Angela Merkels Besuch in den USA

Deutscher Wahlkampf im Weißen Haus

Der Kampf gegen die Wirtschaftskrise, der Afghanistan-Einsatz, die Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen – zwischen Deutsch­land und den USA gibt es genügend strittige Gesprächsthemen. Angela Merkel war zu Besuch bei Barack Obama.

Mit DFB-Trikots und Fußbällen für Barack und Michelle Obamas Töchter im Gepäck flog Angela Merkel Ende vergangener Woche nach Washington zum Antrittsbesuch beim neuen Präsidenten. Die Geschenke waren eine gute Wahl, Malia und Sasha Obama sind verrückt nach Fußball, einer der beliebtesten Sportarten für Mädchen in den USA. Auf der Pressekonferenz bedankte sich Obama wie üblich für die Geschenke und ließ die Kanzlerin – obgleich wegen eines Unwetters nicht im ausladenden Rosengarten – das Weiße Haus als Kulisse für den sich in Deutschland anbahnenden Wahlkampf nutzen.
Zuhause wollten aber die starken Männer der CDU und CSU während der Abwesenheit Merkels nicht den Mund halten. Stattdessen forderten einige, allen voran Günther Oettinger, der Ministerpräsident Baden-Württembergs, die Erhöhung der ermäßigten Mehrwertsteuer nach der Bundestagswahl. Andere, wie der bayerische Minister­präsident Horst Seehofer, stellten sich gegen diese Forderung. Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Wolfgang Böhmer, sprach sich stattdessen für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes aus. Kaum wieder zu Hause musste Merkel versuchen, die Ordnung herzustellen. Statt Erhöhungen stün­den nach der Wahl, wenn überhaupt, Steuerentlastungen an, ließ die Kanzlerin verlautbaren.

Die Wirkung des Wahlkampfauftakts in Washing­ton dürfte also nicht ganz so groß sein, wie es sich Merkel erhofft hatte. Das ist ärgerlich für die Kanzlerin, denn nach einer neuerlichen Umfrage im Auftrag des Wall Street Journal schätzen 82 Pro­zent der Deutschen Obama mehr als seinen Vorgänger. Ohne den Steuerstreit in Deutschland hätte sich die Kanzlerin besser im Glanz des neuen Präsidenten präsentieren können. Doch immerhin scheinen nach dem Besuch Obamas Anfang Juni in Dresden und der freundlichen Unterredung in Washington etwaige Verstimmungen über die im vergangenen Jahr von Merkel verhinderte Rede des damaligen Präsidentschaftskan­didaten Obama vor dem Brandenburger Tor ausgeräumt zu sein, sofern diese Verärgerung überhaupt schwerwiegend war.
Obwohl die Kurzvisite vom Steuerstreit vermiest worden sei, habe Merkel in Washington dennoch ihr Wahlkampfziel erreicht, schreibt das Handelsblatt. Denn mit der Bemühung der Kanzlerin um produktive, aber auch kritische Gespräche unter Freunden sei dem Kanzlerkandidaten der SPD Frank-Walter Steinmeier »der letzte große Trumpf aus der Hand geschlagen worden, den er in der Außenpolitik wahlkampftechnisch noch hatte«. Im Gegensatz zu 2002 unter Gerhard Schröder scheint der Misserfolg eines erneuten antiamerikanischen Wahlkampfes seitens der Sozialdemokraten absehbar zu sein. Zudem dürfte auch die Linkspartei versuchen, mit der Kritik an den USA Wähler zu erreichen, obwohl es in der Europa-Wahl nicht allzu erfolgreich war, den Afghanistan-Krieg zu einem großen Thema zu machen.
Einige Medien in Deutschland wünschen sich zwar »mehr Schröder«, wie es Gabor Steingart auf Spiegel online hinsichtlich der Haltung der Kanz­lerin zur amerikanischen Krisenpolitik ausdrück­te. Doch es gibt auch andere Stimmen wie etwa den ehemaligen deutschen Botschafter in Wa­shington, Wolfgang Ischinger. Ihm zufolge sind sich die Bundesrepublik und die USA »im Grundsätzlichen« einig. Im Deutschlandradio erläuterte Ischinger die grundlegenden wirtschaftlichen Strukturunterschiede der beiden Länder ziemlich treffend: Die deutsche Politik verfolge zum Wohl der exportorientierten Wirtschaft im Kampf gegen die Krise andere Ziele als die US-Politik, die ihre Maßnahmen an der konsumorientierten US-Wirtschaft ausrichten müsse. Dennoch sieht er »nirgendwo einen fundamentalen Interessen- oder Positionsunterschied«. Beide Staaten wollten, so Ischinger weiter, »eine stabilere und besser regulierte Weltwährungs- und Weltfinanzordnung«. Dass die möglicherweise zur Inflation füh­rende Dollarpolitik den Deutschen nicht passe, müsse zwar besprochen werden, sie sei aber kein Grund zur Hysterie.

