Der Roman »Bitterfotze« von Maria Sveland

Cheddar statt Schmelzkäse

Nach den »Feuchtgebieten« kommt die »Bitterfotze«. Maria Svelands Roman ist vordergründig feministisch, spricht sich dann aber doch für das klassische Familienglück aus.

Es geht vielversprechend los: Sara, freie Journalistin und junge Mutter, sitzt im Flugzeug nach Teneriffa. lhren Mann und ihren kleinen Sohn hat sie im kalten schwedischen Winter zurückgelassen. Sie fühlt sich »müde, hässlich und wütend«, mehr noch, »richtig bitterfotzig«. Im Laufe ihres 30jährigen Lebens hat sie festgestellt, dass es Vieles gibt, worüber frau zornig sein kann. Ihr Zorn gilt Vätern, die selbstherrlich von der Krankenkasse gespendete T-Shirts mit der Aufschrift »Vaterurlaub« tragen, Müttern, die die Abwesenheit der Väter mit einer Fülle von Vater-Kind-Fotos zu kompensieren versuchen, und Redakteuren, die von einer Frau präsentierte Ideen grundsätzlich erst einmal ablehnen.
Eine Woche lang hat Sara Zeit, über all diese Dinge nachzudenken. Nebenbei beobachtet sie Paare und Familien in der Hotelanlage, die allesamt ihr eigenes Unglück zu spiegeln scheinen, und erinnert sich an ihre Kindheit und Jugend, an den emotionsgehemmten Alkoholikervater, die unterwürfige Mutter und erste (missglückte) sexuelle Erfahrungen. En passant werden Journalistinnen und Politikerinnen sowie eine Reihe von Autorinnen der siebziger Jahre zitiert, allen voran Erica Jong, deren feministischen Bestseller »Angst vorm Fliegen« Maria Svelands Heldin im Gepäck hat. An sämtlichen gender-re­levanten Themen arbeitet sich Sara ab. Sie erzählt die Geschichte ihrer Mutter, die »staubsaugt, Kartoffeln schält, einen Hefeteig gehen lässt, dabei einen Schluck lauwarmen Kaffee trinkt und einen Zug aus ihrer Zigarette nimmt«, vom Mathelehrer, der behauptet, Frauen hätten größere Probleme als Männer, Mathematik und Physik zu verstehen, und vom Anwalt, der einer vergewaltigten Frau ihre Glaubwürdigkeit abspricht, weil sie zuvor als »Hure« bezeichnet worden war. Da steckt viel berechtigte Kritik drin. Und die eine oder andere notierenswerte Erkenntnis. So wird die »Zweisamkeit als eine organisierte Form des ungelebten Lebens«, das Patriarchat als eine »Form von Mechanismen, mit denen wir uns selbst unterdrücken«, und die Kleinfamilie als eine »für Frauen nachteilige Konstruktion« entlarvt. Nur leider wird schnell deutlich, dass diese Gedanken nicht neu und die besten Zitate geklaut sind.
Immerhin werden die geliehenen Erkenntnisse durchaus gekonnt mit eigenen, scharfsichtigen Alltagsbeobachtungen verknüpft. Wie Sara aus der Gemeinschaft der »Bodenmütter«, die sich keine zehn Zentimeter von ihren Sprösslingen entfernen, ausgestoßen wird, weil sie sich weigert, an den »todlangweiligen Themen wie Durchschlafen, Gewichtszunahme und Koliken« teilzunehmen. Oder wie eine ältere Frau im Bus, nachdem ihr Mann eine selbst­ironische Bemerkung über seine Frisur gemacht hat, in beinahe hysterisches Lachen ausbricht, damit auch ja die ganze Reisegruppe seine »humoristische Groß­tat« zur Kenntnis nimmt und er im Gegenzug »so lange wie möglich draußen bleibt« aus seiner Verschlossenheit. Da wird mit wenigen Sätzen eine Menge gesagt über verinnerlichte Geschlechterdynamiken.
