Die Berliner CDU und der »rote Terror«

Roter Terror, kalte Krieger

Um den rot-roten Senat in Bedrängnis zu bringen, bezeichnet die Berliner CDU die militanten Aktionen der Gentrifizierungsgegner als »roten Terror«. Weil die Berliner CDU längst selbst eine Art Gentrifizierungsopfer ist, wird ihr das nichts nutzen.

Robbin Juhnke ist ein weicher Typ. Einer, der trotz Glatze und eckiger Stahlbrille nichts Hartes hat, einer, dem man im Gespräch von Angesicht zu Angesicht glaubt, dass es ihn ängstigt, wenn Unbekannte vor seinem Haus Autos anzünden. »Denen geht es darum, mir zu zeigen, dass sie wissen, wo ich wohne«, sagt der Berliner CDU-Abgeordnete leise, »das ist ein Versuch, mich einzuschüchtern.«
Im Bekennerschreiben, das der »Aktionstage­ticker« der »Action Days against Gentrification« verbreitete, hieß es, Juhnke sei ein »rechtsaußen Hardliner«, ein »Hassprediger«, einer, der keine »Berührungsängste mit rechtsradikalen Gruppierungen« habe, der »gegen Linksextremismus und Ausländerkriminalität« wettere und der sich »in seinem wahnhaften Kampf gegen Linke« erlaubt habe, »ein Konzept gegen die linksautonome Szene« zu verlangen. Deshalb habe man »zwei Nobelkarossen vor der Wohnung von Robbin Juhnke flambiert«.
Der »Hassprediger« Juhnke steht im Berliner Abgeordnetenhaus und liest gesenkten Kopfes, beide Hände regungslos am Pult, eine lange Liste vor, die nüchtern zusammenfasst, was der Berliner Boulevard seit Wochen in schrillsten Tönen berichtet. Juhnke zählt abgebrannte Autos auf, mit Farbbeuteln oder Steinen beworfene Fassaden. »Rechtsextremismus, Antisemitismus und religiöser Fundamentalismus werden zurecht scharf beobachtet«, sagt Juhnke. Nur die Linksextremen, die lasse man machen.
Wären alle so moderat wie Robbin Juhnke zu Beginn seiner Rede in dieser aktuellen Stunde zum Thema Linksextremismus, man könnte meinen, selbst die Berliner CDU habe keine Lust, bei der Kampagne von Springers BZ mitzuspielen. Auf deren Titelseite treiben schon seit Wochen autonome »Hassbrenner« ihr Unwesen, gegen die die Polizei nicht hart genug vorgehe. Aber eine CDU, die es nicht nötig hätte, dieses Thema auszuschlachten, wäre nicht die Berliner CDU. Die betitelt die von ihr beantragte aktuelle Stunde im Berliner Abgeordnetenhaus: »Herr Körting, stoppen Sie den roten Terror – Berlin darf nicht Hauptstadt des Linksex­tremismus werden!«
Wenn sich dann Udo Wolf von der Partei »Die Linke« dagegen verwehrt, dass die CDU mit ihrer Rede vom »roten Terror« den Senat und den Innensenator Ehrhart Körting (SPD) mit auf die Anklagebank setze und sich natürlich explizit von Militanz distanziert, die »unserem Anliegen, über Gentrifizierung zu sprechen«, schade, da ruft es aus den Reihen der Union: »Das sind ihre Straßenkolonnen, sonst gar nichts!« Das ist so retro, dass man sich gerührt an die Union der achtziger Jahre erinnert. Die Berliner CDU konserviert fast museal, was man in der sonst erfolgreich modernisierten Partei kaum mehr findet, diesen rasselnden Ton des Kalten Krieges.

