Wolfgang Schaumberg im Gespräch über Opel und die Gewerkschaft

»Wir sagen nicht, Opel muss bleiben«

Wolfgang Schaumberg war 30 Jahre Lagerarbeiter bei Opel Bochum und 25 Jahre Mitglied des Opel-Betriebsrats. Heute ist er in Rente und engagiert sich weiterhin in der gewerkschaftsoppositionellen Betriebsgruppe »Gegenwehr ohne Grenzen«.

Haben die Pläne eines Verkaufs von Opel an Magna und Sberbank schon Auswirkungen für die Beschäftigten?

Nein. Der Großteil der Belegschaft ist nach wie vor in Kurzarbeit, auch wenn bestimmte Bereiche aus der Kurzarbeit herausgenommen worden sind, die für andere Werke mitproduzieren. Aber jetzt ist die Debatte durch neue Verzichtsforderungen angeheizt worden.

Welche Verzichtsforderungen?

Aktuell geht es um einen seltsamen Aktienfonds, durch den die Belegschaften einen Anteil von zehn Prozent an Opel aufbringen sollen – insgesamt geht es dabei um eine Milliarde Euro. Die Summe soll etwa durch den Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie den Verzicht auf die tariflich vereinbarte vierprozentige Lohn­er­höhung aufgebracht werden – und durch weiteren Belegschaftsabbau. Dieser Aktienfonds soll vom Betriebsrat und der IG Metall verwaltet werden. Um das Geld zusammenzubekommen, wird in Bochum der Belegschaft von der Betriebsratsmehrheit beigebracht, dass die Beschäftigten an anderen Standorten schon ihre Zustimmung signalisiert hätten. Es heißt auch, dass Opel Bochum erneut von Schließung bedroht wäre, wenn man da nicht mitmache.

Sollen der Betriebsrat und die Gewerkschaft dann auf Dauer einen zehnprozentigen Aktienanteil verwalten?

Ja, aber es ist noch nicht wirklich klar, ob das bis­herige Modell, in dem dieser zehnprozentige Aktienfonds vorgesehen ist, mit dem Aufkauf durch Magna wirklich zum Tragen kommt. Klar ist, dass die Gewerkschaftsbürokratie da die Regie übernehmen wird. Das wäre ein weiterer Schritt, um die Menschen in die Konkurrenz, in die Wettbewerbszwänge hineinzuholen – und damit wäre das auch ein Schritt dazu, dass sich die Beschäftigten womöglich noch selber gegenseitig treten, um vielleicht mal irgendwann etwas über diesen Aktienfonds zurückgezahlt zu bekommen.

Wird das bei Opel Bochum hingenommen?

In Bochum gibt es in der Belegschaft seit langem Opposition gegen das offizielle Gewerkschaftsvorgehen – etwa in Form der so genannten wilden Streiks im Jahr 2000 über sechs Schichten und im Oktober 2004 über elf Schichten. IG Metall-Führungsleute wie etwa der Bezirksleiter Oliver Burghard wurden bei uns in Bochum ausgepfiffen. Die Stimmung schwankt zwischen Wut und Verzweiflung: Man organisiert sich ja nicht in der Gewerkschaft, damit die dann den Verzicht durchzieht.
Bei Opel Rüsselsheim ist das anders, dort steht anscheinend die Mehrheit der Belegschaft hinter dem Verzichtskurs, aber bei uns ist der sehr umstritten. Verzichtsverträge bekamen wir seit 1993 einen nach dem anderen aufgedrückt. Wir waren damals noch 19 200 Beschäftigte in Bochum, jetzt sind wir nur noch 5 200. Mit jedem Verzicht gingen ein paar tausend Arbeitsplätze und auch Errungenschaften flöten. Da gibt es wenig Vertrauen, dass man mit Verzicht seine Zukunft retten könne.
Typisch für die oppositionelle Stimmung in Bochum ist aktuell auch die Tatsache, dass nur hier die IG Metall die Beschäftigten persönlich über Verzichtsleistungen abstimmen lässt. Das sollte eigentlich überall so sein. Denn viele Kolleginnen und Kollegen sind einerseits sehr resigniert, was ihre eigenen Kampfmöglichkeiten betrifft, andererseits – was auch ein Ergebnis der traditionellen Stellvertretungspolitik ist – verstecken sie sich aber auch gerne hinter dem Geschimpfe auf »die Gewerkschaft« oder »den Betriebsrat«, um nicht selbst aktiv werden zu müssen. Daher sollten sie selber abstimmen, ob sie für weitere Zugeständnisse sind oder nicht. Bei der ersten Abstimmung über die Lohnerhöhung im April haben 40 Prozent gegen einen Verzicht gestimmt. Allerdings muss man dazu sagen, dass sich von 4 200 Gewerkschaftsmitgliedern nur 2 100 an der Abstimmung beteiligt haben – auch weil viele den Brief mit dem Stimmzettel leider nicht erhalten hatten. Aber immerhin haben 900 Mitglieder glatt »Nein« gesagt. Das sind diejenigen, die auf diesen Verzichtskurs wirklich keine Hoffnung mehr setzen.

