Urteil im Prozess gegen ein ehemaliges Mitglied der RZ

Der assoziierte Guerillero

Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart endete das wohl letzte große Verfahren gegen ein ehemaliges Mitglied der Revolutionären Zellen. Thomas K. wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Zuerst werden die Waffen aufgefahren. Die Anklageschrift wird möglichst ausufernd formuliert, aufgepeppt mit den luftigen Behauptungen eines Kronzeugen. Für den Fall, dass der Angeklagte nicht kooperieren will, drohen die Vertreter der Anklage mit jahrelangen Verhandlungen an einem Ort, der furchtbar weit vom Wohnsitz des Beschuldigten entfernt liegt. »Jede Woche zwei Tage, allein die Fahrtkosten … « Die Verteidigung hält mit allerlei grundsätzlichen juristischen ­Bedenken dagegen. Dies und das werde vor dem Bundesgerichtshof (BGH) niemals durchgehen. Und wenn »Ihr Kronzeuge« dies behaupte, dann werde sich »unser Mandant« an jenes erinnern müssen, und »das wäre gar nicht schön für die Glaubwürdigkeit Ihres Kronzeugen«.
So ungefähr muss man sich wohl die Gespräche vorstellen, die in den vergangenen Wochen zwischen Vertretern der Bundesanwaltschaft (BAW), dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart, dem Verteidiger Heinrich Comes und der Verteidigerin Edith Lunnebach geführt wurden. Vermutlich haben beide Seiten ein wenig geblufft und waren am Ende heilfroh, nicht alle Argumente vor Gericht ausführen zu müssen. So wird man wohl nie erfahren, ob der inzwischen 49jährige Kronzeuge Tarek Mousli, verurteiltes Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ), der BAW tatsächlich noch zur Verfügung steht.

Eine Einigung mit dem Gericht anzustreben, war für die Verteidigung kein Zeichen von Schwäche. Das Urteil, das Christine Rebsam-Bender als Vorsitzende Richterin des OLG im Verfahren gegen den inzwischen 60jährigen Thomas K. wegen Mitgliedschaft in den RZ vorige Woche verkündete, stellte jedenfalls keine Überraschung mehr dar. »Zwei Jahre auf Bewährung« lautete der ausgehandelte Urteilsspruch.
Ursprünglich hatte die BAW den gelernten Pä­dagogen der von Mitte der siebziger Jahre bis Anfang der neunziger Jahre währenden »Mitgliedschaft« in den RZ beschuldigt, erweitert um den Vorwurf der »Rädelsführerschaft«. Thomas K. soll »zumindest ab 1983 eine der dominierenden Persönlichkeiten« der Gruppe gewesen sein.
Die sich selbst als sozialrevolutionäre Stadtguerilla verstehenden RZ hatten bis zu ihrer Auflösung Anfang der neunziger Jahre 186 Anschlä­ge verübt, davon mindestens 40 in Berlin und Umgebung. Während ihrer »Flüchtlingskampagne« Mitte der achtziger Jahre, die sich gegen die damalige Ausländer- und Asylpolitik der BRD richtete, hatten die RZ Schüsse, die jeweils auf die Knie zielten, auf den Leiter der Berliner Ausländer­behörde, Harald Hollenberg, und auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günther Korbmacher, abgegeben. Der Angeklagte Thomas K. soll sich der Anklageschrift zufolge zwar nicht direkt an den Taten beteiligt, sich dafür aber »nachhaltig« in Diskussionen für die beiden Attentate »eingesetzt« und die Bekennerschreiben mitverfasst haben. Beweisen wollte die BAW dies mit Aussagen ihres Kronzeugen Tarek Mousli.

