Die Ausstellung »Körperwelten« in Berlin

Der Tod steht auch dir gut

»Körperwelten«, die Show mit den plastinierten Leichen, ist jetzt so pädagogisch wertvoll wie nie zuvor.

Werde auch du Plastinat.« So wird in der Ausstellung »Körperwelten«, die nach ihrer Reise rund um die Welt wieder in Berlin zu sehen ist, um Menschenmaterial geworben. »Möchten auch Sie Körperspender/in werden?«, wird da auf einer Postkarte gefragt, die man nur noch einschicken muss. Mit etwas Glück wird man dann demnächst auch in plastiniertem Zustand begafft wie ein Popstar. Jeder hat schließlich ein Recht auf seine 15 Minuten Ruhm, und wenn es damit im Leben nichts werden sollte, dann eben danach.
Das Plastinieren erscheint bei Gunther von Hagens, dem Erfinder der Leichenshow, inzwischen wie ein kultischer Akt, wie ein religiöser Ritus. Wer sich plastinieren lässt, der schenkt seinen Leichnam der Wissenschaft, er stellt damit also etwas Sinnvolleres an, als ihn von Würmern zerfressen zu lassen. Ein wenig wie ein Leben nach dem Tod sieht so ein Plastinat auch aus. Die Kirche behauptet immer nur, es gäbe ein ewiges Leben, von Hagens bietet einen Beweis: für alle sichtbar ein ewiges Fortbestehen als Plastikleiche.
Am Anfang der Ausstellung wird sogar in einer Art Gedenkraum den Körperspendern gedankt, und im Begleitheft zur Ausstellung ist von einem regelrechten »Körperspendeprogramm« die Rede, das der Doktor aus Heidelberg da am Laufen hat. Mehr oder weniger unverhohlen klingt an: Das Leben ist vergänglich, also werde heute noch unsterblich und lass auch du dich zu so einem Das-Innere-ist-das-neue-Außen-Freak zurechtplastinieren. Mit etwas Glück wirst du präsentiert wie der »Saxophonspieler«, aufrecht und in akzeptabler Pose, mit etwas Pech wirst du allerdings zu einem dieser traurigen Scheibchenplastinate zurechtgeschnipselt, die aussehen wie geschnittene Sülze. Helfen tun dem Körperspender, der sich unbedingt post mortem exhibitionieren möchte, auch bösartige oder seltene Krankheiten, stark zu rauchen oder sonstige ungesunde Angewohnheiten. Dann nämlich steigt die Chance, wenigstens als abschreckendes Beispiel ausgestellt zu werden. Bei der »Körperwelten«-Show erfährt man schließlich alles, was man noch nie über Krankheiten wissen wollte. So also sieht der Darm bei einer Verstopfung aus, irgendwie schwarz, hätte man sich ja auch denken können. Und diese Raucherlunge hier, lieber Raucher, hat dieselben ekligen Verfärbungen wie deine.
Der Körperkult ist eines der diskursmächtigsten Themen unserer Zeit. Nicht nur die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht gerade eine Reihe zum Thema. Immer ist es der Körper, der im Mittelpunkt des Gesprächs über Fitness, Gesundheit und Alterungsprozesse steht. Gunther von Hagens, der Doktor mit dem lächerlichen Beuys-Hut, der sich inzwischen auch auf dem DVD- und Büchermarkt vermarktet und sichtbar der eigenen Guru-Pose verfallen ist, hat es nun geschafft, seine Ausstellung nicht mehr als reines Spektakel zu inszenieren, nicht mehr nur als »Eventkunst« mit bizarrer Note und scheinwissenschaftlichem Hautgout, sondern als didaktische Aufklärungsshow zum Thema Körper, die sogar medizinische Fachverbände als Werbepartner gewinnen konnte.
Gunther von Hagens ist jetzt nicht mehr Herr der Leichen, sondern der Grüß-Gott-August der Volksgesundheit, der neue Fitnesspapst und Berater in allen Lifestyle-Fragen. Die gezeigten fickenden Leichen, der so genannte »schwebende Akt«, der bereits durch den Boulevard ging, lockt zwar als echter Aufreger die Massen wieder herbei, diese beugen sich dann erstaunlicherweise aber auch über all die ausgestellten Organe mit Echtheitszertifikaten, einen Menschenpenis und einen Pferdepenis im Vergleich und Embryonen mit Wasserköpfen, ganz so, als wäre ihnen Biologie schon in der Schule immer das liebste aller Fächer gewesen.
Den Tod enttabuisieren, das möchte Gunther von Hagens, sagt er immer wieder. Der Betrachter seiner Plastinate soll auf sich selbst zurückgeworfen werden, sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst und dementsprechend dazu bewegt werden, sich gesünder zu ernähren, mehr Sport zu treiben und UV-Strahlen zu meiden. Überall wird der Betrachter von derartigen Aufforderungen zu einem bewussteren Lebenswandel belästigt. Die »Körperwelten«-Show ersetzt sämtliche Faltblätter, die man beim Arzt zugesteckt bekommt und auf denen Ernährungstipps bei zu hohem Cholesterinspiegel abgedruckt sind oder diverse Diätpläne, die einen disziplinieren wollen, damit man den Krankenkassen nicht zu schnell zur Last fällt. Klar, dass auch das Magazin Der Kassenarzt Werbepartner der »Körperwelten« ist. Eltern, die mit ihren Kindern durch die Ausstellung flanieren, werden diesen angesichts teils erschreckenden Beweismaterials sagen: Iss weniger Burger, sonst endest auch du bald als Plastinat eines zu dicken Körpers.
Bis zu Gunther von Hagens war die explizite Darstellung Toter, noch sehnig und mit Organen, fast lebendig wirkend, eher zombiehaft als skelettiert, eine Sache der Popkultur. Das reicht von B-Movies wie »Nacht der lebenden Leichen« bis hin zu Plattencovern von Death­metalbands. Gerade im Deathmetal haftete dem Tod noch etwas Abschreckendes, Furchteinflößendes an, er wurde als Waffe der Mächtigen angeprangert, die uns mit Umweltverschmutzung und Kriegen überzogen. Der als makaber gekennzeichnete Tod kam über uns, war Produkt eines lebensverachtenden Kapitalismus.
Bei Gunther von Hagens ist der Verantwortliche für ein langes Leben oder einen zu frühen Tod dagegen nurmehr man selbst. Man selbst hat es im Griff, ob man gesund, glücklich und zufrieden lebt. Wer die Regeln befolgt, so die Botschaft der Ausstellung, den erwartet potenziell ein plastiniertes Fortbestehen in lebensbejahenden Posen, als Sportler etwa oder als Schlittenfahrer. Wer sich zu wenig bewegt oder schlimmen Süchten frönt, der endet dagegen im Gruselkabinett.

Körperwelten & Der Zyklus des Lebens. Berlin, Postbahnhof. Bis zum 30. August 2009