Gespräch mit Aharon Leshno-Yaar über den Boykott, die Uno und die Menschenrechte

»Es geht um weit mehr als Israel«

Der Botschafter Aharon Leshno-Yaar ist Israels ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen in Genf. Er hat in Tel Aviv Arabistik und Geschichte des Mittleren Ostens studiert und ist seit 1981 im diplomatischen Dienst tätig. Unter anderem arbeitete er an der multilateralen Arbeitsgruppe zur palästinensischen Flüchtlingsfrage mit und nahm an den israelisch-libanesischen Friedensverhandlungen teil.

Israel hat sich früh dazu entschieden, Durban II zu boykottieren. Gab es außer dem Eklat während Durban I einen weiteren Anlass für den Boykott?
Ich glaube, die Frage, ob Israel teilnimmt oder nicht teilnimmt, ist gar nicht die wichtigste. Viel wichtiger ist, was nur sehr wenige Leute in Bezug auf Durban II fragen: Was ist der Wert dieser Konferenz? Kann sie den Kampf gegen Rassismus unterstützen? Oder wird sie das Gegenteil tun und den tatsächlichen Rassismus auf der Welt der Kritik entziehen? Die Frage ist doch, ob diese Konferenz etwas zur Verständigung zwischen den Menschen und zur Versöhnung beitragen kann.
Aber anstatt solche grundlegenden Fragen zu stellen, beschäftigen sich die meisten mit der Teilnahme der israelischen, kanadischen oder ame­rikanischen Delegation. Ich habe den Eindruck, dass viele Länder nicht an einer wirklichen Diskussion über Rassismus interessiert sind und es ihnen daher opportun scheint, sich hinter dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu verstecken. Die Fragen, die wir uns eigentlich stellen sollten, sind ganz andere als die, welche mich die meisten Journalisten fragen.
Mit Durban I wurde die so genannte Antirassis­mus-Konferenz doch längst zur Anti-Israel-Konferenz.
Die erste Antirassismus-Konferenz in Durban war für Israel und das jüdische Volk eine traumatische Erfahrung. Sowohl wegen der offiziellen Ereignisse als auch wegen der inoffiziellen außerhalb der Sitzungssäle. Die Tatsache, dass die Abschlussresolution damals nicht so schlimm war wie die vorangegangenen Entwürfe, sagt nichts über Durban und die Ergebnisse aus. Es ist eine übliche diplomatische Taktik, die härtesten Formulierungen gleich am Anfang auf den Tisch zu legen, um damit die Verhandlungen zu dominieren. Am Ende der Verhandlungen hat man dann immer noch ein Ergebnis, das einem gut passt. Insofern beeindrucken mich die bisherigen Entwürfe für die Durban-II-Deklaration kaum. Eine indirekte Erwähnung Israels reicht aus, um den gesamten Prozess vollständig zu diskreditieren. Die anti-israelischen und anti-jüdischen Ressentiments während Durban I wirkten sich verheerend auf das eigentliche Ziel der Konferenz aus.
Herrscht nicht in der Uno generell eine anti-israelische Atmosphäre?
Das Problem der UN und des Menschenrechtsrates ist weder ein israelisches noch ein jüdisches Problem, sondern stellt allgemein eine Herausfor­derung für alle Demokratien dar. Der Menschenrechtsrat wird von Diktaturen und totalitären Re­gierungen instrumentalisiert, damit sie sich nicht für ihr innenpolitisches Verhalten rechtfertigen müssen. Dies versuchen sie durch eine allgemeine antiwestliche Kampagne zu erreichen, die auch Israel trifft. Wir müssen uns noch einmal die grundlegende Frage vergegenwärtigen: Was ist der Sinn des Menschenrechtsrates? Ist es sein Sinn, Menschenrechte global zu fördern und zu verteidigen? Tatsächlich tut der Rat das genaue Gegenteil. Er greift westliche Demokratien an – auf Kosten der Menschenrechte in den Entwicklungsländern.
Ist der Antisemitismus also Teil einer größeren, antiwestlichen Agenda?
Ja. Diejenigen, die antisemitische Ressentiments verwenden, verstehen meistens gar nicht, was sie da überhaupt sagen. Sie benutzen sie, um Kri­tik an der Menschenrechtssituation in ihrem Land abzuwehren. Ein Beispiel: Während seiner 10. Sitzung hat der Menschenrechtsrat 30 Tage lang verschiedene Menschenrechtslagen diskutiert. Zahlreiche Tage davon hat sich der Rat mit Israel befasst. Nicht ein einziges Mal wurde über die Lage der Menschenrechte in irgendeinem arabischen Land gesprochen.
