Europa-Wahlkampf in Frankreich

Jugendbanden sollen’s bringen

Die französischen Sozialisten wollen bei der Europa-Wahl mit Staatspräsident Sarkozy abrechnen, bislang ist ihnen dies jedoch nicht gelungen. Der Wahlkampf wird derzeit von den Konservativen bestimmt – unter anderem mit einem Gesetzentwurf gegen »Jugendbanden«.

Nun steht es fest: Am 14. Juli wird der rechtsex­treme Franzose Jean-Marie Le Pen doch nicht die Eröffnungsrede auf der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlaments nach der Wahl am 7. Juni halten. Wochenlang hatte die Vor­stellung, der Auschwitzleugner und Rassist könn­te einen Tag lang in seiner Eigenschaft als Alterspräsident das Europäische Parlament vertreten, in Brüssel und Strasbourg Unbehagen bereitet. Zwei Versuche brauchte es, um diese Vorstellung zu bannen. Zwar hatte eine Mehrheit der Abgeordneten bereits Ende März einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung angenommen. Er sollte verhindern, dass – bisherigen Gepflogenhei­ten entsprechend – der älteste Abgeordnete die Eröffnungssitzung präsidiert. Das könnte im Juli tatsächlich Jean-Marie Le Pen sein, der bis dahin 81 Jahre alt wird. Der Antrag wurde jedoch im Recht­sausschuss des Parlaments im April zurück­gewiesen. Anfang Mai stimmten die Europa-Parlamentarier deshalb nochmals ab und vermie­den dabei die Formfehler, die sie bei ihrem ersten Versuch zur Abänderung der Geschäftsordnung begangen hatten.

Diese Affäre erregte in Frankreich in den vergangenen Wochen einige Aufmerksamkeit. Ansonsten ist der Wahlkampf für die Europawahl arm an Höhepunkten. Die größte parlamentarische Oppositionspartei, die Sozialistische Partei (PS), hatte sich erhofft, im Wahlkampf gleichzeitig mit Präsident Nicolas Sarkozy abrechnen und für ein »anderes Europakonzept« werben zu können. Zunächst versuchten die führenden PS-Politiker, ihre Wahlkampagne gleichzeitig auf französischer und europäischer Ebene zu führen. Dazu such­ten sie sich drei prominente Gegner aus, die aus ihrer Sicht die konservativen und marktradikalen Kräfte in Europa besonders gut repräsentieren. Neben Sarkozy erkoren sie sich dafür den italienischen Premierminister Silvio Berlusconi und den derzeitigen Präsidenten der EU-Kommission, Manuel Barroso.
Bald jedoch gewann der innerparteiliche Streit um Posten, Listenplätze und Personen in der Partei die Oberhand. Die Aussichten für die Sozialisten sind derzeit daher nicht besonders gut. Laut Umfragen werden ihnen derzeit nur 21 bis 22 Prozent der Stimmen prognostiziert, im Vergleich zu 27 Prozent für Sarkozys Regierungspartei UMP. Letztere wirbt seit Wochen mit einer neu angefachten, massiven Law-and-Order-Kampagne für sich. Dafür haben die Konservativen wieder einmal ein neues Thema entdeckt, das die überall dräuende Unsicherheit bestätigen soll: die »Jugendbanden«.
Bereits Ende März hat Sarkozy seine neuen sicherheitspolitischen Gesetzesvorschläge angekündigt: Die »Zugehörigkeit zu einer Bande« – als Organisationsdelikt – solle künftig zu einer eigenständigen Straftat werden, nach dem Vorbild der 1981 abgeschafften Loi Anti-casseurs, der früheren französischen Entsprechung zum deutschen Landfriedensbruch-Paragrafen. Neben diesem innenpolitischen Thema bestreitet die UMP ihre Wahlkampagne derzeit hauptsächlich mit der Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei.
Die französischen Grünen scheinen in ihrem Wahl­kampf vor allem auf Prominente und deren Popularität zu setzen. Neben dem Linksliberalen und geradezu fanatischen EU-Befürworter Daniel Cohn-Bendit kandidieren auch der linksalternative Bauerngewerkschafter José Bové und die frü­here Untersuchungsrichterin Eva Joly, die sich in wichtigen Verfahren zur Finanzkriminalität bei führenden Konzernen auszeichnete, auf vorderen Listenplätzen. Allerdings verliert die Ökopartei seit den Wintermonaten an Zustimmung. Wegen ihrer Themensetzung gilt sie vielen Beobachtern eher als »Schönwetterpartei«, welche in Zeiten, in denen die Wirtschaftskrise und ihre sozialen Folgen zu Hauptthemen geworden sind, keine Sym­pathien gewinnen kann.
Ein solches Klima ist hingegen eher günstig für die im weiteren Sinne marxistisch geprägte Linke. Dazu zählen der Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) sowie die traditions-trotzkistische Partei Lutte Ouvrière und eine neue Formation namens Front de Gauche (Linksfront). Diese besteht aus der französischen KP und einer Abspaltung der französischen Sozialdemokratie. Die Linksfront strebt eine Sammlungsbewegung nach dem Vorbild der deutschen Linkspartei an. Alle Kräfte zusammen, die jedoch auf drei verschiedenen Listen kandidieren, können auf rund 15 Prozent der Stimmen hoffen. Der Vorsprung des NPA hat sich mittlerweile erheblich reduziert, da die »Linksfront« mit dem Versprechen der Vereinigung der Linken und der sozialen Oppositionskräfte relativ erfolgreich für sich wirbt.

