Der Nachfolger von Bahnchef Mehdorn

Bahn für alle Welt

Mehdorns Nachfolger Rüdiger Grube könnte dessen Traum von einer Achse Berlin–Moskau–Peking verwirklichen.

»Für einen Rücktritt stehe ich nicht zur Verfügung«, tönte Hartmut Mehdorn noch vor zwei Wochen auf seine gewohnte Art. Da hatte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG noch nicht bemerkt, dass seine Zeit abgelaufen war. Und das nicht etwa, weil er sich beim Abfangen und Löschen der E-Mails von Gewerkschaftern erwischen ließ. Dies hätten ihm die Politiker und die Medien unter anderen Umständen ver­ziehen wie so vieles vorher. Mehdorns Zeit war abgelaufen, weil sein Job sich erledigt hatte. Da derzeit Staatskapitalismus angesagt ist, wurde der Börsengang des letzten großen deutschen Staatskonzerns, der Deutschen Bahn AG, gestoppt.

Wie immer in solchen Fällen diskutiert man in der Öffentlichkeit nicht die eigentlichen Sachfragen. Stattdessen werden scheinbare Nebensächlichkeiten von der Presse solange skandalisiert, bis die Person, die im Wege steht, beiseite tritt. Am 30. März gab Mehdorn entnervt auf. »Meine zehn Jahre bei der Bahn waren eine tolle Zeit. Manchmal ein wenig verrückt. Immer aufregend«, sinnierte er zum Abschied und dürfte in Zukunft insbesondere die von der Presse kolportierten nächtlichen Rotwein-Runden im 25. Stock des Berliner Bahn-Towers vermissen.
Die Hoffnung, dass sich mit dem Abgang von Mehdorn etwas ändern und die Bahn in Zukunft wieder ein wenig mehr der öffentlichen Beförderung dienen würde, währte jedoch nur wenige Tage. Überraschend schnell einigte sich das politische Establishment auf einen Nachfolger: Rüdiger Grube, gelernter Flugzeugbauer und Vorstands­mitglied für Konzernentwicklung bei der Daimler AG. Dort hatte er jahrelang als Vertrauter von Jürgen Schrempp den Aufstieg des Konzerns zur »Welt-AG« und die Fusion mit Chrys­ler betrieben. Aber, und das übersehen seine heutigen Kritiker gerne, in den vergangenen Jahren regelte er genauso gewissenhaft die Trennung von Chrysler und anderen aufgekauften Firmen, so dass der schwäbische Autobauer seit ­Oktober 2007 wieder allein als Daimler AG firmiert.
Man darf gespannt sein, ob sein geheimer Auftrag nicht doch der Rückbau des von Mehdorn aufgebauten internationalen Logistikkonzerns zu einer europäischen Transportgesellschaft ist. Allerdings gilt Grube auch als ausgesprochener China-Kenner und sitzt in Peking in mehreren Aufsichtsräten von Tochterfirmen der Daimler AG – und Mehdorn plante den Aufbau einer Achse Berlin–Moskau–Peking. Sowohl Russland als auch China haben sich in den letzten Jahren für den von Siemens gebauten Nachfolger des ICE 3 als Basismodell für ihren Hochgeschwindigkeitsverkehr entschieden.

Die Mitglieder des Bündnisses »Bahn für Alle«, das sich seit Jahren für den Sturz von Mehdorn einsetzte, sind jedenfalls nicht zufrieden. »Erneut wird jemand, der von Bahn keinerlei Ahnung hat, Bahnchef«, empörte sich Winfried Wolf, einer der Sprecher. Nicht nur Wolf befürchtet, dass die »fatale Orientierung auf weltweite Expansion fortgesetzt wird«.
Tatsächlich setzte auch Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) bereits am nächsten Tag ein entsprechendes Zeichen, als er den Finanzierungsvertrag für das Milliardenprojekt »Stuttgart 21« unterzeichnete, das die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter die Erde vorsieht. Die derzeit geschätzten Kosten betragen drei Milliarden Euro, Kritiker des Projekts befürchten jedoch, dass der Zeitgewinn von wenigen Minuten auf der ICE-Strecke zwischen Mannheim und München rund sechs Milliarden Euro kosten könnte.

Auf jeden Fall erbt Grube von seinem Vorgänger Mehdorn Schulden in Höhe von rund 16 Milliarden Euro, obwohl die Bahn erst vor wenigen Jahren von der Bundesregierung komplett entschuldet wurde. Den größten Gewinn machte der Konzern in den vergangenen Jahren real mit dem Regionalverkehr, der bis zu zwei Dritteln aus Steuermitteln bezuschusst wird. Und gemessen an den Zielen der Bahnreform sieht Mehdorns ­Bilanz nicht gut aus. Nach wie vor fließen Jahr für Jahr neun Milliarden Euro an Steuergeldern in den Konzern, prozentual betrachtet ist der Güterverkehr nicht von der Straße auf die Schiene verlagert worden, und nur bei 7,2 Prozent der Reisen wird die Bahn benutzt.
Immerhin gilt Grube im Gegensatz zu Mehdorn gilt als »umgänglich« und schaffte es am Montag, das Einverständnis der drei Gewerkschaften der Bahnbeschäftigten zu erlangen. Er wird versuchen müssen, den Spähskandal zu klären und das Vertrauen der Bahner zurückzugewinnen. Bei dem zu erwartenden Konzept sowohl für die ausgesetzte Privatisierung als auch für die zukünftige Mobilitätspolitik will allerdings auch das Bündnis »Bahn für Alle« mitreden. Deshalb heißt es am 15. und 16. Mai in Düsseldorf und Köln »Nächster Halt: Bürgerbahn«. Auf einer »Europäischen Konferenz zur Zukunft der Bahn« treffen sich dort die europäischen Privatisierungsgegner »rail4all« sowie zahlreiche Gewerkschaften der europäischen Eisenbahner.