde sich im Grab umdrehen, wenn er könnte.« Aber er war ja so dick.
Gut unterrichtete Kreise wissen, in Vorstandssitzungen der CDU werde das Wort gemieden, man enteigne, ohne es so zu nennen. Um das »Vertrauenskapital in unsere Wirtschaftsordnung zu schützen«, wie es heißt, läuft die Operation unter dem Decknamen »Ultima Ratio« oder »Staatsbeteiligung« und ist eine Aktion »Aller­äußerstes Mittel« (AAM). Das Kapital ist ein scheues Reh und der Eigentümer ein Gretel-rühr-mich-nicht-an (Impatiens noli-tangere).
So viel Empfindlichkeit können wir als von Geburt an Enteignete uns freilich nicht erlauben. Wie mit diesem hässlichen Unwort müssen wir auch mit allen andern zurechtkommen, sie gehören uns ja nicht. Mal unseres Lohns, mal unserer Zeit, mal unserer Ersparnisse, mal unserer Gedanken enteignet, leben wir in Wohnungen, die ein Spekulant aus München aufgekauft hat, von Dispokrediten, die der Bank gehören, gehen in ein Stadion, das nach einem Internetprovider benannt ist, oder in ein Museum, das vorerst noch von einem Elektronikkonzern gesponsert wird. Da fragt sich doch, weshalb wir uns die Sorgen derer aufladen sollten, die uns besitzen.