Tage in Myanmar

Tage in Myanmar

OL ist vier Wochen auf Reisen gegangen und hat statt zu Skizzenbuch und Zeichenstift zu Kamera und Notizheft gegriffen.
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400 000 Kyat brauche ich für die Reise. Der Schwarz­marktwert von Euro und Dollar ist in den letzten zwei Wochen um 300 Kyat gefallen. An der Sule Pagode in Yangon spricht mich ein Guide auf Englisch an. Er führt mich in einen unscheinbaren Laden, wo der Umtausch abgewickelt wird.
Kaun San, der mit seiner Brille aussieht wie ein Dozent und mit Frau und vier Kindern außerhalb Yangons wohnt, möchte mir die Stadt zeigen. Kostenlos. Wir gehen an herunter­ge­kom­menen Kolonialbauten und schmutzigen Regierungsgebäuden vorbei zum Hafen. Die Fuß­wege sind mit Betonplatten abgedeckt, von denen ab und an eine fehlt. Man muss höllisch aufpassen, um nicht in eins dieser Löcher zu treten, von denen man nicht weiß, wo sie enden. Es ist schon dunkel, und Kaun San fragt mich, ob ich Bier mag. Wir nehmen ein Taxi in die 19th Street, Chinatown. Hier haben die Bars Lizenzen für den Ausschank bis Mitternacht. Es gibt Dagon Beer, Tiger Beer, Mandalay Blue, Mandalay Red in 0,66-Liter-Flaschen und Myanmar Beer, das meist­ge­trunkene, auch vom Fass. Kaun San bestellt kleine Grillspieße mit Fisch und Fleisch. Die leeren Biergläser bleiben auf dem Tisch, damit sie der Kellner am Ende zusammenzählen kann. Irgendwann stellt Kaun San all unsere Gläser hintereinander auf, eine sehr lange Reihe. Als die Bar schließt, übernehme ich die Rechnung und biete meinem Begleiter an, sein Taxi zu bezahlen, aber er besteht darauf, mich zum Hotel zu bringen, und muss sich auf mich stützen. Jetzt hält er den Zeitpunkt für eine Massage für ge­kom­men. Ich lehne dankend ab. Vielleicht eine Fashion-Show? Ich bin müde und will allein sein. Die Hand voll Scheine in meiner Tasche reicht nicht für die lan­ge Heimfahrt meines neuen Freundes.
Das Geld bei den Leuten zu lassen und nicht beim Staat, hatte ich mir vorgenommen. Zurück im Hotel, krame ich die fehlenden Kyat-Scheine aus einem der riesigen Geldbündel und gebe sie Kaun San. Am nächsten Tag, dem Nationalfeiertag, nehme ich vor Be­ginn der großen Militärparade ein Taxi zum Flughafen, um weiter nach Thandwe zu fliegen. Drei Tage wollte ich an einem der schönsten Strände verbringen, dem Ngapali Beach. Der Flug aber verschiebt sich immer wieder, und ich bleibe eine Woche.
Meinen Skizzenblock habe ich zu Hause gelassen, ich habe Urlaub. Ich kaufe ein Schul­heft und mache mir Notizen.