Derweil droht die Romanhandlung zu zerfallen. Unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf: Hätte es die Autorin vielleicht lieber mit einem essayistischen Sachbuch anstatt mit einem Roman versuchen sollen?
Für ein gutes Sachbuch mangelt es jedoch an Lösungsvorschlägen oder zumindest originellen Ideen. Interessant wäre beispielsweise die Frage gewesen, was eigentlich Menschen – Männer wie Frauen – dazu bringt, ihr Glück in der Fremdbestimmung zu suchen und zugleich an dem vagen Ideal von »Freiheit« festzuhalten. Dieses und andere angerissene Probleme werden leider nicht weitergedacht. Stattdessen stellt die Protagonistin gegen Ende ihres Urlaubs befriedigt fest, dass es auch »Ausnahmen von der Familienhölle« gibt. Es gibt sie noch, die Familien, die »richtig nett und fröhlich« aussehen. Was für eine Erleichterung! Sara will nämlich nach wie vor an die »reine Liebe« jenseits patriarchaler Strukturen glauben. Der »süßklebrige« Kakao, den die Reisegesellschaft nach einer Bergwanderung trinkt, lässt ahnen, was kommt. In den folgenden Passagen beobachtet Sara gerührt die Papa-Mama-Kind-Konstrukte, die »ihre Liegestühle nebeneinander in einer Art Zusammengehörigkeitsmuster aufgestellt« haben. Zu ihrem neuen Ideal erhebt sie Männer, die Orangen schälen, sich trauen zu tanzen und eine Lunchbox (von ihren Frauen gefüllt?) bei sich tragen. Die zornigen Betrachtungen lösen sich auf in Klischees wie »Glück ist ein relativer Begriff« und »Dankbarkeit kommt mit dem Alter«. Und siehe da – »die Bitterfotze in mir verkrümelt sich in einem tiefen Loch«.
So kann die Heldin im letzten Kapitel voller Sehn­sucht und zum zweiten Mal schwanger zu ihrem Mann und dem Sohn zurückkehren. Ihre ultimative Erkenntnis lautet: »Ich will dieses Kind bekommen. Ich will mich nicht von Johan trennen. Ich liebe ihn nämlich!« Wir erinnern uns: Bereits in der Mitte des Buches hat Sara festgestellt, dass ihr Gatte »kein geschmackloser Schmelzkäse« ist, sondern ein »gereifter Cheddar, hart und zuverlässig, ein Käse, der lange hält, mindestens zehn Jahre«. Na dann.
Das Buch endet, parallel zu Erica Jongs »Angst vorm Fliegen«, mit einem heißen Bad. Sara lässt ihr Körperhaar sprießen, fühlt sich »stark und selbstbestimmt« und vertraut darauf, »dass das Bitterfotzige in mir sich schon wieder bemerkbar machen wird, wenn etwas nicht stimmt«. Zum Schluss legt sie die Hand ihres Gatten auf ihren Bauch. Ein schöneres Ende hätte sich auch der reaktionärste Dramaturg am Ende des vorletzten Jahrhunderts nicht ausdenken können.
Was lernt die Frau von heute daraus? Flucht bedeutet eine Woche Pauschalurlaub auf Teneriffa. Das Höchstmaß an Skandal und Auflehnung, wissen wir seit »Feuchtgebiete«, sind unrasierte Achselhöhlen.
Letztlich bleibt das Buch genau das, was Svelands Heldin anfangs all den frustrierten Hausfrauen und doppelt belasteten Müttern vorwirft: »Ein Gejammer, das jedoch nicht den großen Zorn auslöst und die richtigen Veränderungen in Gang setzt.«
Schade. Wir waren schon mal weiter.

Maria Sveland: Bitterfotze, Kiwi, Köln, 272 Seiten, 8,95 Euro