Eva Bahl und Marina Ginal im Ge-spräch über Migration und den Diskurs über Menschenhandel

»Abschiebung wird als Rettung inszeniert«

Eva Bahl und Marina Ginal forschen über Migration und Menschenhandelsdiskurse und beteiligen sich im Netzwerk kritische Migrations- und Grenzregimeforschung. In der Ausstellung »Crossing Munich – Orte, Bilder und Debatten der Migration« stellen sie die Installation »menschen[ver]­han­del[t]« aus, die sie zusammen mit dem Künst­ler Ralf Homann konzipiert haben. Die Ausstellung in der Rathausgalerie München wird am 9. Juli eröffnet.

Frau Bahl, Frau Ginal, Sie wollten ursprünglich zu Sexarbeit in München forschen – und arbeiten jetzt zum Menschenhandelsdiskurs in der EU-Politik. Wie kam das?

Ginal: München ist, was Sexarbeit angeht, ein sehr spezieller Fall, das hat uns interessiert. Die Stadt hat einen sehr restriktiven Sperrbezirk, Sex­arbeit ist fast im gesamten Stadtbereich verboten. Das wird inzwischen hauptsächlich mit dem Gefahrenszenario des Menschenhandels begründet – und das wird besonders von Sexarbeiterinnen und Pro-Sexworker-NGO scharf kritisiert. Die Suche nach der Herkunft dieses Diskurses führ­te uns dann auf die Ebene der EU.

Weil die sich in den vergangenen Jahren verstärkt mit dem Thema Frauenhandel und Zwangsprostitution beschäftigt hat?

Ginal: Nicht nur die EU. Das Thema ist ja auch in Deutschland sehr präsent.

Bahl: Es ist im Grunde ein Fortschritt, dass Frauen im Zusammenhang mit Migration inzwischen überhaupt eine Rolle spielen. Frauen waren in der Migrationspolitik und der Migrationsforschung lange Zeit quasi inexistent – jetzt werden sie sicht­bar gemacht, leider aber auf problematische Weise. Der Blick auf Frauen in der Migration war immer geprägt von der Frau als der unfreiwillig mitreisenden Ehegattin und der Frau als Opfer ih­rer Verhältnisse. Diese Tradition setzt sich in den Kampagnen gegen Frauenhandel gewissermaßen fort.

Was hat Sexarbeit damit zu tun?

Bahl: Die Entscheidung, zu migrieren und als Sex­arbeiterin zu arbeiten, wird im Diskurs über Zwangsprostitution als grundsätzlich erzwungen gesehen. Das hängt mit Moralvorstellungen zusammen, die von vornherein eine Entscheidung für die Sexarbeit ausschließen. Diese Sichtweise wird nicht nur von Konservativen vertreten, es gibt auch eine starke feministische Strömung, die die Position vertritt, jede Prostitution sei Zwang und die einzige Lösung sei langfristig die Abschaf­fung von Prostitution und mittelfristig die Bestrafung von Freiern.

Aber Frauenhandel und Zwangsprostitution gibt es doch durchaus.

Ginal: Natürlich existieren diese grausamen Realitäten sexualisierter Gewalt. Und es ist gut, dass es Beratungsstellen für Betroffene gibt, die den Frauen Schutz bieten und sie unterstützen auf ihrem Weg durch das Labyrinth der Interessen, in dem die Polizei vor allem einen Täter sucht und die Ausländerbehörde vor allem abschie­ben will.

Ist es nicht positiv, dass sich die EU mit Frauen- und Menschenhandel beschäftigt?

Ginal: Ja und nein. Es ist natürlich an sich positiv, dass sich die EU damit beschäftigt. Das Problem allerdings ist, dass das Thema, das ursprünglich von Frauenorganisationen auf den Tisch gebracht wurde, heute ein Instrument ist, um Migration zu bekämpfen.

Bahl: Auf der großen EU-Konferenz zu Frauen- und Menschenhandel, die im Februar in Wien stattfand, konnte man das schon anhand der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erkennen. Dort war zumindest am Renderpult keine einzige Frauenorganisation vertreten. Stattdessen kamen dort sämtliche Agenturen und Akteure der Migrations­politik zusammen: Ministerien des Inneren, der Justiz, die Internationale Organisation für Migration (IOM), Europol, die europäische Grenzschutz­agentur Frontex.

Über die Konferenz ist in der Presse sehr positiv berichtet worden.

Bahl: Das ist auch nicht verwunderlich. Der Diskurs um Menschen- und Frauenhandel dient ja gerade dazu, der EU-Flüchtlingspolitik ein positiveres Image zu verschaffen.

Ginal: Er ermöglicht es zum einen, neue Arbeitsbündnisse zu schaffen, zum Beispiel zwischen EU-Institutionen, Agenturen wie der Internationa­len Organisation für Migration (IOM) und NGO, die Daten zu Migrantinnen liefern können. Vor al­lem aber ermöglicht er es, die Rückführung von Migrantinnen und Migranten als »Rettungsmaßnahme« darzustellen.

Die EU stilisiert sich zur Retterin der illegalen Frauen?

Ginal: Beispielhaft dafür ist die Aussage von Ivan Langer, dem ehemaligen Innenminister Tschechiens, der im Februar noch die Ratspräsidentschaft innehatte und die Konferenz eröffnete. Langer betonte die gute Zusammenarbeit mit der IOM und mit deren »freiwilligen Rückkehrprogrammen«. Gerade in Zeiten der Finanzkrise gebe es viele Fremde in der EU, die ihren Job verloren hätten und in prekären Verhältnissen lebten. Sol­che Menschen könnten besonders leicht Opfer von Menschenhandel werden. Deshalb, so Langer, sei er sehr glücklich über das Projekt der »freiwilligen« Rückkehr für potenzielle Opfer. In ihren Heimatländern seien diese am besten vor Menschenhandel und Zwangsprostitution geschützt.