Im Flugzeug sitzen überwiegend Touristen. Zwischenstopp in Sittwe, einer Hafenstadt an der Gren­ze zu Bangladesh. Der kleine Flughafen ist voller Militär. Nach einiger Zeit tauchen zwei Jeeps auf, ein mit Orden behängter General wird militärisch begrüßt und begibt sich mit seiner Entou­rage, drei Frauen mit Shopping-Bags, einem uniformierten Kameramann und mehreren bewaffneten Soldaten, in die wartende Maschine und nimmt jovial grüßend in der vordersten Sitzreihe Platz. Er inspiziert Hotels am Ngapali ­Beach, was bedeutet, dass er dort kostenlos wohnt. Ein alter Mann, der Kokosnüsse am Strand verkauft, erzählt, dass alle Händler während der In­spek­tio­nen vom Strand verjagt werden, weil sie das Bild trüben. Die Resorts sind auf Auslän­der zugeschnitten, es sind geschlossene Paradiese. Ein Zimmer kann 200 bis 250 Dollar kosten. Myanmar gehört mit einem Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet rund 120 Euro im Jahr zu den ärmsten Ländern der Welt. Am Süd­ende des Strandes liegt »Pleasant Island View«, ein Restaurant auf einer kleinen Trauminsel. Der Fisch kommt aus dem Dorf nebenan. Vom Restaurant aus sieht man Kinder, die Krebse aus dem Sand buddeln, da­neben ein aufge­dunsener Hundekadaver, hundert Meter weiter liegen dicke weiße Menschen unter Sonnenschirmen.
Manchmal, wenn ich mit Burmesen rede, muss ich an die DDR denken. Keiner scheint Angst zu haben, seine Meinung zu sagen, weil fast alle diese Meinung haben. Es gibt keine Ge­heimnisse vor dem Ausländer. Jeder ist unzufrieden mit der Regierung, sie ist unfähig und arbeitet in die eigene Tasche. 2006 sei ein gutes Jahr für den Tourismus gewesen, sagen alle. Dann protestierten die Mönche. Es gab Tote, die Technische Universität in Yangon wurde zum Gefängnis für die Mönche und ist es heute noch. Dann kam der Wirbelsturm Nargis und das wochen­lange Nichtstun der Militärs. Es gab über 100 000 Tote.
Heute kommt vielleicht noch ein Drittel der damaligen Besucher, die Hotels sind leer, die Stimmung ist im Keller. Ausländer dürfen nur in staatlich lizenzierten Gasthäusern unterkommen, jede Bewegung wird festgehalten, Pass und Visum werden ständig registriert, im Hotel, bei jedem Inlandsflug, selbst in einem kleinen buddhistischen Museum muss ich den Ausstellungsort und die Ablaufzeit des Visums und meinen Beruf angeben. Während einer Busfahrt, die sechs Stunden dauert, hält der Bus an drei Kontrollpunkten an, und jeder einzelne Soldat inspiziert die ausländischen Pässe. Ich erinnere mich, wie unsere West­verwandt­schaft über die zahllosen Kontrollen im Osten stöhnte.

Mo Mo, der Besitzer eines Restaurants, kreuzt jeden Nachmittag zum Volleyball auf. Gespielt wird vier gegen vier. Der Verlierer kauft Bier. Ein Bier kostet hier 2 000 Kyat. Ein Angestellter verdient 1 000 am Tag. Mo Mo ist gut, aber kein Team­spieler. Wir verlieren, weil er alles allein macht. Er weiß alles über Bundesliga, Champions League, Hoffenheim, Chelsea, Trainerwechsel und Spielerkäufe. Für den Empfang des Sportkanals zahlt er ein Vermögen. Manfred aus München ist auch allein unterwegs. Geschieden, zwei Söhne, arbeitet bei Air Berlin für Urlaub und Unterhalt, guter Netzspieler.
Wir gehen jeden Abend ins »Brillance«, Mo Mos Restaurant. Es gibt bessere Küche, aber die Stimmung ist sehr gut – man fährt nicht wegen des Essens nach Myanmar. Was wir von den Holländern halten? Ein Mann und zwei Frauen, Anfang zwanzig, seit Tagen am Strand, haben kein Geld. Maximal vier Dollar am Tag können sie ausgeben, der billigste Bungalow kostet 20. Man lässt sie trotzdem dort schlafen. Mo Mo gibt ihnen Essen umsonst, niemand soll hungern, »they are our guests.« Man muss nicht am teuersten Strand wohnen, wenn man kein Geld hat, sage ich. Und wenn man mit Laptop verreist, ist man nicht arm.

Helena, 80, aus Hamburg verbringt hier drei Monate im Jahr. Sie wird hofiert wie eine Fürstin. Für die Überziehung des 28tägigen Touristenvisums zahlt man drei Dollar pro Tag, eine Tasse Kaffee, sagt sie. Alice Schwarzer kommt auch hierher. Rüdiger, 52, aus Berlin hatte ein Arbeitsvisum und trat für 30 Dollar am Abend, Unterkunft und Essen als Barmusiker in teuren Hotels auf. Seit Beginn der Finanzkrise beschäftigt man einheimische Musiker, die spielen für drei Dollar. Die beiden Dauer­gäste glauben, dass die Regierung den schlechten Ruf ausländischen Medien zu verdanken hat und den Amerikanern. Die sitzen schon in den Startlöchern. Seit einer Woche ist es diesig, keine einzige Wolke. So etwas hat es hier noch nie gegeben, sagt Rüdiger, sie bereiten etwas vor. Sie beeinflussen die Währung und das Wetter. Wer sie sind, ist klar, steht alles im Internet. Das Wetterphänomen habe mit dem aufkommenden Neumond zu tun, sagt Mo Mo, und die Währung schwanke von alleine.

