Wahlkampf in Algerien

Regieren, bis der Bestatter kommt

Vor den Wahlen verspricht der algerische Präsident Bouteflika soziale Verbesserungen. Er dürfte gewinnen, sogar ohne Wahlbetrug.

Die Sterne hatten Loth Bonatéro schlecht beraten. Der 54jährige Astrologe zählt zu den Bewerbern, deren Kandidatur bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl zurückgewiesen wurde. Abgelehnt wurden vom algerischen Verfassungsgericht insgesamt fünf Bewerber, unter ihnen die Vorsitzenden dreier Kleinparteien, weil sie die forma­len Voraussetzungen für eine Kandidatur nicht erfüllen konnten. Potenzielle Kandidaten mussten entweder 75 000 Unterschriften von Bürgern oder aber 60 von Mandatsträgern in Parlamenten vorlegen.
Die Liste der sechs Kandidaten, die nun antreten dürfen, wurde Anfang März publiziert. In dieser Woche beginnt der offizielle Wahlkampf. Er wird bis zum 6. April dauern, drei Tage später wird dann der nächste algerische Präsident gewählt.
Der neue Präsident dürfte der alte sein. Schon beim Einreichen seiner Bewerbungsunterlagen hat Abdelaziz Bouteflika, der im Alter von 72 Jahren noch einmal kandidiert, demonstriert, wieviel Unterstützung er genießt. Er lieferte über vier Millionen Unterschriften ab, für ihn entschie­den sich vorab mehr als ein Fünftel der Wahlberechtigten. Neben den drei wichtigsten Parteien unterstützen ihn auch die acht größten Organisationen Algeriens, darunter der staatsnahe Gewerkschaftsdachverband UGTA und der Unternehmerverband FCE.

Der Klientelismus funktioniert weiterhin. Um die Stimmung zu heben, kündigte die Regierung eine Reihe sozialer Wohltaten an. Ende Februar versprach Bouteflika, den Mindestlohn von derzeit 12 000 Dinar (umgerechnet gut 100 Euro) mo­natlich bald zu erhöhen. Über die Details wird freilich eine aus Vertretern des Staats, der UGTA und der Unternehmerverbände zusammengesetzte Kommission entscheiden, und zwar erst nach den Wahlen. Die Studienstipendien sollen um 50 Prozent erhöht und die Schulden von 110 000 Bauern, die sich insgesamt auf umgerech­net 410 Mil­lionen Euro belaufen, von der Staatskasse übernommen werden.
Offenen Betrug und Manipulationen wird der amtierende Präsident wohl gar nicht nötig haben wird, vermutlich wird aber die Wahlbeteiligung in den offiziellen Angaben etwas hochgerechnet werden. Denn bei den Parlaments- und Kommunalwahlen im Jahr 2007 lag sie jeweils nur knapp über einem Drittel der Wahlberechtigten.
Die fünf weiteren Kandidaten werden in der öffentlichen Meinung überwiegend als chancenlose Außenseiter betrachtet. Dies trifft mutmaßlich fûr Louisa Hanoun noch am wenigsten zu. Die 55jährige, die im Einparteienstaat in den achtziger Jahren in Haft saß, ist die erste Frau in der ara­bischen Welt, die eine politische Partei anführt. Sie ist Generalsekretärin der Partei der Werktätigen (PT), einer ursprünglich dogmatisch-trotzkistischen Orgnisation. Doch das Proletariat und den Internationalismus ersetzt sie mehr und mehr durch einen Linksnationalismus, der zwar das internationale Kapital und die Weltbank kritisiert, sich aber gegenüber der algerischen Oli­garchie ausgesprochen konziliant zeigt. Louisa Hanoun unterstützt die Politik Bouteflikas halbherzig, sie hätte es gerne etwas sozialer. Außenpolitisch befürwortet sie eine Annäherung an Ku­ba, Venezuela und Bolivien. Ihr dürfte ein Achtungserfolg winken.
Drei weitere Kandidaten repräsentieren Abspal­tungen von der früheren Einheitspartei, der Nationalen Befreiungsfront (FLN). Mohamed Saïds Partei der Freiheit und Gerechtigkeit (PLJ) vertritt den nationalreligiösen Flügel. Moussa Touati, der eine Algerische Nationale Front (FNA) anführt und zur neuen nationalistischen Partei aufbauen möchte, wird von den Medien am meisten gehätschelt und zum angeblichen großen Herausforderer Bouteflikas hochstilisiert.
Ali Faouzi Rebaïne von der Kleinpartei Ahd54 – symbolisch für al-ahd, den Schwur, und den Beginn des antikolonialen Befreiungskriegs im Jahr 1954 – war unter der Herrschaft des Einparteienregimes im Gefängnis und wurde zeitweise sogar gefoltert. Er repräsentiert den enttäuschten Teil der »revolutionären Familie«, wie in Algerien nach der Unabhängigkeit von 1962 die Witwen und Waisen von Teilnehmern am Befreiungskrieg genannt wurden.
Es tritt auch eine der Partei des institutionalisierten und domestizierten Islamismus an, die Bewegung al-Islah (Die Reform), die früher vom charismatischen Prediger Abdallah Djaballah ver­körpert wurde. Sein Nachfolger als Präsidentschaftskandidat, Djahid Younsi, ist weniger publi­kumswirksam, er wird in Kommentaren zum Wahlkampf als »Däumling« gehandelt.

