Jüdische Überlebende bei den Partisanen

Als Partisanen überleben

Mit dem mehrbändigen Werk »We survived the Holocaust« dokumentiert die Federation of Jewish Communities in Serbia die Erinnerungen jüdischer Überlebender im damaligen Jugoslawien.

Im Herbst vergangenen Jahres freute man sich bei der rechts-nationalen Jungen Freiheit über die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die in ihrer Berliner Rede zum »Tag der Heimat« zu einer sonderbaren Einschätzung des jugoslawischen Partisanenkampfs gegen die deutsche und italienische Besatzung gekommen war. »In ihrer Rede ging die BdV-Präsidentin auch auf den von Tito veranlassten Völkermord an der deutschen Volksgruppe im ehemaligen Jugoslawien ein«, heißt es dort, »nicht ohne zuvor den Bundeskanzler Adenauer zu zitieren, für den der einstige Partisanenführer und spätere Staatsmann nichts anderes war als ein Verbrecher!«
Josip Tito und die Partisanen im Kampf gegen die deutsche und italienische Okkupation als Völkermörder und Verbrecher darzustellen – das ist jenseits der Naziszene bislang nur in Deutschland möglich. Allerdings sei es in Serbien selbst in den vergangenen Jahren zu einer Umwertung der Vergangenheit gekommen, befand der Belgrader Soziologieprofessor Todor Kuljic bereits vor einigen Jahren. Antifaschismus sei unpopulär geworden, und diejenigen, die im kommunistischen Diskurs als Opfer galten, würden zusehends zu Tätern gemacht. »Das Thema ist sehr aktuell«, meinte Dr. Miroslav Demajo, Mitarbeiter des Jüdischen Museums Belgrad, im März, »und es gibt eine starke Tendenz, die Partisanenbewegung im Rahmen eines allgemeineren antikommunistischen Impulses zu diskreditieren.«
Dr. Demajo, das Jüdische Museum in der Kralja Petra in Belgrad und die Federation of Jewish Communities in Serbia (früher: in Yugoslavia) bestehen jedoch auf der Tatsache, dass jugoslawische Juden nur dann eine Chance auf Überleben hatten, wenn sie sich den Partisanen anschlossen. Über 80 000 Juden lebten vor dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet des damaligen Jugoslawien. Davon wurden rund 24 000 von den Deutschen in Konzentrations- und Vernichtungslager außerhalb Jugoslawiens verschleppt und ermordet, rund 39 000 wurden in Lagern innerhalb Jugoslawiens ums Leben gebracht, und mehrere tausend wurden als Geiseln getötet, in Gefängnissen oder als Partisanen. Rund 15 000 Juden haben die deutschen Verbrechen in Jugoslawien überlebt und verdanken diesen Umstand der Tatsache, dass sie sich den Partisanen angeschlossen und aktiv gegen die deutsche Besatzung des Landes gekämpft haben. Viele retteten sich, indem sie auf italienisch besetztes Gebiet, und, nach der Kapitulation Italiens, zu den Partisanen gingen. Rund die Hälfte von ihnen wanderte 1948, nach der Gründung des Staates Israel, dorthin aus.
Mit denjenigen Zeitzeugen, die auch in den vergangenen Jahren noch lebten, haben die Mitarbeiter des Jüdischen Historischen Museums und der Federation of Jewish Communities gesprochen, ihre Geschichten erfragt bzw. er­beten und in einem mehrbändigen Werk veröffentlicht, das sukzessive ins Englische übersetzt wird und somit auch all denjenigen zugänglich ist, die nicht Serbokroatisch sprechen.
»We survived the Holocaust« ist der Titel des Projekts. Vier Bände liegen mittlerweile vor, Band 5 wird in diesen Tagen erscheinen. Jeder einzelne enthält die Berichte und Erzählungen der damals Verfolgten. Im zweiten Band der Reihe findet sich die Geschichte des Vaters von Dr. Miroslav Demajo, einem renommierten Molekularbiologen, der sich seit seiner Pensionierung dem Jüdischen Museum und der Buchreihe widmet.