Sittwe, keine schöne Stadt, schmutzig und arm, viele Männer mit Bärten. Gegenüber einer Moschee, im Garten der Universität, hängen Hunderte von Flughunden in den Bäumen, lautlos, geisterhaft. Fruit-Bats, harmlose Vegetarier, die von Krähenschwärmen attackiert werden.
Das Boot nach Mrauk U teile ich mir mit Cameron, einem Amerikaner, der am liebsten in Dörfern schläft, für die man Sondergenehmigungen braucht. Er hat seine Softwarefirma in L.A. verkauft und ist seit einem halben Jahr unterwegs. Die Fahrt dauert sechs Stunden und wird uns von Herrn Maung Gree verkürzt, Fremdenführer, Palmist, Kickboxer und hocherfreut, als ich ihm sage, dass er Jackie Chan ähnelt. In meiner Hand liest er ein gebrochenes Herz in der Vergangenheit, ein langes Leben und die Kraft des Tigers plus Reserven. Mrauk U, die alte Königstadt, äl­ter als Bagan und Jahrhunderte lang Hauptstadt des Rakhine-Reichs. Unzählige Tempel und verfallene Pagoden auf überschaubarem Raum.
Die Menschen sind freundlich. Ich sehe in einer Woche nur zehn Touristen. Das Prince-Hotel ist eine etwas abseits gelegene Bungalowanlage mit schönem Garten und einer Hausfrau, die jeden Abend hervorragende Gerichte kocht. Aus diesem Grund wohnt Naomi hier, eine Kanadierin, etwa 60, die sich weniger für Pagoden als für die einheimische Küche interessiert. Sie schreibt Bücher über Food und regionale Ernährungsgewohnheiten. Sie rät mir, Betel auszuprobieren. Das Blatt der Betelnuss wird mit Kalk bestrichen, die Nuss zerhackt, mit Rosenpulver, Anis, Tabak und Pfefferminz darin eingewickelt und in die Backe geschoben und zerkaut. Ich beginne sofort zu sabbern. Überall wird es verkauft, fast jeder kaut es, und die roten Spuckeflecken sind überall zu sehen. Betel hat eine ähnliche Wirkung wie Coca, stimuliert das zentrale Nervensystem, regt die Darm­tätigkeit an, tötet Darmwürmer, wirkt anregend, entspannend, euphorisierend, vertreibt das Hunger­gefühl und ist schlecht für die Zähne. Man erkennt die Konsumenten am roten Zahnfleisch. Den Mund voller bitterer Krümel spucke ich wie ein Lama. Ich habe mir meinen Priem vor einem Kloster geholt, ein Mönch bittet mich in den Schatten, jemand bringt Tee, ein alter Mann liest monoton leiernd aus einem religiösen Buch, und ich sitze da, zufrieden und sehr lange.

