Die Anti-Nato-Proteste in Baden-Württemberg

Die Rückkehr zur Käfighaltung

Von der Grenzschließung bis zum Fackelspalier: Die Behörden in Baden-Württemberg bereiten sich auf den Nato-Gipfel und die Proteste vor.

So etwas hat Baden-Württemberg noch nicht gesehen: Wenn Anfang April die Nato zum Gipfel in Baden-Baden und Kehl sowie, auf der französischen Seite des Rheins, in Strasbourg lädt, werden 14 000 Polizisten im Einsatz sein, nur 2 000 weniger als während des G8-Gipfels in Heiligendamm. Einen so großen Polizeieinsatz gab es in dem Bundesland noch nicht, und auch die Zahl der Demonstranten dürfte für Baden-Württemberg eher ungewöhnlich sein: Die Behörden erwar­ten 20 000 Gipfelgegner. Nach Heiligendamm kamen erheblich mehr Gegendemons­tranten, näm­lich etwa 80 000.
Die Polizei will ausdrücklich Lehren aus dem Ein­satz in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2007 ziehen. Eigens deshalb traf sich der Innenausschuss des baden-württembergischen Landtags schon im Januar zu einer Sondersitzung. »Gewaltorgien« wie in Heiligendamm dürften nicht geschehen. Sie müssten vielmehr frühzeitig unterbunden und vermieden werden.
Und so greifen die Behörden schon bei den Vor­bereitungen des Protests ein. Auf der deutschen Seite sollen Camps mit mehr als 15 000 Protestie­renden nicht gestattet werden. Dies sei »eine Konsequenz der Evaluation des Einsatzes in Heiligendamm«, sagt der Vorsitzende des Innenausschusses, Hans Georg Jung­inger (SPD), der Jungle World. In zu großen Camps würden rechtsfreie Räume entstehen, was von vornherein unterbun­den werden solle. »Es ist selbstverständlich, dass das Gewaltmonopol des Staates durchgesetzt wer­den muss«, befindet Junginger. Der baden-württem­bergische Innenminister Heribert Rech (CDU) wollte daher nur Camps bis zu einer Größe von 1 500 Plätzen genehmigen.
Kritisiert wird er dafür von Bürgerrechtlern. »Das ist eine neue Qualität des Vorgehens der Sicherheitsbehörden«, sagt etwa der Rechtsanwalt Peer Stolle vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, »hier soll in die Struktur des Protests eingegriffen werden, bevor überhaupt irgendetwas passiert ist.«

Nicht wenige Demonstranten dürften zeitweise ganz anders untergebracht werden. Das baden-württembergische Innenministerium rechnet da­mit, dass eine große Zahl von Gipfelgegnern festgenommen wird. 500 Festgenommene könnten in nahe gelegenen Gefängnissen und Polizeidienststellen untergebracht werden. Weiterhin wer­de geprüft, ob es »mobile Haftzellen« in Containern geben könne, sagte Innenminister Rech. Ob damit die während des G8-Gipfels verwendeten Käfigzellen gemeint sind, blieb offen, ist angesichts der Ankündigungen aus dem Ministerium aber vorstellbar. »Wenn die schwer bewaffnet ankommen, dann sperre ich die weg für die Zeit«, drohte Rech in der Badischen Zeitung, »da bin ich auch nicht zimperlich.«
Die Gipfelgegner haben sich mittlerweile für ein zentrales Camp auf der französischen Seite ent­schieden. »Essenziell war für die Konferenzteilnehmer und -teilnehmerinnen, den inter­na­tio­na­len Charakter des Camps zu unterstreichen«, begründet das Bündnis Résistance des deux rives den Beschluss in einer Pressemitteilung. Die 15 000 Eu­ro Miete und die ebenso hohe Kaution, die die Stadt Kehl für ein Gelände verlangt habe, seien zwar überzogen, jedoch nicht ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen. »Die Verwaltung in Straßburg ist eindeutig kooperativer als die deutschen Behörden«, sagt Reiner Braun vom Bünd­nis »No Nato«.
»Vom französischen Innenministerium kann man das allerdings nicht behaupten«, berichtet er weiter. Dieses will eine für den 4. April geplante Großdemonstration in der Innenstadt Strasbourgs nicht gestatten. Die vorgeschlagene Ausweichroute führt durch ein Hafengebiet weitab vom Geschehen. Braun befürchtet ein »Bürgerkriegsszenario« in Strasbourg, sollte diese Entschei­dung aufrechterhalten werden. Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das Verbot der gewünschten Route ist in Planung.

Die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich nutzen die Behörden für ihre Taktik. Das Schengen-Abkommen, durch das Grenz­kontrollen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU abgeschafft wurden, könnte eigens außer Kraft gesetzt werden. Die französischen Behörden haben dies angekündigt, den deutschen Behörden zufolge wer­den ab dem 20. März Personen beim Grenzübertritt kon­trolliert. Den Gipfelgegnern gefallen solche Ankün­digungen freilich nicht, sie fordern »Versammlungsfreiheit für alle Menschen«. Diese dürfe nicht durch willkürliche Grenzschließungen verhindert werden, heißt es in einer Erklärung.
Etwa 700 Einwohnern der Stadt Kehl stehen eben­falls Unannehmlichkeiten bevor: Ihre Bewegungsfreiheit wird für etliche Stunden eingeschränkt. Sie wohnen in der »gelben Zone«, die ei­gens für einen Fototermin der Regierungschefs der Nato-Staaten eingerichtet wurde. »Wer sein Grundstück verlässt, muss sich zuvor mit der Polizei in Verbindung setzen«, sagte Reinhart Renter, Polizeichef des Ortenaukreises, »dann wird er von einem Beamten permanent begleitet.«
»Das nennt man gemeinhin Sippenhaft, so als ob sich unter den untadeligen Kehler Bürgern der gefürchtete Terrorist verbirgt«, kritisierte der innenpolitische Sprecher der baden-württembergischen Grünen, Uli Sckerl, das Vorhaben. Ein ähnliches Konzept ist für Baden-Baden geplant, und auch in Strasbourg ist mit Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zu rechnen. Am 4. April, dem Tag der dort geplanten Großdemonstration, dürfen sich in der Altstadt nur Personen aufhalten, die dort wohnen und dies mit einem Aus­weis belegen können.
Die Polizei befürchtet zudem, dass es innerhalb der Sperrzonen aus Wohnungen heraus zu Protesten kommen könnte, die notfalls schnell unterbunden werden müssten. »Wir haben dafür ein abgestuftes Maßnahmenkonzept entwickelt, das nicht damit endet, dass wir nur klingeln«, gab Detlef Werner an, der leitende Polizeidirektor und Leiter des Referats Führung und Einsatz im Regierungspräsidium Karlsruhe. Weitere Details nannte er jedoch nicht.

Auch die Armee soll im April wieder zum Einsatz kommen. Insgesamt vier so genannte Amtshilfeersuchen sind bislang bei der Bundeswehr eingegangen. Dies geht aus einer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linkspartei) an die Bundesregierung hervor. Demnach hat das baden-württembergische Innenministerium Unterstützung bei der Gewährleistung der Sicherheit im Luftraum beantragt. Des Weiteren wurde um Unterstützung bei der Spionageabwehr und in Fragen der Infrastruktur gebeten. Und außerdem soll die Bundeswehr auf Anfrage des Auswärtigen Amts ein Fackelspalier für die internationalen Gäste stellen.