Über das Migrationsdrama »Crossing Over«

L.A. ist nicht Eden

Der wichtige Hollywoodfilm zum Thema Migration fehlt noch. Ist »Crossing Over« der große Wurf geworden?

Eigentlich hat das gesamte Hollywood­kino einen Migrationshintergrund, die Patenfilme spielen im italienischen Einwanderermilieu, in »The Deer Hunter« ziehen die Russen für Amerika in den Vietnam-Krieg, »My Fat Greek Wedding« zeigt das Leben einer griechischen Großfamilie. Allesamt sind diese Leute aber gute Amerikaner, längst angekommen in den USA, ihre Einwanderung liegt oft schon Generationen zurück, als man noch halb­wegs un­problematisch über Ellis Island einreisen konnte, und die Herkunftskultur wird nur noch folkloristisch zitiert.
Den großen aktuellen Film zum Thema Migration, der die Einwanderer im prekären Moment des Übertritts zeigt, hat Hollywood bisher nicht zustande gebracht. Der identitätslose Migrant verträgt sich nicht wirklich mit der figu­renzentrierten Dramaturgie des Hollywoodkinos. Dazu passt, dass der wichtigste Film über Migration ein europäischer ist, nämlich Constantin Costa-Gavras’ Epos »Eden is West« über die Odyssee eines jungen Mannes, den es aus den armen Ländern des Südens an die Strände Griechenlands und bis nach Paris verschlägt. Costa-Gavras hatte offenbar kein Problem damit, einen namenlosen Versprengten zur Hauptfigur zu machen.
Die mythische Dimension des Themas Migration, wie sie Costa-Gavras gezeigt hat, versucht offensichtlich auch Wayne Kramers »Crossing Over« herzustellen, aber trotz der vielen bedroh­lich bellenden Hunde und traurigen Kinderaugen bleibt »Crossing Over« am Ende doch nur ein eher läppischer Versuch, das Riesenthema hollywoodgerecht zu verpacken.
Episodenhaft wird das Schicksal verschiedener Einwanderer und ihr Kampf um Aufenthaltserlaubnis, Green Card und Staatsbürgerschaft erzählt. Die unterschiedlichen Storylines laufen lange Zeit unverbunden nebeneinander her, um am Ende in einem buchstäblichen Gewaltakt miteinander vernäht zu werden.
Eine australische Jungschauspielerin und ein britischer Musiker brauchen die Green Card, um die Karriere in L.A. zu starten; ein koreanischer Teenager wird in der Nacht vor seiner Einbürgerung mit seiner Gang in einen bewaffneten Überfall verwickelt; eine muslimische Schülerin redet sich in einem Referat zu 9/11 um Kopf und Kragen und wird nach Bangladesh abgeschoben; ein afrikanisches Waisenkind war­tet im Kinderheim auf seine Adoptivfamilie.
Konfrontiert und lose zusammengeführt werden die Migrationsgeschichten mit den Erzählungen aus dem Alltag der Vertreter der Gesetzesseite, Cops, Anwälte und Beamte. Ihre Perspektive vertritt vor allem ICE-Agent Max Brogan, Chef des Immigration and Customer En­forcement in Los Angeles und – raue Schale, weicher Kern – Repräsentant des guten Amerika – trotz seines Jobs bei der »Einwanderergestapo«, der darin besteht, Leute ohne Papiere in den Sweatshops von L.A. aufzuspüren und über die Grenze außer Landes zu schaffen. Dass bei solchen Rücktransporten schon mal jemand här­ter angefasst wird und nach Infarkt verstirbt, kümmert seine Kollegen wenig. Brogan, dargestellt von einem authentisch verknitterten Harrison Ford, geht jedoch nach Feier­abend los, um die Geschichte mit dem Herztod aufzuklären. Es ist klar, dass einer wie er an diesem Job elendig leidet, sich ständig in die privaten Schicksale seiner Kundschaft verstrickt und gegen die Regeln seiner Behörde verstößt.
Mit Good Cop Brogan steigt man in den Film ein: Bei einer Razzia in einer Wäscherei wird eine junge Mexikanerin geschnappt. Vor ihrem Abtransport steckt sie Brogan einen Zettel zu, die Adresse der Frau, die ihren kleinen Sohn betreut. Brogan nimmt den Zettel und damit auch die Rolle des Sozialarbeiters an und kümmert sich in seiner Freizeit darum, das Kind zu seinen Großeltern zu bringen. Am Ende des Films wird man eine verweste Frauenleiche im Grenzgebiet finden, und Brogan wird sie als die Mexikanerin aus der Wäscherei identifizieren.
Harrison Fords Brogan ist die heimliche Hauptfigur in dem Film, der zwar auf Rahmenhandlung und Hauptkonflikt verzichtet, aber mit der Figur Brogan eine ziemlich paternalistische Dramaturgie etabliert. Erst der mitfühlende Blick des Meisters auf die ansonsten anonymen Migrantenschicksale verleiht den Namenlosen einen Subjektstatus. Dieser Ausreißer aus dem ansonsten demokratischen Cast ist eine der Schwächen des Films.
Aber es gibt noch mehr.
Ein weiteres migrantisches Drama spielt sich in der Familie von Brogans iranischem Kollegen Hamid Baraheri (Cliff Curtis) ab, dessen Schwester samt ihrem Liebhaber ermordet aufgefunden wird. In der ursprünglichen Version handelte es sich um einen Ehrenmord des Bruders an seiner knappe Gothic-Klamotten tragenden Schwester. An dieser Darstellung hatte jedoch das National Iranian American Council Anstoß genommen und eine Änderung der Storyline durchgesetzt, da Ehrenmorde im eher gebildeten Milieu US-amerikanischer Exil-Iraner praktisch nicht vorkommen. Noch während der Dreharbeiten wurde an der Episode herumgebastelt, die expliziten Hinweise auf einen Ehrenmord wurden gestrichen. Herausgekommen ist am Ende ein fauler Kompromiss. Zahara treibt es also mit ihrem verheirateten Lover, der Bruder stürmt ins Schlafzimmer, zieht eine Waffe und schießt wild drauflos. Das mag vor Gericht als Affektmord durchgehen, der gesamte Plot aber läuft darauf hinaus, die Geschichte einer persischen Familie zu zeigen, die sich gegen die freizügige, amerikanische Lebensweise der Tochter verschworen hat. Auch wenn das Ganze filmisch nicht überzeugend gelöst wurde, die iranische Community war mit den Korrekturen zufrieden.
Grund, sich über Klischees, unrealistische Dar­stellungen und Herabsetzungen beim Regisseur zu beschweren, hätten vielleicht noch ganz andere Communities gehabt. Allen voran die Schwulen, die in der Schlussszene durch ein auf besonders feist und schmierig gemachtes Exemplar vertreten werden. Ein mittelalterlicher blondgefärbter Ohrringträger quetscht sich hier vor dem jungen, vitalen migrantischen Publikum auf der offiziellen Einbürgerungsfeier die amerikanische Nationalhymne heraus.

»Crossing Over« (USA 2008). Regie: Wayne Kramer. Start: 25. Juni