Mit Naomi mache ich einen Ausflug ins Chin-Gebiet. Herr Tong Shwe, unser Wirt, hat einen Boots­trip organisiert. Die Flussfahrt dauert einen Tag. Auf einem Markt kaufe ich einen Stapel Schreibhefte, die ich zusammen mit einem dicken Bündel Stifte einer Schule schenken will. Im Gesicht tätowierte Chin-Frauen sind als Fotomotiv Höhepunkte solcher Touren. Weil der Bootsmotor auf halbem Weg streikt, gibt es eine Änderung im Programm. Wir besuchen ein Dorf abseits der Route. Wir werden freundlich empfangen, man stellt uns den ehemaligen Lehrer vor und zeigt uns das ehemalige Schulgebäude, ein paar Balken um ein dachloses Fundament. Die Regierung hat vor Jahren angekündigt, sich um den Bau zu kümmern. Seither werden die Schüler im Kloster unterrichtet. Dem einzigen Mönch, den wir dort antreffen, wird meine Spende überreicht.
Inzwischen ist der Motor repariert, und es bleibt noch Zeit, das ursprüngliche Ziel des Ausflugs zu besuchen. Vier alte Damen, die mit ihren tätowierten Gesichtern wie Schwestern aussehen, nehmen uns in Empfang und führen uns durch ihr Dorf, stellen sich fotogen in einer Reihe auf, warten auf die Kameras, bieten selbst gemachte Ketten zum Kauf und bitten uns dann in eine offene Hütte in der Dorfmitte. Alles sehr routiniert. Als ich für die Dorfkinder Luftballons aufblase, jedes Mal ein Riesenspaß, werden die Schwestern unwirsch und scheuchen mich weiter.
Bei unserer Rückkehr ins Prince-Hotel sitzt ein zerknittertes Ehepaar im Garten. »Wir kommen aus Berlin« – und sind unzufrieden. Die Energiesparlampen machen ein ungesundes Licht, sagt die Frau (es gibt nur zwei Stunden Strom am Abend), die Stadt ist dreckig (eigentlich ist sie nur staubig), nachts ist es zu laut (500 Meter weiter ist eine Kaserne, und in dieser Nacht findet anscheinend ein Manöver statt), für ihren Bungalow zahlen sie 50 Dollar (ich acht), und als sie erfahren, dass ich für die Bootsfahrt von Sittwe zehn Dollar statt 50 gezahlt habe, flippen sie aus. Herr Pfeiffer, ein Deutscher, der im Traders-Hotel in Yangon residiert und überteuerte Flüge an Landsleute vermittelt, hat ihnen das »Reisepaket« zusammengestellt. Die Frau hat etwas Hexenhaftes, er eine Säufernase. Früher hat er Geld verbrannt, bei der Telekom, jetzt reisen sie. Ich frage, in welchem Teil Berlins sie wohnen. Früher mal zwei Jahre in einer Dachwohnung am Kollwitzplatz, dann wurde es ihnen zu spießig, jetzt leben sie in »Kreuzkölln«, da ist noch was los. Eigentlich kommen sie aus Bielefeld. Fängt auch mit B an. Am nächsten Tag ziehen sie um, ins staatliche Hotel, gleich neben die Kaserne.

Um weiterzureisen, muss ich wieder in die Hauptstadt zurück. Als Tourist muss man akzeptieren, dass man das Doppelte für den Transport bezahlt. Ich gewöhne mir an mitzulachen, wenn die Umstehenden sich erheitern. Wahrscheinlich zahlen sie 1 000 Kyat weniger für die Fahrt und lachen über den dummen Touristen. Am Busbahnhof erregt sich ein junger Israeli. Er sei nicht bereit, 5 000 statt 2 500 Kyat, also vier statt zwei Euro, für die siebenstündige Busfahrt zu zahlen. Fünf Minuten später kehrt er mit einem Polizisten zurück. Leider sei der Bus jetzt voll, sagt der Ticketverkäufer.
Auffällig sind die vielen Mopedfahrer, die mit deutschen Wehrmachtshelmen durch die Gegend fahren. Solche Helme sind absolut in, auch Frauen tragen sie. Die Helme sind Imitationen, der Adler mit dem Kreuz ist häufig seitenverkehrt angebracht. Es hat wenig mit Sympathie fürs Dritte Reich zu tun, eher mit der Swastika, dem hinduistisch-buddhistischen Glückssymbol. Während meiner Reise werde ich nur einmal mit »Heil Hitler« begrüßt, von einem Inder, und der ist Moslem.