Bahl: Auch die österreichische Innenministerin Maria Fekter ist hierfür ein schönes Beispiel. Ken­ner der österreichischen Politik dürfte es eher verwundern, dass ausgerechnet Fekter sich für die Opfer von Menschenhandel stark macht – hat sie sich doch bisher vor allem durch repressive For­derungen zur Asylpolitik hervorgetan. Ausgerechnet sie setzte sich auf der Konferenz dafür ein, dass ein deutliches Signal gegen den Menschenhandel gesetzt würde. Auch ihre Rede endete mit der Forderung, Migrantinnen und Migranten in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Sie forderte auch, Probleme bei der Sammlung von Daten über Migrantinnen zu lösen, etwa die unterschied­lichen Datenschutzbestimmungen in den verschiedenen Staaten.

Die EU will also mehr Daten über Migrantinnen sammeln?

Ginal: Darum ging es auf der Konferenz im Grunde: um die Einführung von Richtlinien zum Sammeln migrationsbezogener Daten. Nicht nur in der EU selbst, sondern auch in den Herkunfts-, Transit- und Zielländern.

Bahl: Brisant ist daran, dass es nicht nur darum geht, die Fälle von Zwangsprostitution oder Menschenhandel zu sammeln, die bereits bekannt sind. Es sollen auch die Daten aller »potenziellen Opfer« gesammelt werden – also aller Migrantinnen und möglichen Migrantinnen.

Wer arbeitet an der Sammlung dieser Daten mit?

Bahl: Zum einen natürlich die klassischen nationalstaatlichen Akteure wie Behörden und die Polizei. Dazu kommt eine Vielzahl supra- und zwi­schenstaatlicher Akteure wie die Organisation für Migration, IOM, oder die Internationale Arbeits­organisation, ILO.

Ginal: Interessant am Menschenhandelsdiskurs ist aber auch, dass er selbst neue Akteure hervor­bringt. So entstehen in der EU nun zahlreiche Opferschutz-NGO, die auf lokaler Ebene explizit miteinbezogen werden, wenn es darum geht, Daten zu sammeln oder Migrantinnen und Migranten in ihre Herkunftsländer zurückzuführen.

Das heißt, die EU sammelt Daten über Frauen, die migrieren oder migrieren könnten, weil diese Opfer von Frauenhandel werden könnten?

Ginal: Nicht nur von Frauen. Auf der Konferenz in Wien hat sich gezeigt, dass die Kritik an der einseitigen Fokussierung auf Frauen inzwischen auch bei der EU angekommen ist. Die EU betont jetzt, dass es auch um Männer, Kinder und Ausbeutungsverhältnisse jenseits der Sexindustrie geht. Das bedeutet dann aber auch, dass auch über diese Betroffenen Daten gesammelt werden sollen.

Lässt sich denn sagen, wie viele der Frauen unter Zwang arbeiten und wie viele dies freiwillig tun?

Bahl: Es gibt sehr viele Zahlen zu dieser Frage. Sie unterscheiden sich allerdings stark, je nach politischem Interesse derer, die sie erheben. Dass die Zahl der Zwangsprostituierten in den meisten Studien gering ist im Vergleich zu legal arbeitenden Sexarbeiterinnen, wird von Verfechtern stärkerer Kontrollen immer mit sehr hohen Dun­kelziffern begründet. Juanita Henning von der Frank­furter Sexarbeiterinnen-Organisation Doña Carmen spricht von »Zahlenwerken der Opfergenerierung«.

Ginal: Wir möchten aber nicht mit Zahlen argu­men­tieren, denn natürlich ist jede Betroffene eine zu viel. Uns geht es darum zu zeigen, was die­ser Diskurs für politische Implikationen hat. Und da muss man einfach sagen, dass er der Bekämpfung irregulärer Migration dient und nicht der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Migrantinnen und Sexarbeiterinnen. Problematisch ist auch die Kulturalisierung von Gewalt. Indem sowohl Opfer als auch Täter als »fremd« konstruiert werden, entledigt man sich der Verantwortung für sexualisierte Gewalt in der eigenen Gesellschaft und reproduziert Bilder von rückständigen und patriarchalen Migrantenkulturen. So ist auch nie die Rede von den deutschen Zwangsprostituierten, die es durchaus auch gibt, sondern es werden immer »hohe Dunkelziffern« in »unzugänglichen ethnischen Netzwerken« verortet.

Und was fordern die Betroffenen selbst?

Ginal: Sexarbeiterinnen- und Pro-Sexworker-Organisationen protestieren auf jeden Fall lautstark gegen die Vermischung von Sexarbeit und Zwangsprostitution. Einer ihrer Vorschläge ist es, nicht mehr von Zwangsprostitution, sondern von sexualisierter Gewalt zu sprechen.
Bahl: Repressive Lösungen und der Versuch, Sex­arbeit und Migration zu unterbinden, setzen die Frauen zusätzlich unter Druck. Sehr viel wirk­samer und hilfreicher wäre es, Migrantinnen und Sexarbeiterinnen mit Arbeits- und Aufenthaltsrechten auszustatten. Aber das ist ja genau das, was die EU mit ihrem Diskurs über Frauen- und Menschenhandel verhindern will.

Informationen im Internet unter
http://crossingmunich.org