Sara, Jens und Paul im Gespräch über Autos, Yuppies und verkürzte Kritik an der Gentrifizierungskritik

»Terrorismus passiert jeden Tag«

Sara*, Jens und Paul engagieren sich in der Kampagne »Wir bleiben alle« und beteiligten sich an den »Action Weeks against Gentrification«. Auf einem Spielplatz in Friedrichshain sprachen die Autonomen, alle Mitte bis Ende 20, über Militanz und Gentrifizierung.

In Berlin brennen täglich Autos, unter anderem brannte das von Robbin Juhnke, einem CDU-Abgeordneten. Hat er nicht Recht, wenn er das als »Terrorismus« bezeichnet?

Paul: Wenn Juhnke sagt, das sei Terrorismus, dann sage ich: Terrorismus passiert jeden Tag in Berlin. Und zwar, wenn Menschen, die hier seit 40 Jahren im Kiez leben, wegziehen müssen, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können.

Aber zu sagen, dass sich Leute, die bestimmte Autos anzünden und bestimmte Restaurants überfallen, wie Kieztaliban aufspielen, ist doch richtig. Da geht es doch darum, Menschen mit angeblich falschem Lebensstil die eigene Moral aufzuzwingen.

Paul: Die Taliban sind eine fundamentalistische religiöse Gruppierung. Ich finde es verrückt, solche Vergleiche anzustellen. Hier geht es doch um etwas ganz anderes. Das Problem ist, dass hier Leute aus ihren Stadtteilen verdrängt werden, weil sie nicht genug Geld haben.

Was bringt es da, Autos anzuzünden?

Paul: Manche Investoren überlegen sich jetzt genau, ob sie hier investieren wollen. Der Investor der Kreuzberger Luxus-Carlofts, die schon öfter angegriffen wurden, sagt, er würde heute nicht mehr dort investieren. Auch andere Investoren sehen ein, dass das Klima in manchen Kiezen nicht investitionsfreundlich ist.

Ist es denn wünschenswert, in baufälligen Altbauten mit Kohleofen zu leben?

Jens: Es geht gerade nicht darum, den schlechten Lebensstandard zu konservieren. Es geht darum, dafür zu kämpfen, dass alle Menschen Zugang zu sanierten Wohnungen bekommen. Wenn Sanierungen der Logik des Kapitalismus folgen, dann wird das verhindert. Das Abstruse ist doch, dass die Bewohner oft Verbesserungen ihres Wohnraums verhindern wollen, weil sie Angst vor Mieterhöhungen haben. Der Effekt der Aufwertung ist ja nicht ein schöneres Wohnen für alle, sondern dass einige wegziehen müssen.

So genannte Yuppies zu vertreiben – also Menschen, die nicht so arm sind wie der Rest und nicht so links und moralisch, wie ihr es seid –, das ist doch die Strategie des Autoabfackelns.

Paul: In den Kampagnen, mit denen wir zu tun haben, würde niemand sagen, Autos anzuzünden sei unsere Strategie, auch wenn wir das als Aktionsform legitim finden. Ich glaube, viele Leute sind einfach unzufrieden, weil sie wissen, was ihnen im Zuge der so genannten Aufwertung ihrer Stadtteile droht. Uns geht es um breite Bündnisse, um größtmöglichen Protest gegen Mieterhöhung und Vertreibung auf die Beine zu stellen.

Wenn man Bündnisse will, ist Militanz manchmal nicht hilfreich.

Paul: Wenn es in einem Tagesspiegel-Kommentar heißt, dass einem die heimliche Freude über die brennenden Bonzenkarren langsam vergehe, bestätigt das, wie viel Symphathie es für solche Aktionen gibt.

Die Grundlage solcher Sympathien sind Ressentiments gegen diejenigen, die sich ein etwas größeres Auto leisten können. Sollte man die wirklich bedienen?

Sara: Ich würde das nicht so abwerten. Dass es sich emotional vielleicht gut anfühlt, wenn Autos brennen, ist doch nicht illegitim. Es ist ungerecht, dass manche mehr haben und manche weniger, das ist die Basis des ganzen Phänomens der Gentrifizierung. Das nur auf der Bauchebene zu verstehen, ist vielleicht zu kurz gegriffen, aber deswegen nicht falsch.

