Deutschland und der Iran

Die Lehre vom Nichtstun

In der deutschen Politik sind gerade so viele mahnende Worte zu den Vorgängen im Iran zu hören, wie ein neuer »Dialog« mit dem Regime vertragen dürfte.

Der sicherste Weg zu bekommen, was man möchte, ist, so zu tun, als wollte man es nicht haben. Wenn man also hungrig an der Imbissbude steht und der Wirt sagt: »Ich wette, Sie wollen ’ne Wurst!« Dann antwortet man am besten: »Falsch geraten! Ich will gar nichts.«
Das ist nicht normal? Doch, das ist es. Was man im wirklichen Leben mit guter Berechtigung als verrückt abtäte, wird zum Common Sense, wenn sich zur Tagesschau Deutschlands kleine Diplomaten vor den Fernsehschirmen versammeln. Dort wird Abend für Abend die heilige Lehre von der »menschenrechtsorientierten Außenpolitik« verkündet, die besagt, dass Nichtstun das Beste sei, was deutsche Politiker für die Menschen tun können, die auf Teherans Straßen niedergeschossen werden. Denn würde man sich einmischen, so gäbe man nur jenen Recht, die behaupten, der Aufstand in dem Land sei vom Westen ferngesteuert.
Man muss indes nicht erst in Teheran verprügelt werden, um eine Idee davon zu bekommen, wie wenig die paranoide Weltwahrnehmung der iranischen Führung auf Anregungen von außen angewiesen ist. Der Iran hält es mit der Wirklichkeit wie alle seine Nachbarn: Wenn die Ernte ausfällt, der Ölpreis sinkt und die Bevölkerung unzufrieden ist, dann folgt daraus, so sicher wie das »Allahu Akbar« in der Moschee, dass dahinter mindestens die Amerikaner stecken, wenn nicht gleich die Juden. Ganz folgerichtig behauptet die iranische Führung nun, dass es keinen Aufstand gebe, sondern nur eine Verschwörung von CIA und BBC. Das hätte sie so oder so behauptet. Dagegen, dass die Menschen, die auf Teherans Straßen demonstrieren, als Agenten des Westens denunziert werden, hilft keine Zurückhaltung. Das weiß man im deutschen Außenministerium.
Wenn der Staatssekretär der SPD im Außenamt, Gernot Erler, also von einem »Überbietungswettbewerb der Empörung« spricht, dann möchte er vor allem selbst nicht gestört werden beim »Dialog« mit der iranischen Staatsführung. Nur wenige Wochen vor der iranischen Präsidentenwahl hatte bereits die aus Bundesmitteln finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik bemängelt, die deutsche Iran-Politik wirke, »als sei sie in erster Linie bestimmt vom Bestreben, sich gegenüber den USA und Israel und auch der eigenen Öffentlichkeit politisch korrekt zu verhalten«. Was, so muss hinzugefügt werden, bei der iranischen Staatsführung nicht gut ankommt und einen »Dia­log« unnötig erschwert. Wohin ein solcher Dialog führen soll, hat die Stiftung ebenfalls erklärt: »Das zentrale strategische Ziel deutscher und europäischer Politik liegt nicht im Schmieden anti-iranischer pro-westlicher Allianzen.«
Und die wurden nun wirklich nicht geschmiedet. Von den wenigen diplomatischen Maßnahmen, die möglich wären gegenüber einem Regime, dem die Etikette so fremd ist wie ein guter Vollrausch, wurde nicht eine einzige ergriffen. Kein Botschaf­ter wurde abgezogen, keiner ausgewiesen, es wurde weder ein formeller Protest eingelegt noch ein informeller unterstützt. Weiter als Jürgen Trittin, der neuerdings außenpolitischer Sprecher seiner Partei ist, hat sich keiner vorgewagt: »Wir müssen Sorge dafür tragen, dass Menschenrechtsverletzungen in dieser Form in keiner Weise zu dulden sind.« Er sagte nicht, dass die Menschenrechtsverletzungen beendet werden müssen. Das ist genau so viel Kritik, wie ein neuer »Dialog« vertragen wird. Die wohlfeile Rede davon, man wolle die Demonstranten nicht als vom Westen gesteuert erscheinen lassen, ist einfach nur eine Ausrede dafür, dass man am liebsten alles so belassen würde, wie es einmal war.