Im vor zwei Wochen gehaltenen Plädoyer von Bundesanwalt Christian Monka spielte die ursprüngliche Anklageschrift jedoch keine Rol­le mehr. Der Kronzeuge Mousli war Monka keine Silbe wert, und er zeigte sich sichtlich erleichtert darüber, dass »dies wohl das letzte große Verfahren gegen ein RZ-Mitglied gewesen sein dürfte«.
Seinerseits hatte Thomas K. in einer von seinen Anwälten vorgetragenen Erklärung eingeräumt, sich Mitte der achtziger Jahre an den Diskussionen rund um die »Flüchtlingskampagne« beteiligt zu haben. Da er aber 1976 zusammen mit dem später als Mitglied der RZ verurteilten Gerd Albartus festgenommen worden war, galt er als »ver­brannt« und nahm nicht mehr an ­Aktionen teil. »Insofern hatte er einen Sonderstatus als assoziiertes RZ-Mitglied«, hieß es in der Einlassung weiter. Als die Fahnder Ende 1987 wieder auf Thomas K. aufmerksam wurden, flüchtete er und stellte sich erst Ende des Jahres 2006 der BAW. K., der inzwischen in Berlin lebt, räumte auch ein, einen Entwurf zu dem Text »Gerd Albartus ist tot« verfasst zu haben. Der von den RZ Ende 1991 veröffentlichte Text, der sich mit der Ermordung von Gerd Albartus durch »eine Gruppierung, die sich dem palästinensischen Widerstand zurechnet« befasste – inzwischen geht man davon aus, dass es die Carlos-Gruppe war –, spiel­te bei der sich anschließenden Selbstauflösung der RZ eine wichtige Rolle.
Trotz alledem bestand das OLG auf einer mehrwöchigen Beweisaufnahme. Mehrere Fahnder des Bundeskriminalamts (BKA) trugen die Ergebnisse ihrer jahrzehntelangen Ermittlungen vor. Sie hatten unter anderem herausgefunden, dass die RZ sogar Helfer im Staatsapparat hatten. Zwei Tage vor einer geplanten Razzia im gesamten Bundesgebiet im Dezember 1987 hatte eine unbekannte weibliche Stimme Thomas K. telefonisch mit den Worten gewarnt: »Packt eure Sachen und haut ab.«
So konnten K. und seine ebenfalls gesuchte Lebensgefährtin Adrienne G. sich erfolgreich den Fahndern entziehen. »Es ist uns nicht schlecht gegangen in diesen 19 Jahren«, sagte Adrienne G., als die beiden wieder auftauchten, schon gar nicht, wenn man ihr Dasein mit den Lebens­umständen der Mehrzahl der Illegalisierten in Europa vergleiche. »Wir hatten Platz zum Wohnen und Gelegenheit zum Arbeiten, wir hatten Geld zum Leben und Papiere zum Reisen, wir hatten uns, wir waren nicht krank und hätten es vermutlich noch eine Weile durchhalten können.« Doch wegen der nicht enden wollenden Verjährungsfristen »mussten wir uns entscheiden, den Rest unseres Lebens in der Illegalität zu verbringen, oder nach Möglichkeiten suchen, zu vertretbaren Konditionen zurückzukehren«, führte die damals 58jährige weiter aus. Dass es »weiterhin nicht aufgeklärt werden konnte«, wo die beiden in jenen Jahren waren, bedauerte das Stuttgarter OLG wiederholt.

Dafür löste sich für das Gericht das Problem, auf den in der Anklageschrift ausführlich zitierten Kronzeugen Mousli eingehen zu müssen, auf elegante Weise. Die offensichtlichen Widersprüche in dessen Aussagen hätten peinlich werden können. Allerdings lehnten die Richter am zuständigen BGH die Revision von Matthias Borgmann ab, der im Berliner RZ-Verfahren zu über vier Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Für sie war es beispielsweise nicht so entscheidend, ob Mousli bei dem Attentat auf Korbmacher »nur Schmiere gestanden« habe, wie er selbst behauptete, oder aber das Motorrad fuhr, von dem aus geschossen wurde. Das hatte ihm die Verteidigung im großen Berliner RZ-Verfahren nachzuweisen versucht. Was für die Szene »krass gelogen« war, bewerteten die Richter als »im Kern« richtig. Gemeinsam mit vier weiteren Angeklagten war Borgmann bis zum Frühjahr 2004 in einem sich über mehrere Jahre hinziehenden Verfahren vor dem Berliner Kammergericht mit den Aussagen des Kronzeugen Mousli konfrontiert worden.
Seitdem scheute die BAW offenbar davor zurück, ihren Kronzeugen erneut in einem Verfahren zu präsentieren, und ließ sich lieber auf eine Einigung ein. Denn auch sie dürfte um das Risiko wissen, dass es den Verteidigern in einem weiteren Verfahren gelingen könnte, die Aussagen von Mousli zu widerlegen.
Diese Gefahr ist nun gebannt. Mit dem Abschluss des Stuttgarter Verfahrens standen alle von Mousli namentlich Beschuldigten und für die BAW relevanten Personen vor Gericht. Allein die 57jährige Juliane B., die wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft im feministischen Flügel der RZ, der »Roten Zora«, gesucht wird, befindet sich noch auf der Flucht.