Aber die Idee, man könne seinen Kiez gegen irgendwelche Yuppies verteidigen, basiert doch auf Ressentiments und strukturkonservativen Heimatgefühlen.

Jens: Menschen, die in von Gentrifizierung bedrohten Bezirken leben, haben das Bedürfnis, ihr soziales Umfeld zu erhalten. Das ist ein völlig legitimes Bedürfnis.

Das sind doch Themen von Stadtteilinitiativen und Bürgervereinen. Früher ging es Linken um die Weltrevolution.

Paul: Nein, das ist nur ein scheinbarer Gegensatz. Am Beispiel Wohnen wird klar, wie kapitalistische Prozesse ablaufen. Klar muss es um mehr gehen als das »wir wollen hier nicht weg«. Aber um über Kapitalismus zu reden, muss man beim Konkreten anfangen. Man muss wieder Erregungs­korridore schaffen, Diskussionsräume, Diskurse schaffen, in denen man sich austauschen kann. Nach den actionreichen letzten Wochen ist jetzt die Zeit, sich in größeren Kreisen damit auseinanderzusetzen, wie es weitergehen soll.

Und für die »Erregungskorridore« muss man Autos anzünden?

Paul: Unsere Besetzung einer Freifläche für einen Spielplatz hat uns Unterstützung in der Nachbarschaft gebracht, aber die Zeitungen haben darüber in einem Dreizeiler berichtet. Nach den Aktionstagen und den militanten Aktionen redet jeder über Gentrifizierung.

Jens: Wenn man sich mit städtischer Entwicklung auseinandersetzt, ist das in höchstem Maße revolutionär. Städte und ihre Umstrukturierung sind wunderbare Symbole dafür, wie Kapitalismus funktioniert, wie sich das Kapital immer wieder neu verwerten muss. Das Symbol für die Reproduktion des Kapitals muss nicht immer die Fabrik sein oder das Callcenter, das kann auch die Stadt sein. Da kann man auch über das Konzept »Eigentum« reden, sei es anhand von Mieterhöhungen oder anhand brennender Autos. Da finde ich die Kritik, linke Gentrifizierungskritik sei nicht revolutionär, einfach nur verkürzt (alle drei lachen).

Gibt es keine Aktionsformen, von denen ihr euch distanziert?

Paul: Bei uns gibt es die Devise, dass sich alle mit ihren Aktionsformen beteiligen können. Wenn einige die Formen anderer nicht in Ordnung finden, wird das intern geklärt.

Sara: Ich finde die Militanzdebatte langweilig. Klar ist es gut, wenn auch über Methoden diskutiert wird. Aber es ist doch klar, dass die legalen Möglichkeiten eben die sind, die nichts bewirken.

Wenn ihr in der BZ die Artikel über die »Hassbrenner« seht, denkt ihr dann, die machen Werbung für uns?

Paul: Eher weniger.

Sara: Das hat mit dem, was wir wollen, eigentlich nichts zu tun. Nur ab und zu finde ich das ganz nett, weil sie uns größer machen, als wir sind.

Eben. Es ist doch vermessen, wenn ihr fordert: »Reclaim your city«. In dieser Gesellschaft tickt die überwältigende Mehrheit einfach anders als ihr.

Sara: Wenn wir realistisch sind, resultiert alles, was wir machen, darin, Aufmerksamkeit auf unsere Themen zu lenken. Wir drücken ja nichts durch, das können wir gar nicht. Wir versuchen auch, von dem »Hassbrenner«-Diskurs wegzukommen, um zu sagen, worum es eigentlich geht.

Jens: Und das funktioniert ja auch, wenn man sich ansieht, wer sich alles an der Aktion »Squat Tempelhof« beteiligt hat.

Ist es nicht eher traurig, dass sich so viele Linke für einen leerstehenden Flughafen interessieren, aber nichts dazu sagen, wenn im Iran gerade eines der brachialsten Regimes an der Macht zu bleiben versucht?

