Soziale Proteste auf Gouadeloupe

Mr. Bean ist nicht willkommen

Die sozialen Proteste auf den französischen Karibikinseln sind eskaliert. Nach dem Tod eines Gewerkschafters deutet die Regierung Kompromissbereitschaft an.

Mr. Bean ist nicht sehr beliebt auf den Antillen. Man glaubt ihm nicht, man findet ihn nicht einmal mehr komisch. Mr. Bean ist der Spitzname, den man auf den zu Frankreich gehörenden Karibikinseln Guadeloupe und Martinique Yves Jégo, dem Minister für die Überseeterritorien, wegen einer unverkennbaren Ähnlichkeit mit Rowan Atkinson gegeben hat.
Der aufstrebende Jungpolitiker der rechtskonservativen und wirtschaftsliberalen Regierungspartei UMP hatte mit Repräsentanten der Protestbewegung auf Guadeloupe verhandelt und ein Protokoll unterschrieben, das die Anhebung aller Niedriglöhne um 200 Euro vorsieht. Doch am 9. Februar reiste er überstürzt nach Paris. Drei Tage nach seiner Rückkehr in die Karibik erklärte die Regierung den Protestierenden, gerade in der Frage des Mindestlohns werde man auf keinen Fall nachgeben. Dies könne einen Präzedenzfall schaffen und die Menschen in anderen französischen Überseegebieten, aber auch auf dem Festland, ermutigen, ähnliche Forderungen zu stellen. Auf La Réunion im Indischen Ozean, soll am 5. März ein Generalstreik beginnen. In Paris versammelten sich am Samstag 15 000 Menschen zu einer Solidaritätdemonstration für die Streikenden der Antillen, »ici aussi« (hier auch) forderten Protestierende bezüglich der Lohnerhöhung um 200 Euro.