Das historische Interesse ist mit seiner persönlichen Geschichte, der Geschichte seines Vaters, eng verknüpft: Aleksandar Demajo wurde 1923 in Belgrad geboren und floh nach der Bombardierung der Stadt durch die Deutschen am 6. April 1941 mit seinem Vater nach Bosnien, weil, so meinte der Vater, in der bergigen Gegend Bosnien-Herzegowinas mit Widerstand zu rechnen sei. Ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Immer wieder auch kollaborierenden kroatischen Ustascha-Gruppen ausweichend, machten sich die beiden nach Montenegro auf. Dort verlangten die italienischen Besatzer aber, dass sie in die deutsche Zone – nach Belgrad – zurückkehrten. Statt dem sicheren Tod entgegenzufahren, versuchten Vater und Sohn, sich mit gefälschten Papieren nach Split durchzuschlagen, wurden verraten – und Miroslav Demajos Großvater, Moric Demajo, wurde von einem italienischen Erschießungskommando umgebracht, weil er am 13. April 1941 am Aufstand Montenegros gegen die italienische Besatzung teilgenommen hatte.
Seinem Sohn rettete seine Minderjährigkeit das Leben: Aleksandar Demajo wurde von den Italienern in den italienischen Alpen festgesetzt und anschließend in einem Lager in Kalabrien interniert. Nach der Befreiung durch die Alliierten im September 1943 schlug er sich über Bari nach Jugoslawien durch, um sich den Partisanen anzuschließen; er gehörte zu den 15 000 jugoslawischen Juden, denen der unmittelbare Kampf gegen die Nationalsozialisten das Leben rettete.
»We survived the Holocaust« ist also nicht nur ein erschütterndes Zeitzeugendokument, sondern auch eine Chronologie des Widerstands, und als Projekt ein mühsames Unterfangen, denn offizielle Unterstützung gibt es nicht. »We survived the Holocaust« wird finanziert durch Spenden von Entkommenen und ihren Nachfahren, denen es auch zu verdanken ist, dass bis jetzt die ersten beiden Bände ins Englische übersetzt werden konnten und Band 3 sich zurzeit in den Händen eines professionellen Übersetzers befindet.
Ein eventuelles Interesse deutscher Verlage, das Werk zu übersetzen, wurde noch nicht geäußert. Miroslav Demajo und seine Mitstreiter sind auf sich gestellt und versenden die Bücher auf Anfrage in alle Welt, zum Selbstkostenpreis.
Natürlich kann man »We survived the Holocaust« nicht einfach herunterlesen, wie man es oft mit anderen Büchern tut; zu groß ist das Grauen, das man angesichts der Aneinanderreihung all dieser Lebensgeschichten und Schicksale empfindet, für die, aus deutscher Perspektive, die Generation unserer Großeltern und Urgroßeltern die Verantwortung trägt. Dazwischen immer wieder der einzige Hoffnungsschimmer, der blieb: die Partisanen, und das Unverständnis darüber, dass und in welchem Ausmaß es immer wieder Versuche gibt, diese im Nachhinein zu diskreditieren.
Damit beides bleibt, das Grauen und die angemessene Würdigung der jugoslawischen Partisanenbewegung, gehört »We survived the Holocaust« in Bibliotheken und historische Hand­apparate, insbesondere in deutsche. Um dies zu ermöglichen, hat Dr. Demajo sich noch nicht in ein beschauliches Rentnerdasein zurückgezogen, deshalb kann man die Bände von »We survived« unter eben diesem Stichwort bestellen.

Bestellungen per E-Mail an jewishmuseumbgd@gmail.com oder schriftlich bei der Federation of Jewish Communities in Serbia, Editorial Board »We survived«, P.O. Box 30, 11158 Belgrad 118, Serbien