Jens: Wenn jetzt der Vorwurf darauf hinausläuft, dass wir nur unser eigenes Süppchen kochen, muss man aber auch festhalten, dass wir am Beginn der Action Weeks eine Kundgebung am Flughafen Schönefeld gegen eine Massenabschiebung gemacht haben. Unsere Kampagne dreht sich nicht nur um unsere Kieze.

Paul: In den Aktionwochen sind auch DHL-Transporter abgefackelt worden, weil die DHL die Logistik der Bundeswehr übernimmt. Bärenmenü ist abgefackelt worden, weil sie zu Sodexho gehören, die Abschiebeknäste beliefern. Das geht über den Tellerrand der Gentrifizierungskritik hinaus.

Haltet ihr die militanten Aktionen auch für Klassenkampf?

Paul: Es gibt eine besitzende Klasse, denen der Besitz genommen wird – wenn auch nur kurzfristig. (Alle lachen) Natürlich ist das verkürzt.

Anschläge auf fremdes Eigentum basieren doch auf ganz einfachen Feindbildern: Hier der böse CDUler, da die bösen Yuppies, verkürzter geht es doch gar nicht.

Paul: Ich finde es problematisch, Feindbilder zu personalisieren. Gentrifizierung ist eine allgemeine Dynamik, die nicht an einzelne Personen geknüpft ist. Der Anschlag auf Juhnkes Auto mag aufgrund der Analysen der einen richtig sein, andere haben andere Ansichten. Mein Feindbild ist Kapitalismus.

Jens: Es ist falsch, die Kritik ausschließlich an Yuppies zu richten. Trotzdem ist es auch wichtig, Menschen ihre Verantwortung aufzuzeigen. In der amerikanischen Debatte spricht man von »Gentrifiers« – es ist nicht verkehrt, diese Menschen, die von Gentrifizierung profitieren, zu benennen. Yuppies, was ja eigentlich Young Urban Professionals bedeutet, spielen eine große Rolle bei der Veränderung von Kiezen, weil sie andere Sachen konsumieren und andere Interessen haben. Da finde ich es gar nicht verkehrt, ab und zu auf den Begriff Yuppie zurückzugreifen, damit diese Menschen sich fragen, auf welcher Seite sie eigentlich stehen.

Und was sollen die angeblichen Yuppies tun, um auf der richtigen Seite zu stehen? Sollen sie »Sterni« trinken, bei Aldi einkaufen und in finsteren Erdgeschosswohnungen hausen?

Sara: Nein, die sollen erst mal auf unsere Demos kommen und später anfangen, Autos anzuzünden (lacht).

Jens: Und politischen Druck machen. Es gibt ja einfache Möglichkeiten, wie man Gentrifizierung entschleunigen könnte. Und letztlich auch die Möglichkeit, Wohnungen dem kapitalistischen Markt zu entziehen.

Wenn man sich die politische Wirkung militanter Aktionen ansieht, müsste man meinen, euch ginge es darum, in Berlin den rot-roten Senat durch eine CDU-Regierung abzulösen.

Paul: Den meisten Militanten ist es egal, ob der Senat rot-rot oder schwarz-gelb ist. Der Senat hat wenig Einfluss auf das eigentliche Leben der Menschen. Politik wird ohnehin in erster Linie von unten gemacht. Die Politik kann nicht bestimmen, was auf den Straßen passiert, das musste sie in den letzten Wochen zugeben.
Mal im Ernst: Wird die Politik wirklich auf der Straße gemacht?

Paul: Anscheinend wird sie schon auf der Straße gemacht. Wenn sich Investoren hier nicht mehr wohlfühlen, wird Politik auf der Straße gemacht.

Dann wird Politik jedenfalls nicht mehr demokratisch gestaltet. Ob man das richtig oder absurd findet: Vermutlich würde sich die Mehrheit der Berliner über Investoren freuen, die ihnen Arbeitsplätze schaffen, damit sie sich größere Wohnungen leisten können.

Sara: Uns erzählen immer irgendwelche Leute, sie wüssten genau, was die Mehrheit will. Ich frage mich immer, woher sie das eigentlich wissen. Bei der Media-Spree-Kampagne hat man zum Beispiel gesehen, dass die Mehrheit der Anwohner ein großes Investitionsprojekt ablehnt, das ihre Vertreter ersonnen haben.

* Alle Namen von der Redaktion geändert