Jégo war anscheinend entsetzt über das Verhalten führender Repräsentanten der Béké, der weißen Gutsbesitzerkaste. Die Nachfahren der Sklavenhalter stellen auf der Insel Martinique nur ein Prozent der Bevölkerung, besitzen aber 52 Prozent des Bodens. Er kritisierte öffentlich ein »archaisches Arbeitgeberlager« auf den Inseln. Anfang Februar hatte der Béké Alain Huyghues-Despointes, einer der führenden Unternehmer der Inseln, im Regionalfernsehen »die Rassenmischung« für die Unruhen verantwortlich gemacht. Die Béké hätten hingegen »immer auf die Reinhaltung unserer Rasse geachtet«. Auch die Sklaverei werde falsch bewertet, »es hat auch positive Seiten gegeben«.
Die von der weißen Oligarchie beherrschte Ökonomie auf den Antillen muss subventioniert werden. Neben den Tourismuseinnahmen, die in den vergangenen Wochen wegen des Generalstreiks weitgehend ausblieben, basiert die Inselwirtschaft weitgehend auf landwirtschaftlichem Großgrundbesitz und auf Einfuhrmonopolen, die fest in der Hand der Béké liegen. Die Preisunter­schiede sind immens, für eine Zahnbürste, die in Frankreich einen Euro kostet, werden in Guadeloupe 4,50 Euro verlangt. Die Béké kontrollieren auch die Vertriebswege, und der Markt der Inseln ist so klein, dass die für seine Erschließung notwendigen Investitionen für konkurrierende Handelsketten nicht lukrativ wären. Die Lebensmittelpreise sind rund 40 Prozent höher als auf dem Festland.
Insofern stellt sich die Frage nach der Umverteilung von Macht und Reichtum, aber auch nach der politischen Unabhängigkeit von Frankreich. Die Menschen auf den umgebenden Inseln leben mit Ausnahme der Haitianer nicht schlechter. Doch in der Vergangenheit wurden Unabhängigkeitsbewegungen mehrfach gewaltsam unterdrückt. Die Niederschlagung von Demonstrationen und Streiks im Mai 1967 kostete 110 Todesopfer, die letzte derartige Bewegung wurde 1985 niedergeschlagen, Todesopfer gab es jedoch nicht. Zwar treten die wichtigsten sozialen Bewegungen in der Regel weiterhin auch für die Unabhängigkeit ein. Um Bündnisse mit Oppositionellen auf dem Festland zu ermöglichen, werden in diesem Jahr jedoch ausschließlich soziale Forderungen erhoben.
Seit dem 20. Januar dauert der Generalstreik auf Guadeloupe an, der vom Netzwerk Liannay kont profitasyon (LKP) organisiert wird. Diesem Bündnis, dessen kreolischer Name »Gemeinsam gegen Ausbeutung« bedeutet, gehören Gewerkschaften und kulturelle Vereinigungen wie etwa Karnevalsgruppen, Stadtteilorganisationen und ähnliche Initiativen an. Der Generalstreik wird fast überall befolgt, er richtet sich hauptsächlich »gegen das teure Leben«. Dieser Slogan war im Jahr 2008 in drei Dutzend französischsprachigen, vor allem afrikanischen Ländern bei Brotrevolten und sozialen Protesten gebräuchlich.
Am Montag voriger Woche wurde der Protest radikaler, die Demonstranten errichteten zahlreiche Straßensperren. Die Staatsmacht reagierte sofort, mehr als 50 Demonstranten und Blockierer wurden festgenommen, ein Gewerkschafter, Alex Lollia, wurde bei dieser Gelegenheit von Polizisten als »dreckiger Neger« beschimpft und verletzt. In den folgenden Tagen eskalierte die Situation.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurden 15 Geschäfte geplündert, rund 30 Autos angezündet und etwa sieben Industriebetriebe angegriffen. Attackiert wurde der Besitz von Béké-­Familien. Allerdings schlossen sich auch Jugendliche zu bewaffneten Gangs zusammen. Sechs Polizisten wurden offiziellen Angaben zufolge in der ersten Nacht der Unruhen Anfang voriger Woche durch Schüsse »leicht verletzt«. Feuer loderten an zahlreichen Orten auf Guadeloupe. Jugendliche schossen in der Nacht zum Mittwoch an einer Straßensperre auf den 48jährigen Gewerkschafter Jacques Bino, der im Auto von einer Veranstaltung der Protestbewegung zurückkehrte. Offenbar hielten sie ihn für einen Zivilpolizisten. Eine Kugel tötete den Gewerkschafter. Das LKP rief daraufhin zu Besonnenheit auf: »Gefährdet nicht euer Leben und das von anderen!« Doch die Protestbewegung gibt der Staatsmacht, die keine Zugeständnisse machen wollte, die Hauptschuld an der Eskalation.
Am Donnerstag der vergangenen Woche deutete die Regierung erstmals an, sie könnte zu Kompromissen bereit sein. Eine offizielle Erhöhung des Mindestlohns soll es nicht geben, doch stellte Premierminister François Fillon eine vorgezogene Anwendung des »Sozialen Aktivi­täts­einkommens« (RSA) in Aussicht, das ab Juni schrittweise in ganz Frankreich eingeführt werden soll. Das RSA sieht einen »Kombilohn« vor, Niedrigstlöhne werden durch staatliche Zuschüsse aufgestockt. Dies betrifft nur Einkommen, die unter dem gesetzlichen Mindestlohn für eine Vollzeitstelle liegen.
Fillon fügte hinzu, für die anderen Löhne solle es keine Aufstockung geben, »denn dies würde der anderen Forderung widersprechen, jener nach Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf den Antillen«. Auch die Unternehmer der Inseln hatten sich unter dem Druck der Proteste bereit erklärt, 200 Euro mehr zu zahlen, sofern ihnen Steuern oder Sozialabgaben in dieser Höhe erlassen würden.

Präsident Nicolas Sarkozy will die Sache nun selbst in die Hand nehmen und im April auf die Karibikinseln reisen. Zudem sollen in jedem einzelnen Überseebezirk »Generalstände« einberufen werden, »sobald wieder Ruhe eingekehrt ist«. Überdies sollen für dringende soziale Bedürfnisse 580 Millionen Euro bereitgestellt werden, von denen allerdings allein 280 Millionen auf das umstrittene RSA entfallen, das ohnehin einige Monate später eingeführt worden wäre. Sarkozy erkannte an, dass es rassistische Diskriminierung auf den Antillen gibt, und forderte eine »neue Entwicklungslogik«. Unterdessen schlugen die beiden von der Regierung als Vermittler eingesetzten Ombudsmänner vor, den Empfängern von Niedriglöhnen zwei Jahre lang eine staatliche Sonderprämie zu zahlen.