Auch Frankreichs größte rechtsextreme Partei, der Front National (FN), äußert sich zu den Arbeitskämpfen. Schon seit März treten die als vergleichs­weise »modern« geltende Tochter des Parteivorsitzenden, Marine Le Pen, und der stellvertretende Vorsitzende der Partei, Bruno Gollnisch, morgens um fünf Uhr vor Fabriktoren auf, wie bei Peu­geot im nordfranzösischen Douai, und verteilen Flugblätter zur »Notwendigkeit eines neuen Protektionismus«. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, lautet die Botschaft, bestätige die Prognosen über den gefährlichen Unsinn der Politik der Grenzöffnung für den freien Warenverkehr.
Der vorhandene sozial begründete Zorn sei gerechtfertigt, allerdings müsse er »umgelenkt« werden. Marine Le Pen forderte die abhängig Beschäftigten in Frankreich dazu auf, »ihre Abgeordneten und Politiker festzusetzen«, statt ihre Chefs zu kidnappen. Nicht die Unternehmen, sondern die Politiker seien dafür verantwortlich, »dass die französische Industrie geopfert worden ist« durch Freihandelspolitik und Grenzöffnung. Damit reagierte Le Pen auf die landesweite Popularität des »Bossnappings«: 55 Prozent der Franzosen erklärten dieses am selben Tag für »gerechtfertigt«.
Noch ist der Einfluss des FN auf die Lohnabhängigen und die Unterklassen begrenzt, ja sogar erheblich zurückgegangen, wie aktuelle Umfragen bestätigen. Falls es den Gewerkschaften oder anderen nicht gelingen sollte, die soziale Wut zu kanalisieren und ihr eine progressive, nicht ras­sistische Richtung zu geben, dann könnte sich dies am Wahltag für die extreme Rechte rechnen.
Eine weitere Liste bemüht sich um Stimmen aus dem rassistischen und antisemitischen Sumpf. Die von den Antisemiten Dieudonné M’bala und Alain Soral aufgestellte Antizionistische Liste vereinigt Personen sehr unterschiedlicher Herkunft. Allen gemeinsam ist aber ein wirres Ver­schwörungsdenken. Man findet in der Partei Rechtsextreme, aber auch die von den Grünen aus­geschlossene Holocaustleugnerin Ginette Skan­drani und den Anführer einer schiitischen Sekte, Yahia Gouasmi. Letzterer überraschte auf einer Pressekonferenz mit der Aussage, der Zionismus zeichne sich dadurch aus, dass er die Familienmoral in Frankreich zerstöre: »Hinter jeder Schei­dung steht ein Zionist.« Da dieses Verschwörungs­denken von vielen Leuten als grotesk bis pathologisch wahrgenommen wird, rangiert die Liste derzeit im Null-Komma-Bereich. Die Ankündigung von Sarkozys Berater Claude Guéant, über ein Verbot nachzudenken, hat der Liste laut Auffassung der Opposition jedoch »unnütze Publizität« verschafft. Aus dem Versuch, sich als »Opfer des Systems« darzustellen, könnten die An­tisemiten politisches Kapital schlagen.