Der Innensenator setzt dem sorgenvolle Töne entgegen: »Alle Gewalttaten, die Juhnke aufgeführt hat, stehen auch auf meiner Liste«, sagt Körting und stopft sich bedächtig das Hemd in die Hose. Die Abgeordneten der Union rufen höhnisch »Hört, hört!« »Alle Mittel, auch alle nachrichtendienstlichen Mittel, werden gegen autonome Strukturen eingesetzt«, verspricht Körting. »Ich hoffe auf harte Freiheitsstrafen ohne Bewährung.« Für ihn mache es nämlich keinen Unterschied, »ob jemand ein Auto anzündet – mit all den damit einhergehenden Gefahren für Menschen – oder ob jemand einen anderen wegen seiner Haut­farbe auf einem S-Bahngleis zusammenschlägt«.
Feine Differenzen wie die zwischen Sachbeschädigung und Körperverletzung spielen in dieser Stunde im Abgeordnetenhaus keine Rolle. Immerhin, das hat die CDU erreicht, die mit ihrer Forderung, analog zum »Runden Tisch gegen Rechtsextremismus« einen »Runden Tisch gegen Linksextremismus« einzurichten, scheiterte. Der grüne Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann spricht von »Kieztaliban« und »autonomen Wächterräten«. Martin Lindner von der FDP weiß, dass es aufs Schärfste zu verurteilen ist, »wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung angegriffen werden«. Da dürfe man »genau so wenig zulassen, wenn Menschen wegen ihrer Automarke oder ihrem Restaurantgeschmack angegriffen werden«. Einzig Udo Wolf von der »Linken« hat Zweifel an der Gleichheit aller ressentimentbedingten Übel: »Autos anzuzünden, ist nicht vergleichbar damit, wenn Menschen die Massenvernichtung der Juden leugnen.«

Dass diese aktuelle Stunde nur die Hilflosigkeit der Berliner CDU zeige, will Robbin Juhnke nicht gelten lassen. »Wir möchten die klammheimlichen Sympathien thematisieren, die viele mit diesen Straftaten hegen. Auch wenn sich jetzt alle distanzieren, denke ich, dass bei der ›Linken‹ sich einige in einer Grauzone bewegen, die bis ins militante Milieu hineinreicht«. Ziel des politischen Gegners sei, sagte Juhnke empörteren Tones vor dem Rednerpult, den »Kompass unserer Gesellschaft in die ganz linke Ecke« zu verschieben.
Dabei haben die Konservativen den Kulturkampf um die Hauptstadt längst verloren. Wenn man sich die Berliner CDU genauer ansieht, weiß man, wo sich die wahren Gentrifizierungsgegner organisieren. Die alten Westberliner, die über ihre Verdrängung durch die roten Ostberliner klagen. Und über die Verdrängung durch die Zugezogenen, die Homosexuellen, die Türken, die Hausbesetzer, die Hipster aus aller Welt. Die Verdrängung durch all jene, die Wowereits »Be Berlin«-Kampagne zu Berlinern adelt, obwohl ihnen das Café Kranzler nicht zusagt, die kein Schultheiss mögen und denen Harald Juhnke schnuppe ist.
Und weil es in der aktuellen Stunde implizit auch um jene polit-kulturelle Gentrifizierung Westberlins geht, ist obsessiv von Tempelhof die Rede – dem Flughafen der Luftbrücke, der für die Westberliner die Bastion gegen den roten Terror der Sowjets war und dann Bastion gegen den »roten Terror« des Senats sein sollte. Der Plan der CDU, diesen Flughafen gegen den Willen des Senats durch einen Volksentscheid zu retten, stieß bei den Berlinern jedoch auf wenig Interesse. Um so größer ist jetzt die Freude der CDU, dass die Aktion »Squat Tempelhof« im Rahmen der linksradikalen »Action Days« den Innensenator nötigte, die leere Wiese Tempelhof von Tausenden Polizisten absperren zu lassen. Hätte Körting eine illegale Besetzung des von ihm stillgelegten Flughafens zugelassen, wäre der Protest der CDU größer gewesen als ihr höhnisches Gelächter über den absurden Polizeieinsatz.
»Normalerweise wird immer uns vorgeworfen, wir würden mit dem Thema Tempelhof Zeit vergeuden«, freut sich Juhnke. Und weil man schon beim Thema sei, will Juhnke den Fauxpas eines Herren der SPD korrigieren: Der habe gesagt, die Mehrheit der Berliner sei für die Schließung des Flughafens. Nein, nur »das Quorum des Volksbegehrens für den Erhalt des Flughafens wurde nicht erfüllt«, berichtigt Juhnke, als mache das einen Unterschied.
Dass die Generation jener Tempelhof-Fans, jene Generation Wilmersdorfer und Steglitzer Herren, die morgens, sich den preußischen Schnurrbart zwirbelnd, mit dem Hund zum Zeitungskiosk gehen, dort die BZ kaufen, um sich darin später, während ihnen der Alte Fritz vom Gemälde über dem Sofa über die Schulter sieht, über den »roten Terror« zu informieren, dass diese Klientel längst marginal ist, hat die Berliner CDU verpasst. Bis sie mit dem Schlagwort vom »roten Terror« wieder wirklich bei Wahlen punkten kann, müssen noch viele Autos brennen.