Karl May bei Aldi

Aldi ›Nord‹ May

Leseland Deutschland. Ab dem 23. März verkauft Aldi Nord acht Titel von Karl May. Die Lizenz hat Verleger Bernhard Schmid an den Tandem-Verlag vergeben.

Aus unappetitlichem Anlaß einer »Sensation« zum »Thema Buch«, einer »durchaus Meisterleistung«, einer »Leseförderung im besten Sinne«, wie eine Pressemitteilung kündet : »Kult-Autor Karl May bei Aldi – Meistgelesener deutscher Schriftsteller in einmaliger Sammleredition … Dann kann jeder den meistgelesenen deutschen Schriftsteller bei einem der beliebtesten deutschen Händler kaufen. Zum Start am 23. 3. 2009 werden die ersten acht Bände angeboten … Und der Preis pro Buch : Unglaubliche 5,99 Euro. Alle Bände erscheinen in hochwertiger Ausstattung : fest gebunden … Natürlich in ­einer ungekürzten und vom Verlag autorisierten Fassung … Allen Bücherfreunden und Leseratten ­jeden Alters kann man nur empfehlen, im März 2009 den Grundstock zu einer einmaligen Sammlung zu legen. Das Interesse an dieser Edition wird groß sein«.

Sicher. GOtt, der HErr, ist ein Freak, er zählt einfach gern. Haare auf dem Kopf, Körner im Sand, Schäfchen, Sünden … – aber kann er auch Karl-May-Bücher zählen ? Sind ihrer nicht mehr als Atome im Universum (~ 6· 1079) und mögliche Zugfolgen im Schach (John Edensor Littlewood kam 1953 in ›A Mathe­matician’s Miscellany‹ auf die erfreuliche Summe von ~ 101070,5) ?
Karl-May-Bücher. Wo ist der Fant, der es wagte, ›Baudelaire-Bücher‹ zu sagen ? Soviel Hintergrundstrahlung Scham ist noch. Noch. ›Karl-May-Bücher‹ : das allerdings ist keine Sprach­ent­gleisung, die einen Status sui generis behaupten will, das entwertet vielmehr ungewollt in das, was mit Karl-May-Büchern real vorliegt : Giddeliges aus der Familie der Bilderbücher, Autobücher, Pferdebücher … – alles keine ›Bücher‹.
Kühn Kinn und Blick in endlose Prärie gereckt, glattrasiert und in Aftershave getunkt auf einem hörigen, gleichwie schlauen Pferd, stets ›ganze Arbeit‹ hehr gewollt : so phantasieren mittelmäßige Männer während, vor und nach Weltkriegen. Und mittelmäßige Männer zeugen Pimpfe. Das nimmt kein Ende.
Sobald wir nur pausbäckig den Sandkästen entwachsen waren, wollten wir nicht mehr an die frische Luft. Wir schämten uns, wir waren dicke, mopsige Adenauerknaben. Wir wollten stubenhocken und unter der Bettdecke die Welt erträumen. Wollten wir sie aber erobern, versahen wir diese Absicht mit dem Brandzeichen des Traumes. Und während noch das Fleisch der Absicht schmorte, kam ein Vater, zwang uns in eine kurze Lederhose und peitschte hinaus zum ertüchtigenden Murmelspiel oder einer muntren Geselligkeit, die ›Deutschland erklärt den Krieg gegen …‹ hieß und bei der es galt, ein Taschenmesser in Gegners Areal zu schleudern und, so es das Erdreich stach, durch Verlängern des Einstichkanals zum eigenen Territorium hin möglichst üppig Gelände anzuschließen. Und grad, als es uns zu langweilig war uns zu langweilen und vielleicht wir auch mit dem Vier-Farben-Problem befaßt waren, peitschte ein Vater uns wieder in unsre Zimmer und verdammte uns zu Karl May und eine Mutter assistierte und verordnete einen Rotbäckchen­trunk. Beides aber gefiel uns nicht. Nie. Auch Fürst Kropotkin wurde uns nie nahgelegt. Auch nicht Baron d’Holbach.
