Die neue rechte Einheitspartei in Italien

Die Probezeit ist beendet

Die Fusion von Berlusconis Forza Italia mit der Alleanza Nazionale verfestigt die Macht der rechtskonservativen Koalition. Die Postfaschisten der Alleanza Nazionale verleihen Berlusconis Politik ein ideolo­gisches Fundament. Nun sammeln sie die radikalen Neofaschisten wieder ein.

Obwohl der Kongress der Alleanza Nazionale (AN) am Wochenende in Rom der letzte war, gab es dort keinen Platz für nostalgische Gefühle. Wer eine emotionsgeladene Trauerveranstaltung erwartet hatte, wurde enttäuscht. Stattdessen war die Aufbruchstimmung deutlich zu spüren: »Endlich entsteht die Partei der Italiener«, war auf den Plakaten zu lesen, die die Auflösung der postfaschistischen Alleanza Nazionale verkündeten. Das Wort Auflösung wurde dabei sorgfältig vermieden, überall war von einem »Neuanfang« die Rede.
Dieser »Neuanfang« wird am kommenden Wochenende beim Gründungskongress der neuen rechten Einheitspartei unter dem Namen »Volk der Freiheit« (Popolo della Libertà, PdL) seine Fortsetzung finden. Die neue Partei, die als Wahlbündnis bereits seit 2007 existiert, ist das Produkt der Fusion zwischen der AN und der Partei von Silvio Berlusconi, Forza Italia. Die Wahlallianz zwischen Postfaschisten und der Berlusconi-Partei, die im April vergangenen Jahres die vorgezogenen Parlamentwahlen mit deutlicher Mehrheit gewann, regiert seitdem in einer Koalition mit den Rechtspopulisten der Lega Nord das Land. Die Auflösung der postfaschistischen AN am Wochenende war insofern der letzte Schritt eines Prozesses, der politisch und ideologisch bereits vollzogen war.

Es wäre allerdings ein Fehler, die Entstehung des PdL als reine Formsache zu betrachten. Denn durch die Gründung der neuen Partei wird der rechtskonservative Block zur größten italie­nischen Einheitspartei werden, die derzeit mindestens die Hälfte der Wählerstimmen auf sich vereinigt. Und so etwas hat es in der politischen Geschichte des Landes noch nie gegeben. Durch die neue Partei werden die Postfaschisten zudem zu Mitgliedern der Europäischen Volkspartei. »Unsere gemeinsamen Werte sind die der Europäischen Volkspartei«, betonte Gianfranco Fini, ehemaliger Vorsitzender der AN und derzeitiger Präsident der Abgeordnetenkammer, am Samstag. Es handele sich um »Werte, die in der Lage sind, auf die Ängste Europas und des Westens zu antworten«.
In den vergangenen Wochen wurde viel über die neue politische Formation diskutiert. Doch wie in der italienischen Debatte üblich, ging es dabei vor allem um interne Machtkämpfe und um die zukünftigen Hierarchien der neuen Partei. Vor allem wurde diskutiert, welcher der ­beiden starken Männer den Kampf um die poli­tische Führung im PdL gewinnen werde. Weni­ger wurden die strategischen Ziele der neuen Partei analysiert. Kaum beschäftigte man sich mit der Frage, warum die Parteien fusionieren und warum dies jetzt geschieht. Schließlich bringen Fini und Berlusconi kein brandneues Produkt auf den Markt, der PdL verfügt derzeit über eine stabile Regierungsmehrheit. Wozu soll jetzt eine Partei gut sein, und wer profitiert davon am meisten?
Die Vereinigung der beiden wichtigsten Kräfte der italienischen Rechten ist keineswegs als Antwort auf eine politischen Identitätskrise oder als Reaktion auf einen Zustimmungsverlust in der Bevölkerung zu verstehen. Sowohl Forza Italia als auch die Alleanza Nazionale haben eine sehr erfolgreiche Zeit hinter sich. Am 13. und 14. April vergangenen Jahres bekam die von Berlusconi geführte Koalition, die zum ersten Mal unter dem Namen Popolo della Libertà auftrat, 47 Prozent der Stimmen im Senat und 46 Prozent in der Abgeordnetenkammer. Bereits vor ihrer offiziellen Entstehung stellt die neue Partei eine Regierung, die über eine Zweidrittelmehrheit verfügt. Sie besetzt mit den Präsidenten der Abgeordnetenkammer und des Senats die wichtigsten insti­tutionellen Posten.

Umfragen unmittelbar nach den Wahlen zeigten zudem, dass der Sieg des rechten Bündnisses nicht nur das Ergebnis taktischer Allianzen war, sondern aus einer tiefgreifenden Veränderung in der italienische Gesellschaft resultierte. Ein nicht gerade kleines Segment der Arbeiterklasse wandte sich von den klassischen linken Arbeiterparteien ab und wählte das rechte Bündnis. Von dieser katastrophalen Niederlage hat sich die italienische Linke bis heute nicht erholt. Der PdL wurde somit nicht gegründet, um Schwächen zu beseitigen, sondern mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Macht der aktuellen rechtkonser­vativen Koalition zu zementieren und ihre politische und gesellschaftliche Hegemonie in den kommenden Jahren weiter auszubauen. Vor diesem Hintergrund steht bereits fest, wer der Gewinner dieser Fusion ist. Die neue Partei wird den Premierminister und seine Koalition zwar machtpolitisch stärken, langfristig werden aber die Postfaschisten die entscheidende Rolle spielen.

