Streit um die Umbenennung einer Straße in Berlin

Gröben oder Gröben

In Kreuzberg soll eine Straße umbenannt werden. Zwei Jahre nachdem der Antrag gestellt wurde, ist immerhin geklärt, nach wem sie überhaupt benannt wurde.

Die Sonne scheint. Am Gröbenufer schiebt eine Frau einen Kinderwagen vor sich her, telefoniert dabei und bleibt vor einem der beiden Wohnhäuser stehen. Auf der anderen Straßenseite, wo gerade das Spreeufer neu befestigt wird, geht ein Mann flotten Schrittes Richtung Oberbaumbrücke. Zugegeben, das Gröbenufer ist als Straße nicht von großer Bedeutung. Es ist weder lang noch stark befahren, und außer den beiden Häusern trägt nur noch ein Kinderzirkus die Adresse. Es ist der Name der Straße, der seit geraumer Zeit die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg beschäftigt.
Jener Name war vorige Woche auch Thema der Sitzung des Ausschusses für Kultur und Bildung im Kreuzberger Rathaus. Wer zum ersten Mal einer solchen Veranstaltung beiwohnt, gewinnt den Eindruck, die Anwesenden beschäftigten sich schon seit ewigen Zeiten mit dem Thema und es sei äußerst fraglich, ob sie sich jemals wieder einem anderen Thema widmen würden. Denn schließlich ändert sich stets der »Sachstand«, über den dann wieder neu diskutiert oder der zur Diskussion in eine Kommission verwiesen werden muss, auch wenn deren Mitglieder ­nahezu vollzählig anwesend sind, auf dass die Kommis­sion eine Empfehlung abgebe, die wohl darin bestünde, ein weiteres Gutachten zu bestellen.

Dabei ist eigentlich alles ganz einfach. Vor beinahe zwei Jahren stellte die Bezirksverordnete Taina Gärtner (Grüne) den Antrag, das Gröben­ufer in May-Ayim-Ufer umzubenennen. Denn Otto Friedrich von der Groeben (1656–1728), der im Jahr 1895 mit dem Straßennamen für seine Verdienste geehrt wurde, gilt als Pionier des Kolo­nialismus. Er gründete als Leiter einer preußisch-brandenburgischen Expedition, die unter anderem das Geschäft mit den Sklaven zum Ziel hatte, die Festung Großfriedrichsburg im heutigen Ghana. Bis zu 30 000 Menschen wurden in der Folge von dort unter grausamsten Bedingungen verschifft, etwa jeder Zehnte überlebte schon den Transport an den Bestimmungsort nicht.
Die international bekannte afrodeutsche Dichterin und Pädagogin May Ayim (1960–1996), die sich gegen Rassismus einsetzte und in der Frauenbewegung aktiv war, machte immer wieder auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands aufmerksam. Eine Straße nach ihr zu benennen, würde das Thema Kolonialismus nicht verschwinden lassen, sondern eine »Perspektivumkehr« bedeuten, wie Joshua Aikins von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland den Ausschussmitgliedern erläuterte.

So einfach ist die Sache aber nicht, kamen doch im Laufe der zwei Jahre Zweifel auf, ob das Gröben­ufer nicht etwa nach Karl von der Gröben (1788–1876) benannt wurde – übrigens einem ebenfalls recht unsympathischen Zeitgenossen. Immerhin konnte diese Frage geklärt werden. Der bestellte Gutach­ter, Joachim Kundler, berichtete ausführlich, wie er das entscheidende Dokument, anders als alle anderen, die es vor ihm versucht hatten, aufspürte.
Auch müssen die Fraktionen in der BVV ihre Ein­stellung zu der Sache noch intern absprechen. Neben den Grünen wird zumindest die Linkspartei den Antrag unterstützen, wie der Fraktionsvor­sitzende, Lothar Schüßler, auf Nachfrage mitteilte. Bei der SPD weiß man offenbar noch nicht so genau. Für die Stadträtin Sigrid Klebba war gleich »alles verwässert«, als der Historiker aus dem Publikum zu bedenken gab, dass sich von der Groeben nicht sein ganzes Leben lang und ausschließlich dem Kolonialismus und dem Sklavenhandel gewidmet habe.
Für Ernst-Uwe Stry (CDU) ist das Umbenennen einer Straße ganz klar »Geschichtsrevision«. Seine Frage nach der besonderen Grausamkeit von der Groebens »aus seiner Zeit heraus« mit dem Hinweis auf den Nationalsozialismus abzulehnen, bezeichnet er als »Totschlagargument«. Ob sich May Ayim denn überhaupt »in Friedrichshain-Kreuzberg entleibt« habe, will er wissen.
Wer weiß, vielleicht bildet die Hausnummer des Gebäudes, von dem sich May Ayim im Jahr 1996 in den Tod stürzte, den neuen »Sachstand« der nächsten Sitzung, der eine neue Diskussion erfordert oder besser die Übertragung des Themas an die Kommission, die dann ein weiteres Gutachten in Auftrag geben könnte.