Gibt es Solidarität zwischen den verschiedenen Opel-Standorten, oder kämpft jeder für sich?

Letzteres. Es war für uns 2004 sehr schwierig, dass die Bochumer Opel-Belegschaft mit ihrer Streik­aktion alleine blieb. Es gab zwar eine unglaublich große Solidarität aus der Bevölkerung hier in Bochum und Umgebung, aber es gab keine Unter­stützung durch die anderen Belegschaften. Wir haben in den Betriebsräten der Großbetriebe mehr­heitlich Leute, die sich aggressiv zum Co-Mana­gement bekennen – also zu einer Strategie, die die Konkurrenzfähigkeit und die Profitabilität »ihres« Unternehmens stärken will. Die Losung dieser Betriebsräte ist: Wir sind hier gewählt worden, wir müssen hier die Belegschaft vertreten. Jeder standortübergreifende gewerkschaftliche Standpunkt wird da mit einer Handbewegung weg­gewischt. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz hat das so ausgedrückt: »Ich bin an erster Stelle Opel-Betriebsrat und erst an zweiter Stelle Gewerkschafter.« Im Rahmen von deren internalisierter Konkurrenz­ideologie gilt, dass man erst mal sehen müsse, dass der eigene Laden durchkommt.

Von 55 000 Opel-Beschäftigten arbeitet fast die Hälfte in Werken in Spanien, England, Schwe­den, Polen, Belgien, Österreich und Frankreich. Die sitzen dann wohl am Katzentisch?

Klaus Franz ist nicht nur Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates in Deutschland, sondern auch des Euro-Betriebsrates. Er wird öffentlich als vorbildlicher Organisator europäischer Solidarität dargestellt. Es heißt immer, kein Werk in Deutschland werde geschlossen, und das gelte auch für ganz Europa. Die IG Metall hat hier vor ein paar Tagen ein Flugblatt verteilt, auf dem stand: »Faire Lastenverteilung!« Klaus Franz vertritt das Ziel: »Wir wollen erreichen, dass nicht eine Belegschaft besonders blutet und die anderen erleichtert sind«. Er sagt: »Geteiltes Leid ist halbes Leid.« Diese regulierte Verteilung des Leids ist die offizielle Linie der IG Metall. Das soll Solidarität organisieren. Im Endeffekt ist das Resultat aber eine Solidarität im Interesse der Aktionäre, der Besitzer des Unternehmens.

Habt ihr mit eurem Slogan »Gegenwehr ohne Grenzen« dagegen überhaupt eine Chance? Habt ihr Kontakte in die Werke in anderen Ländern?

Zurzeit haben wir keine funktionierenden Kontakte zu den anderen Standorten. Das war mal anders. Der jetzige Vorsitzende des Antwerpener Be­triebsrates zum Beispiel war mit uns noch zusammen bei Vauxhall in Ellesmere Port, im Li­verpooler Werk, um dort die Verbindung zu englischen Kollegen herzustellen. Der ist auch um­geschwenkt zu diesem aggressiven Co-Management. Wir waren sehr enttäuscht, dass die Leute, mit denen wir in den anderen Werken Kontakt hatten, mit unserer Richtung von gewerkschaftlicher und politischer Arbeit nichts mehr zu tun haben wollten.

