Druck ohne Raum

Ist die rhetorische Frage »Warum ausgerechnet bei uns?« zu hören, empört ausgestoßen von aufgeregten Menschen, so sind Mitglieder einer Bürgerinitiative nicht weit. Denn Bürger, die sich zu Initiativen vereinigen, haben nicht unbedingt grundsätzlich etwas gegen Kohlekraftwerke, Atommülldeponien, Schnellstraßen oder Junkies. Bloß vor der eigenen Haustür. So auch die Mitglieder der Bürgerinitiative Kottbusser Tor, die Politiker zur Diskussion über die Drogenszene in den Kreuzberger Festsaal geladen hat. Um zu bekräftigen, dass sich etwas ändern muss, sprechen sie von »Kindern«, die blutverschmierte Spritzen finden, von »Müttern« und »Vätern«, die ihre Kinder schützen wollen, und von »alten Leuten«, die sich nicht mehr auf die Straße trauen.
Im Publikum ist neben der Bürgerinitiative auch eine Aktivisteninitiative vertreten. Der Oberaktivist, der besonders laut rufen kann, zum Beispiel »Faschist!«, ist gleich mit drei Pappschildern gekommen, auf denen eine Faust irgendwas zertrümmert, das offenbar mit »Gentrifizierung« zu tun hat. »Junkies bleiben, Yuppies vertreiben«, lautet die Devise der Aktivisteninitiative, denn bekanntlich reißen sich Yuppies nur so um die Luxuslofts und -apartments im beliebten Wohnpark »Neues Kreuzberger Zentrum«.
Einig sind sich die meisten Politiker auf dem vollgestopften Po­dium und Zuhörer im gut besuchten Saal vor allem darüber, dass »gemeinsam« eine »Lösung« gefunden werden muss. Und, erstaunlich konkret, dass ein neuer Druckraum her muss. Bloß will den selbstverständlich niemand im eigenen Haus haben. Auch nicht Cem Özdemirs Hausgemeinschaft am Kottbusser Damm. Allein deshalb ist der Streit um die Drogenszene am Kottbusser Tor über die Berliner Grenzen hinaus bekannt geworden und glauben manche Auswärtige nun wohl, dass man vor Kaiser’s knie­tief durch Spritzbestecke waten muss. Gegen die offenbar gewachsene Verelendung wird das nichts helfen.   gs