Nächste Station ist der Inle-See. Mehr als die Hälf­te der heimischen Tomaten und auch Tabak werden hier auf schwimmenden Gärten gezogen, mit Erde bedeckten Geflechten, die von Wasserpflanzen gehalten und mit Seegras gedüngt werden. Auf Naomis Empfehlung fahre ich mit dem Pickup nach Kalaw, einen ehemaligen Luftkurort der Briten, 1 350 Meter überm Meer. Es ist angenehm kühl hier. Ich bekomme Fieber und Schüttelfrost. Zwei Tage liege ich wie die Erbse unter der Prinzessin, zugedeckt mit sämtlichen Decken, die sich auftreiben lassen. Auf Star-Movie läuft »Rambo IV«, in dem Sylvester Stallone auf Friedensmission die halbe burmesische Armee zerhackstückt. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Von Heho fliege ich zurück nach Yangon und fahre weiter nach Pathein, der größten Stadt im Ayeyarwady-Delta. Nach sieben Stunden im vollen Bus endlich angekommen, frage ich im Hotel nach einer Massage. Man schickt mir einen alten Mann aufs Zimmer. Die burmesische Massage ist im Unterschied zur Thai-Massage schmerzhaft. Eine reine Druckpunktmassage. Der Masseur gehört einer ethnischen Gruppe an, die vom Regime unterdrückt wird. In Yangon wird er deshalb oft von der Polizei kontrolliert. Er zeigt mir Folterspuren, und während er mich massiert, erzählt er seine Geschichte. Aufgewachsen ist er in den Bergen. Die Armee kam regelmäßig in die Dörfer, mordete und vergewaltigte. Er erzählt, wie seine Schwester vom Wasserholen nach drei Tagen zurückkam, so oft vergewaltigt, dass sie an den Verletzungen starb. Er war 17 Jahre alt. Er wollte töten. Er ging zum Oberkommandierenden der Rebellenarmee, aber er war zu jung. Sie schickten ihn in sein Dorf zurück. Er sollte sich um die Familie kümmern. Sein Großvater zeigte ihm, wie man Gift aus einer Baumrinde gewinnt. Mit einer Armbrust erschoss er seinen ersten Soldaten.
Mit 20 wurde er von den Rebellen aufgenommen und in den Bergen sechs Monate lang gedrillt. »I killed a lot of people.« Er beschreibt, wie er einen gefangenen Offizier drei Tage lang zu Tode folterte, ihn an Pfählen überm Boden aufhängte, ihm die Zehen abschnitt, die Haut mit jungem Bambus aufschnitt, wie er sein Ohr frittierte und es ihm zu essen gab. Die Armee geht genauso vor, nur stecken sie den Männern ihre Genitalien in den Mund, sagt er. Er erzählt von vergewaltigten, Aids-infizierten Frauen, die sich freiwillig den Soldaten hingeben, »good tactic«. Zwei seiner vier Kinder wurden getötet. Er legt die Hand auf seine Brust und sagt, dass er nicht weinen könne, sein Herz sei zu hart geworden. Er lebt unauffällig in der Stadt. Vor sechs Jahren hat er eine deutsche Touristin gebeten, für ihn eine Digitalkamera zu kaufen. Er hatte 120 Dol­lar gesammelt. Sein Sohn in den Bergen brauchte Fotos von Offizieren. Ein Offizier befehligt 200 Soldaten, wenn er stirbt, herrscht Chaos. Die Deutsche hatte Angst. Später fragte er eine I­sraeli, die einverstanden war und ihm eine Kamera kaufte. Als er sie einem Freund zeigte, lachte der ihn aus. Es war eine Einweg­kamera für zehn Dollar. Er lief zum Hotel der Touristin, aber die war schon abgereist. Er schämte sich für seine Naivität. 120 Dollar sind ein halber Jahreslohn. Ab und zu bringt er Medikamente in die Berge. Aber die sind teuer.
Vor jeder Reise stellt mir ein Freund eine große Reiseapotheke zusammen. Er ist Arzt. Einweg­spritzen, Kanülen, Ampullen mit Schmerzmitteln, Antibiotika, Durchfalltabletten. Ich gebe sie dem Masseur, bitte ihn, sie einem Doktor zu zeigen, der weiß, wie man sie anwendet. Zwei Stunden dauert die Massage. Er will nur Geld für eine Stunde nehmen.

In London-Heathrow merke ich, dass ich mir mein Lächeln, das ich einen Monat mit mir herumtrug, abgewöhnen muss. Es funktioniert nicht mehr. Kein Lächeln für umsonst.

Geändert: 20. April 2009