Tatsächlich unterscheiden sich die beiden Staaten im Umgang mit der Weltwirtschaftskrise und in den angewandten Mitteln jedoch stark. Während Obama erhebliche staatliche Maßnahmen ergreift und die Krise dazu nutzen möchte, eine neue, ökologischere und sozialdemokratischere Energie-, Gesundheits- und Sozialpolitik durchzusetzen, versucht die deutsche Regierung, mit wesentlich bescheideneren Eingriffen durch die Rezession zu kommen. Zwar werden einige Banken gerettet, aber im Gegensatz zu Obama hat Merkel weder gigantische Summen in die Binnen­konjunktur gesteckt noch teure, soziale Reformen angestrebt.
Dies liegt unter anderem an der Tatsache, dass in der Bundesrepublik weitgehend sozialdemokratischere Zustände herrschen als in den USA: Die steigenden Sozialausgaben während der rückläufigen Wirtschaftsentwicklung werden ein in Deutschland schon bestehendes Sozialsystem treffen; wenn die Arbeitslosenquote hierzulande steigen wird, werden sich die fehlenden Milliarden insbesondere bei schrumpfenden Einnahmen in den kommenden Jahren einfach von selbst im Haushalt bemerkbar machen. Eine Arbeitslosenquote von zehn Prozent, die bereits im nächsten Quartal zu erwarten ist, trifft die USA dagegen auf eine ganz andere Weise, da das Land nur über ein rudimentäres Sozialwesen verfügt. Die Arbeits­losen müssen mit Sondermitteln versorgt, diese aber erst bewilligt und bereitgestellt werden. Auf jeden Fall werden sich aber beide Staaten trotz unterschiedlicher Verhältnisse und Vorgehenswei­sen künftig mit der Finanzierung der Staatsschul­den ernsthaft beschäftigen müssen.
Obama vertritt dabei eine ähnliche Forderung wie derzeit der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU): Der Spitzensteu­ersatz soll erhöht werden, in den USA ab 2011. Zudem lässt Obama die Möglichkeiten für eine wei­tere Besteuerungen der Vermögenden etwa in der Form von Börsen- und Derivatensteuern offen. Selbst die Republikaner in den USA reden derzeit nicht von einer Steuer auf Grundbedarfsgüter wie Lebensmittel, die in der Regel in den USA überhaupt nicht besteuert werden, geschweige denn von einer Einführung einer nationalen Mehrwertsteuer überhaupt.

Neben der Wirtschaftspolitik hatten Merkel und Obama noch anderes zu bereden. Zur Aufnahme ehemaliger Gefangener aus Guantánamo wurde zwar keine Übereinkunft erzielt. Doch immerhin beantwortete Merkel die Anfrage nicht mit einem grundsätzlichen Nein, sondern schob die Verantwortung vielmehr dem Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu. Und die Aufnahme von einem oder zwei Menschen stellte sie zumindest in Aussicht.
Solche zarten Andeutungen waren von Merkel jedoch nicht zu hören, als es um einen größeren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ging. Die Abstimmung zur Verlängerung des Afghanistan-Mandats wird erst nach der Wahl stattfinden, der­zeit ist das Thema für die Regierungsparteien wegen des anstehenden Wahlkampfs zu heikel. Wie eine Berliner Korrespondentin des Time Magazine konstatierte, werde die Bundeswehr sowieso nie »bereit für den Kampfeinsatz« sein. Für Obama stehen die Aussichten eher schlecht, dass die deutsche Politik den Einsatz in Afghanistan anders als zögerlich betreiben wird.
Merkel besuchte nicht nur Obama. Sie traf auch die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Der Besuch fiel mit der Verabschiedung einer Gesetzesvorlage zur Bekämpfung des Klimawandels in Pelosis Kammer zusammen. Nun muss das Gesetz noch den US-Senat passieren. Deutsche Politiker begrüßten dies, sehr freund­liche Worte spendete der Spitzenkandidat der Grünen, Jürgen Trittin, der nach der Bundestagswahl einer schwarz-grünen Koalition angehören könnte. Nur die SPD versuchte sich an kleinen Sti­cheleien gegen die US-Politik. »Es ist immer noch zu wenig«, sagte Umweltminister Sigmar Gabriel über die Gesetzesvorlage in der Tagesschau.