Serie über Serien: »Magnum«

Marburg, Magnum und der Mossad

Serie über Serien. Stefan Rudnick erinnert sich an seine alte Kneipe und an besonders kuriose Folgen der Fernsehserie »Magnum«

Viele tausend Kilometer entfernt von Honolulu liegt das kleine beschauliche Städtchen Marburg, wo ich Mit­te der neunziger Jahre mit einigen Genossinnen und Genossen eine so genannte Kollek­tivkneipe namens »Havanna 8« betrieben ha­be. Keine Ahnung, woran es lag, ob es die provin­zielle Lage war, aber es gab damals eine Sperrzeit, die von ein Uhr nachts bis sechs Uhr morgens dauerte. In dieser Zeit mussten alle Kneipen schließen. Es sei denn, man hatte eine Genehmigung zur Sperrzeitverkürzung. Dann durfte man bis zwei Uhr geöffnet haben. So eine Genehmigung hatte das »Havanna 8«. Das war gut, einerseits.
Andererseits war es schlecht, denn um zehn nach Eins begann »Magnum P.I.« auf RTL, die Neuausstrahlung der US-Serie, die auf Hawaii spielt und 1984 erstmalig in der deutschen Synchronfassung von der ARD ausgestrahlt wur­de. In dieser ARD-Fassung fehlten jedoch fast alle Bezüge auf die gemeinsame Zeit von Magnum, Rick und T.C. als Soldaten im Vietnam-Krieg. Man war der Meinung, dass so etwas nicht in eine Unterhaltungsserie gehöre. Ich frage mich, wie die Serie ohne die Vietnam-Rückblen­den hat auskommen können, wo die Thematik doch äußerst wichtig ist. »Für unsere Kämpfer aus Vietnam gibt es keine Denkmäler. Dafür haben die Hippies gesorgt.« Herrlich!
Für die jüngeren unter den Leserinnen und Lesern sei gesagt, dass Thomas Sullivan Magnum Privatdetektiv ist, einen roten Ferrari fährt, der nicht sein eigener ist, und im Gästehaus auf dem Anwesen des erfolgreichen Schriftstellers Robin Masters lebt, auf dem auch der Verwalter des Anwesens, Jonathan Higgins, im Haupthaus wohnt. Higgins ist ein gebildeter kleiner Spießer, der mehrere Sprachen spricht, als britischer Soldat an wichtigen Schlachten wie der Landung in der Normandie teilnahm, und im ägyptischen el-Alamein dabei war und Doktor der Mathematik ist. Magnums Kumpel Rick, der eigentlich Orville Wright heißt, wuchs als Waise beim Chicagoer Unterweltboss Francis Hof­stetler alias Icepick auf und verfügt somit über beste Kontakte zur Halbwelt. In den ersten Folgen ist er noch Besitzer von »Rick’s Cafe Americain«, später dann Geschäftsführer des exklusiven Strandclubs »King Kamehameha«. Eine weitere Hauptfigur der Serie ist T.C., Besitzer und Pilot der »Island Hoppers«. Er fliegt Touristen gegen Geld im Helikopter über die Inseln und Magnum ständig durch die Gegend, gegen kein Geld, was T.C. ziemlich auf die Nerven geht. Magnum ist nämlich immer pleite.
Ich hatte völlig vergessen, wie gut ich die Serie finde, bis mir mein Bruder über Weihnach­ten die komplette erste Staffel auslieh. Ich nutzte die freien Tage, um mir den Pilotfilm und alle Folgen hintereinander anzusehen. Die Storys sind kurios. Zum Beispiel die Folge »Never again … Never again« (die bezeichnenderweise in der deutschen Fassung »Abrechnung mit der Vergangenheit« heißt). Die Juden Saul und Lena Greenburg sind Holocaust-Überlebende. Sie betreiben ein Hemdengeschäft in Honolulu. Eines Tages will Magnum das Ehepaar besuchen und kommt gerade vor dessen Haus an, als Saul mit einem Krankenwagen abtransportiert wird. Magnum fährt sofort in das Krankenhaus, in das die Sanitäter Saul angeblich gebracht haben. Dort ist er aber nicht. Seine Frau behauptet, dass ihr Mann schon seit längerem von Nazis verfolgt werden würde, weil er einst Mitglied des »Masada-Teams« gewesen sei, einer Eliteeinheit des Mossad. Auf der Suche nach Saul findet Magnum ein Foto, auf dem die Häftlingsnummer auf dem Unterarm von Lena fehlt. So kommt er dem Ehepaar langsam auf die Schliche. Saul war weder Mossad-Agent noch ist er Jude. Auch Lena ist keine Jüdin. Beide hatten sich nur als solche getarnt, und das perfekt. Sie haben ein jüdisches Leben gelebt, sind in die Synagoge gegangen, haben sich mit »Shalom« begrüßt und sind zur »Mischpoke« nach New York gefahren. In Wirklichkeit jedoch sind sie deutsche NS-Verbrecher, die vom Mossad gesucht werden und sich zur Tarnung eine jüdische Identität zugelegt haben. Am En­de der Folge sieht man einen nachdenklichen Magnum, der Steine ins türkisblaue Meer wirft, als Higgins zu ihm kommt, um ihm zu erklären, was er nicht versteht. »Ich war dabei«, sagt Higgins, »in Nürnberg während der Prozesse. Sie alle hatten Ausreden für ihre Taten angeführt, sogar die so genannten kleinen Fische.« In der ARD-Fassung wurden übrigens alle Bezüge auf die deutsche Geschichte herausgeschnitten, aus Nazis Araber und aus dem Mossad die PLO gemacht.
Nach Weihnachten wusste ich jedenfalls wieder, warum ich einst so wild auf diese Serie war. Ich musste damals die Gäste jedes Mal noch vor dem Beginn der Sperrstunde rausekeln, wollte ich meine Serie nicht im Lager des »Havanna 8« zwischen Bierfässern anschauen. Ich weiß, was Sie jetzt denken, und Sie haben Recht. Wo kann man schon seine Lieblingsserie gucken und sich dabei ein frisches Bier vom Fass zapfen?