Während es für die Forza Italia Berlusconis schon immer schwierig war, ein einheitliches ideolo­gisches oder kulturelles Projekt zu definieren, verhält es sich mit der Alleanza Nazionale anders. Mit ihrer Auflösung haben die italienischen Postfaschisten einen historischen Prozess beendet, der die gesamte italienische Politik in den vergangenen 15 Jahren geprägt hat. Als Fini 1995 die Umwandlung der neofaschistischen Partei Movimento Sociale (MSI) – die 1946 von ehemaligen Mitgliedern der Faschistischen Partei Benito Mussolinis gegründet wurde – in die Alleanza Nazionale einleitete, ließ er die Nostalgie für Mussolini und für die faschistische Vergangenheit endgültig hinter sich und überließ sie den vielen Splittergruppen, die sich von seinem Weg in das politische Zentrum explizit distanzierten. Die AN präsentierte sich als neue politische Kraft, die durch den positiven Bezug auf Begriffe wie »Autorität« und »nationale Identität« unter anderem die rassistischen Impulse gegen Migranten in der Gesellschaft nutzte. Ein Wendepunkt in diesem Läuterungsprozess war 2003 die Reise von Gianfranco Fini nach Israel, durch die er den Bruch mit der faschistischen Vergangenheit öffentlich inszenierte und damit zugleich die Ankunft der AN im politischen Establishment besiegelte. 15 Jahre später brauchen die Postfaschisten keine eigenständige Partei mehr. Das Projekt der nationalen Rechten ist vollendet. Die älteste neofaschistische Partei Europas ist zu einer legitimierten Regierungskraft geworden, die keine Vergangenheitsbewältigung mehr nötig hat.

Doch hat sie innerhalb von wenigen Jahren noch viel mehr erreicht. Sie konnte sich als politisches, gesellschaftliches und kulturelles Projekt profilieren, was der Unternehmerpartei von ­Silvio Berlusconi nie gelungen ist. In der Debatte darüber, wer nun die neue rechte Einheitspartei führen und wer welche Posten besetzen wird, wird dieser Aspekt oft übersehen. Die Postfaschisten sind im PdL die Kraft, die eine Art Gesamt­paket anbieten, weil sie nicht nur auf der realpolitischen Ebene arbeiten, sondern die Verankerung in der Gesellschaft als wesentlichen Bestandteil ihrer politischen Identität verstehen. Dass ihnen die »Nähe zum Volk« wichtig ist, zeigt sich am Beispiel der so genannten Sozialen Rechten, einer kommunitaristischen Strömung, die die »radikale Seele« der AN verkörpert und die sich in ganz Italien auf lokaler Ebene etabliert hat.
Einer ihr bekanntester und einflussreichster Anhänger ist Gianni Alemanno, der Bürgermeister von Rom, der Mitte Januar in einem römischen Kino ein Dokument mit dem Titel »Die Zukunft der Identitäten – Die rechten Werte im Volk der Freiheit« präsentierte. In diesem programmatischen Text, der von Anhängern der Sozialen Rechten verfasst wurde, kann man einiges über die neue Phase des postfaschistischen Projekts erfahren. »Wir wollen uns von den Kategorien ›Zentrum‹ und ›Rechts‹ verabschieden. Die Werte des Volks der Freiheit definieren wir als Freiheit, Identität, Gemeinschaft und Autorität«, heißt es dort. »Um den Wandel in Italien zu leiten, ist es notwendig, in der Lage zu sein, eine identitäre Modernisierung zu vollziehen. Das bedeutet, auf dem Territorium präsent sein, um der Auflösung der Gemeinschaften entgegenzuwirken«, so das von Alemanno präsentierte Papier. »Die Werte der Tradition, wenn sie echt und lebendig sind, sollen sich ständig erneuern.«
Die Gründung des PdL markiert eine neue Phase im Prozess der Durchsetzung der rechten Kultur in der italienischen Gesellschaft. Die Probezeit ist beendet. Ein Beweis dafür ist, dass die geläuterte Partei nun wieder die Annäherung zu jenen unbequemen, radikalen Segmenten des Neo­faschis­mus suchen kann, mit denen sie jahrelang gebrochen hatte. Das gilt für die so genannten identitären Gruppen – Neofaschisten, die zum Beispiel in Rom das rechte Centro Sociale Casa Pound betreiben und früher im Umfeld der neofaschistischen Partei Fiamma Tricolore angesiedelt waren. In Mailand sind die identitären Gruppen etwa durch die Anhänger des Naziskin-Bündnisses Cuore Nero vertreten. Die gro­ße Familie der »Partei der Italiener« ist nun bereit, alle aufzunehmen. Kein Wunder, dass die Parteizeitung der AN, Il Secolo d’Italia, in den vergangenen Wochen begeistert über ehemalige Mitglieder der MSI berichtete, die Finis Wende nicht mitvollzogen hatten, nun aber in der neuen Forma­tion wieder mit den alten Kameraden zusammenkommen. Es ist die neue Rechte, die nun wieder im Projekt der »italienischen Revolution« zusammenfindet.

Aus dem Italienischen von Federica Matteoni