Und eure Richtung ist die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen statt Co-Management?

Unsere Leitlinie ist nicht die Vertretung von Interessen, sondern die Ermächtigung von Belegschaften, sich selbst zu wehren. Wir haben auch bei den Betriebsratswahlen gesagt, ihr könnt uns nicht ankreuzen, wenn ihr glaubt, wir könnten dann für euch die Kohlen aus dem Feuer holen. Dafür bekommt man weniger Stimmen, aber das ist die Wahrheit. Es ist sicher ganz gut, wenn es ein paar Betriebsräte gibt, die aufklären und mobilisieren wollen. Aber das Entscheidende ist doch, ob man als Belegschaft zusammen in Erscheinung tritt.

Ihr benutzt den Slogan »Wir zahlen nicht für eure Krise« – was bedeutet das konkret?

Das Motto heißt erst mal: Verzicht verweigern. Durch Verzicht kann keine zukünftige Beschäftigung gesichert werden, das ist hoffnungslos. Je weniger wir uns auf die Parole »Opel muss bleiben« reduzieren lassen, je mehr wir Forderungen vertreten und Aktionen machen, die über den Betriebsrahmen hinausgehen, desto größer ist die Chance, dass sich andere anschließen. Mit der Vorstellung »Wir wollen weiter so arbeiten wie bis­her«, die jetzt von den einzelnen Belegschaften hochgehalten wird, kommt man bei der Tragweite dieser Krise nicht weit. Man kann nicht einfach weiterhin bei Opel in Bochum jeden Tag 1 200 Autos bauen wollen. An diesem Punkt sehen wir uns ziemlich alleine.

Ihr habt mit eurer Parole der standortübergreifenden Solidarität woanders keinen Rückhalt?

Weltweit setzen die Führungen der großen Indus­triegewerkschaften zuerst auf die nationale Rettung ihrer nationalen Wirtschaft und ihrer eigenen jeweiligen Mitglieder. Das können wir kritisieren. Aber die Leute spüren, dass wir zwar ganz gute Gedanken haben, aber dass dahinter keine Macht steht.
Und was die Unterstützung und Aktionsvorschlä­ge aus den Reihen der radikaleren Linken angeht: Dass die Beschäftigten auch sechs Monate später ihre Miete zahlen müssen und deshalb kurzfristige »Lösungen« suchen, wird von denen gar nicht berücksichtigt. Meist beschränken sich die Linken auf abstrakte Vorschläge zur langfristigen Produktkonversion oder auf knallharte Aktionsaufrufe, in denen die Frage, wer da jetzt mit welchen Forderungen wohin marschieren soll, gar nicht beantwortet wird. Oft findet man nur Leerformeln von der »ganz anderen Gesellschaft«. Wird das so naiv formuliert, dann winken die Leute eher resigniert ab.

Und was plant ihr?

Wir fragen uns, mit welchen Forderungen sich ein »Wir« vorstellen lässt, ein »Wir«, wie es Linke jetzt im Slogan »wir wollen für eure Krise nicht bezahlen« auf die Straße tragen. Darin sollen sich die Leute wiederfinden können und auch eine gewisse Hoffnung darauf setzen können, dass un­sere Gegenwehr zu Angst und Zugeständnissen bei den Herrschenden führt. In dem Sinne haben wir geschrieben: »Wir müssen bleiben.« Wir halten nämlich kein Schild hoch: »Opel muss bleiben«, »Nokia muss bleiben«, »Karstadt muss blei­ben«, irgend so eine dumme Rüstungsfabrik soll auch bleiben. Nein, davon müssen wir uns lösen. Wir sind doch nur zufällig in unserem Leben in einer Autofabrik gelandet, an der Kasse bei Kar­stadt oder sonstwo, weil man seine Arbeitskraft irgendwo verkaufen muss, um leben zu können.