Dabei war nicht alles schlecht am Wilden Westen. Den Blick gereckt in die endlose Ebene Osteuropas, dort die Panzertruppen weideten, und die Zerschmetterung des Bolschewismus – ohne Kriegserklärung – im Sinn, ließ Reichskanzler Hitler sich auf seinen Expeditionen in ­jedes Führerhauptquartier von Karl-May-Büchern begleiten. Nicht aber von den ›Blumen des Bösen‹.
Hitlers Liebe zu seinen sechzig Bänden May ist ein alter Hut (aber darf man sich nicht wehren ? – alte Hüte schließlich tischt Aldi ja auf. Aldi hat angefangen). Jedem, der ihn auf dem Obersalzberg besuchte, zeigte Hitler stolz die Schätze : »Auf einem Bücherbord stehen politische oder staatswissenschaftliche Werke, einige Broschüren und Bücher über die Pflege und Zucht des Schäferhundes, und dann, – deutsche Jungens, hört her ! dann kommt eine ganze Reihe Bände von – Karl May !« (Sonntag-Morgenpost, 23. April 1933).
Range Hitler führte linzer Jungensbanden, rob­bte durchs Gebüsch und löste von Marterpfählen (was ihn später zur Rettung Mussolinis inspirierte). Darunter litt die Schule. Er blieb sitzen. Als Vater Hitler es seinem Sohn mit 32 Stockhieben vergalt, überstand der Junior die Tortur, indem er laut mitzählte und stumm Karl May, der ihm »die Augen für die Welt geöffnet« hat, aufsagte. Und als vierzig Jahre später die Lage im Osten sich ungünstig gestaltete, klagte er über seine Generale : »Sie wurzeln in überholten Begriffen … Ihnen fallen keine Listen ein. Sie hätten mehr Karl May lesen sollen !« und griff, wie Speer bezeugt, »bei seinen nächtlichen Lesestunden in anscheinend aussichtlosen Situationen zu diesen Erzählungen, sie richten ihn innerlich auf wie andere Menschen ein philosophischer Text oder ältere Leute die Bibel«.
Ein Pfunds-Autor !
Stalin konnte nur über ›Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft‹ faseln – bei aller gebotenen Zurückhaltung : Hitler (»Ich lese nie einen Roman und fast nie das Feuilleton. Warum soll ich das auch tun, es würde mich ja doch nur ärgern«) war ihm auch in Deutschkunde überlegen : »Wissen Sie, ich halte von dem Karl May sehr viel. Was haben die Schulmeister ihn doch angegriffen, statt zu erkennen, wieviele positive Werte seine Bücher enthalten. Ein echter Jugendschriftsteller, wie jeder andere Schriftsteller, – May schreibt ja auch für den Erwachsenen – muß eine reiche Phantasie besitzen, anständige Gesinnungen vermitteln und zeigen, was Lebenstüchtigkeit bedeutet«, und der oberste der Nazi-Lehrer, der Gauleiter und bayerische Kultusminister Hans Schemm tute­te ins idente Horn : »Zum deutschen Buben und Mädel gehört mehr als die sogenannte Schulbravheit, nämlich Mut, Entschlußkraft, Schneid, Abenteuerlust und Karl-May-Gesinnung«.
Nach 1933 hatte niemand mehr Probleme. Auch Ernst Bloch nicht (»Ich kenne nur Karl May und Hegel; alles, was es sonst gibt, ist aus beiden eine unreinliche Mischung; wozu soll ich das lesen ?«). Doch. Einer hatte ein Problem. Klaus Mann. Der giftete November 1940 im Exil feig und auf ausländisch : »He [May] had poisoned their hearts and souls with hypocritical morality and the lurid glorification of cruelty … He anticipated, in a quasi-literary sphere, the catastrophic reality that is now before us, he was the grotesque prophet of a sham Messiah. The Third Reich is Karl May’s ultimate triumph, the ghastly realization of his dreams … the Austrian house-painter, nourished in his youth by Old Shatterhand, is now attempting to rebuild the world« (›Cowboy Mentor of the Führer‹).