Das war im gleichen Monat, in dem der Internationale Strafgerichtshof entschied, den sudanesischen Präsidenten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen. Aber der Menschenrechtsrat, der eigentlich der allererste sein sollte, der sich mit dem Urteil gegen Bashir befasst, fand es nicht angebracht, auch nur eine Mi­nute seiner Zeit diesem Thema zu widmen. Ich könnte zahllose weitere Beispiele anführen. Ich bin israelischer Botschafter und natürlich liegt mir Israel am Herzen. Aber die Probleme hier in Genf sind viel größer, es geht um weit mehr als Israel. Es geht darum, wie wir alle in der heutigen Welt die Prinzipien und Werte der allgemeinen Menschenrechte fördern und verteidigen können. Ich befürchte, der Menschenrechtsrat und diese Konferenz bieten auf diese Herausforderung keine Antwort.
Dennoch wird ja am Ende doch immer wieder Israel angegriffen, und nicht beispielsweise Frankreich oder Spanien.
Das liegt an mehreren Faktoren. Erstens ist der israelisch-palästinensische Konflikt manifester Teil eines größeren Wertekonflikts zwischen der westlichen und der arabischen Welt. Und viele arabische Staaten, die vor Ort überhaupt nichts zur Verbesserung der Lage beitragen, finden es bequemer, im multilateralen Forum der Vereinten Nationen Israel zu verurteilen. Zweitens gehört Israel im UN-System zu keiner Regionalgrup­pe. Im Gegensatz zu allen anderen Ländern haben wir bei den Vereinten Nationen keine »Familie«. Daher ist Israel ein leichtes Opfer für die arabischen Staaten. Wenn du Frankreich in der UN attackierst, hast du sofort ein Problem mit 27 anderen EU-Staaten und mit dem Sicherheitsrat. Aber Israel ist alleine hier.
2006 wurde die diskreditierte UN-Menschenrechtskommission durch den UN-Menschenrechtsrat abgelöst. Gibt es einen Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Gremium?
Natürlich, da gibt es einen großen Unterschied, es ist wesentlich schlimmer geworden. Vor allem wurden an die Ablösung der Menschenrechtskommission große Erwartungen geknüpft. Umso größer ist jetzt die Enttäuschung. Außerdem haben sich die numerischen Verhältnisse im Men­schenrechtsrat zu Ungunsten der westlichen Demokratien verändert. Die Bewegung der block­freien Länder hat zusammen mit den arabischen Ländern eine riesige Mehrheit, und diese nutzen sie, um das Gremium mehr als je zuvor zu manipulieren. Außerdem spiegelt der Menschenrechtsrat auch einfach globale Realitäten wieder. Ich weiß nicht, ob »Clash« wirklich der richtige Begriff ist, aber die Verschärfung des Gegensatzes zwischen Nord und Süd, der Kon­flikt zwischen dem Westen und der islamischen Welt hat in Folge des 11. Septembers und des Irak- und Afghanistan-Kriegs wesentlich zu einer Verschärfung der Auseinandersetzung in den UN beigetragen. Israel ist in gewisser Weise ein Opfer dieses Konflikts, auch wenn das Grundproblem viel größer ist.
Welche Rolle spielt Europa im Durban-Prozess und im Menschenrechtsrat?
Die für 2011 angesetzte so genannte Review-Konferenz, die auf die fünf ersten Jahre des Menschenrechtsrats zurückblicken wird, ist die nächs­te Gelegenheit, den Rat zu verbessern. Die Europäer sollten sich darauf sehr gut vorbereiten und dort die Defizite des Rats angehen. Ansonsten sehe ich auf lange Zeit keine Möglichkeit mehr, die Situation grundlegend zu verbessern. Vor allem müsste der Westen endlich seine defensive Haltung aufgeben. Es wird in Zukunft nicht reichen, ständig nur auf Initiativen zu reagieren. Mann muss die Themen, die für Demokratien wich­tig sind, aktiv voranbringen.
Was halten Sie von der islamischen Initiative, die »Diffamierung von Religionen« als Menschenrechtsverletzung zu deklarieren?
In dieser Frage sind wir sehr nah an der europäischen Position. Ich glaube nicht, dass der Menschenrechtsrat überhaupt die Legitimität besitzt, sich mit Fragen religiöser Natur zu befassen. Auf jeden Fall gibt es Anlass zur Besorgnis, dass das Konzept der »Diffamierung von Religionen« sehr leicht zur Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung führen kann.