Doch die Islamisten, die Anfang der neunziger Jah­ren kurz vor der Machtübernahme standen, sind derzeit in Algerien politisch marginalisiert, ebenso wie das Militär, das sie während des Bürgerkrieges bekämpfte. Die Zeitschrift Afrique Magazine konstatiert, dass erstmals tatsächlich der Präsident die Kontrolle ausübe und das politische Spiel beherrsche. Hingegen seien die Generäle, die seit der Unabhängigkeit 1962 jahrzehn­telang den Ton angaben, nun dazu gezwungen, eine sekundäre Rolle zu spiele. Zum ersten Mal hän­ge der Ausgang der Wahl in keiner Weise von ihnen ab.
Abdelaziz Bouteflika konnte die politische Macht in seinen Händen zentralisieren. Als er im Jahr 1999 sein Amt antrat, hatten die bewaffneten Islamisten den Bürgerkrieg de facto bereits verloren hatten. Ihre Brutalität und ihr Tugendterror hatten jene Unterklassen abgeschreckt, deren Angehörige zuvor häufig mit ihnen sympathisierten. Dass das Blutvergießen in den zehn Jahren der Herrschaft Bouteflikas drastisch abgenommen hat, wird ihm von vielen Algeriern zugute gehalten.
Überdies konnte Bouteflika von den steigenden Öleinnahmen profitieren. Ein Barrel Rohöl kostete auf dem Weltmarkt rund zehn Dollar, als er erstmals auf dem Präsidentensessel Platz nahm. Vor anderthalb Jahren war der Preis auf 175 Dollar gestiegen. Seitdem ist er zwar auf derzeit rund 40 Dollar gesunken, doch in den guten Jahren konnte Bouteflika die Kassen füllen.
Da fällt es nicht schwer, zum richtigen Zeitpunkt einige soziale Wohltaten zu verteilen. Doch das Erfolgsmodell Bouteflikas ist instabil, denn es be­ruht allein auf dem Abschöpfen der Erdölrente. Den Öl- und Erdgasexporten verdankt der Staat mehr als 90 Prozent der Deviseneinnahmen, der Preisverfall könnte in Zukunft die sozialen Pro­bleme verschärfen. Bei Nahrungsmitteln und Medikamenten etwa ist Algerien weiterhin von Importen abhängig.

Mit den Öleinnahmen werden auch Prachtbauten finanziert. Der Welt größte Moschee wird derzeit in Algier für drei Milliarden Dollar errichtet. Vielleicht sorgt sich der Präsident auch um sein Seelenheil. Ende 2005 musste er sich in Paris ei­ne Notoperation unterziehen, sein Gesundheitszustand ist offenbar schlecht, viele Beobachter gehen davon aus, dass er im Amt sterben wird. Auf jeden Fall beweist er seinen Einsatz für die Religion, und er kann sicher sein, dass er der Nach­welt wenigstens etwas Dauerhaftes hinterlassen wird.