Die Weltkriege fordern immer noch Opfer : gute Männer verpulvern Lebenszeit, May für entlegenere Passus zum Großautor hochzujazzen und zu einem Paradigma eines foppenden Schrift­stellerseelchens; seit 22 Jahren gebiert sich eine auf 120 Bände ausgelegte historisch-kritische May-Ausgabe, ein rührender Versuch, des Satzsalats Herr zu werden und sich gegen den korrupten Text, den Aldi-Nord bietet, zu stellen – gute Männer starben darüber, gute Verla­ge gingen daran zugrunde. Muß man aber feststellen, was May wirklich geschrieben hat ? Muß man nicht. May ist ein harmloser Tropf, gegen Ende nicht mehr als eine pazifistische Minderbegabung, der ein Soap-Universum entwich. Und daß Witwe Klara May, stramme Na­tionalsozialistin hernach, die Worte ihres Gatten ummodelte und der Karl-May-Verlag jubelnd mittat, das verblaßt davor, daß ein integrer Karl-May-Text nicht besser werden würde, sondern immer nur noch mehr ›Karl May‹.
May ist dessen nicht schuldig. May ist nur schuldig, wagnerlange Vorträge gehalten zu haben (sein letzter, Wien, 22. März 1912, betitelt ›Empor ins Reich der Edelmenschen‹, währte zwei­einhalb Stunden – und morgen wird Guido Knopp darüber aufklären, ob Hitler tatsächlich leibhaftig gelauscht hat). Und schuldig, daß er die Tinte nicht hielt und sich als Projektionsfläche ausschrieb. Unter dem Eisernen Kanzler hob die deutsche Bourgeoisie ein Lid und fand sich ohne Vatermord, ohne Revolution, ohne Arbeit, die Kontakt herstellt mit Realität, an der Macht. Dies Geschenk baute den infantilen Größenwahn nicht ab, sondern blähte ihn, und schon spielte die Bourgeoisie das weiterreichende Spiel um den wilhelminischen ›Platz an der Sonne‹, der vor allem gegen Engelland, die trottligen Verwandten von der Insel – und grad so gezeichnet bei May – errangelt werden mußte. May und die deutsche Politik bis 1945 haben denselben Horizont : den der Kolonialisierung leerer Räume und was man macht, wenn sie doch nicht ganz leer sind und wie man deutsche Tugend und deutschen Willen über Länder legt. Das römische Imperium hatte wenigstens noch Straßen und Aquädukte zu bieten. May die hy­bride Leere des Deutschtums, die Hitler dann mit ›Rasse‹ füllte.
Erregt ruft der Karl-May-Verlag »›Karl May statt Ballerspiele‹ : Wenn das keine Alternative für unsere Jugend ist !« – nein, ist es nicht. Mehr Ballerspiele ! Erregt trompetets : 94 % der Deutschen kennen May. Hitler aber kennen alle. Das ZDF in seiner nie genug zu rühmenden Sendung ›Unsere Besten‹ hat, auf Parität bedacht, ermittelt, May sei der nach Göte zweitbeliebteste Autor, weit vor Hitler (›Mein Kampf‹) – und gut sei, was viel ist und was bekannt ist. Leider auch das : alles Kontraindikationen.
Den ~ 2· 107 May-Büchern kommt nun noch was drauf. Brauchen wir das ? Unbedingt. Der HErr nämlich ist wirklich Freak. Der kauft sie alle weg und zählt sie dann. Karl-May-Verlag und Aldi-Nord haben, wie von Anbeginn der Schöpfung vorgesehen, zueinander gefunden. Und nun, da Klaus Mann tot ist, hat echt niemand mehr ein Problem. Karl May ist angekommen. Er ist daheim, Aldi-Nord. Wo Klaus Mann ist, wissen wir nicht.
Aber 5,99 Euro ? Von einem Volk, das seine Waren bei ebay umschlägt, dort Halden unabgeräumter Karl-May-Bücher verrotten und um wenige Cent zu haben wären ? Wir aber wollen sowieso nach Aldi-Süd. Da gibts Speisequark-Magerstufe, 250-g-Becher, 59 Cent.
Nieder mit allen implantierten Jungens-Träumen !