»Brüno« von Sascha Baron Cohen

Der Homo aus der Hölle

Schwul, schrill, skandalös: Sacha Baron Cohen bringt mit »Brüno« seinen neuen Aufreger in die Kinos.

Sein Name ist Brüno, er ist schwul, und er hat ein klares Ziel vor Augen: »Ich will der größte österreichische Superstar seit Adolf Hitler werden!« Also fliegt der jüngst beim Österreichischen Jungen Rundfunk (OJRF) entlassene Modereporter in die USA und versucht dort, seiner Karriere neuen Schub zu verpassen. Egal wie – Hauptsache, berühmt werden. So beginnt »Brüno – Der Film«, die von seinen Fans sehnlichst erwartete neue Produktion des britischen Komikers Sacha Baron Cohen. Nach seinem Debüt »Ali G in da House« (2002) landete Cohen vor drei Jahren mit seinem zweiten Film »Borat« einen kontrovers diskutierten Überraschungserfolg. In der vermeintlichen Dokumentation (oder: Mockumentary, wie Film-Nerds das Genre nennen) spielte Cohen einen sexistischen, rassistischen, antisemitischen und sonst noch was Hinterwäldler aus Kasachstan, der als Fernsehreporter durch die USA reiste, um Land und Leute kennen zu lernen. Seine Gesprächspartner konfrontierte er gut gelaunt mit bedenklichen Ansichten – und schaffte es in den besten Momenten, die ahnungslosen Mitwirkenden zu entlarven und ihnen ähnlich dumme Aussagen zu entlocken. Durch den Einsatz von Komik reaktionäre Ansichten bloßzustellen, war nach Aussage von Cohen eines der wichtigsten Ziele seiner Arbeit.
»Brüno« ist ebenfalls eine Mockumentary und in der Struktur identisch mit »Borat«. Die Rahmenhandlung ist unwichtig, Cohen trifft auf Menschen, die Brüno für eine reale Person halten, und die knapp 90 Minuten bestehen aus aneinandergereihten Clips, die auch einzeln funktionieren könnten. Der große Unterschied zum Vorgänger: »Brüno« ist über weite Strecken noch überdrehter, noch geschmackloser, noch schockierender, noch »ich kann da gar nicht hingucken«-mäßiger als »Borat«. Mit anderen Worten: »Brüno« ist großartig. Was Sacha Baron Cohen mit diesem Film abliefert, ist keine Komödie. Es ist die Darstellung des Horror-Trips eines fanatischen Schwulenhassers auf LSD. Brüno ist der Homo aus der Hölle: Jedes, aber auch jedes Klischee über Schwule hat Cohen in seine Figur integriert und knallt dem Kinopublikum die Stereotype erbarmungslos vor den Latz. Und das in einem außergewöhnlichen Tempo und mit einer beeindruckenden Dichte an hervorragenden Gags. Da hat man sich gerade von der drastischen Darstellung der sexuellen Vorlieben der Hauptfigur erholt (Champagnerflaschen, eine Art Dildofahrrad und Brünos pygmäischer Lover spielen dabei nicht unwesentliche Rollen), schon sieht man Brüno mit runtergelassener Hose auf einer Liege beim Anal-Bleaching und kurz danach als Gast in einer Talkshow, in der er sein adoptiertes schwarzes Baby O.J. vorstellt (»Ich hab’s in Afrika gegen einen iPod getauscht«). Zack, zack, zack. Der Ideenreichtum von Cohen scheint grenzenlos zu sein. Manchmal wären ein paar Ruhephasen ganz gut. Denn eine Reihe von Gags bekommt man gar nicht mit, weil man so sehr damit beschäftigt ist, die Mischung aus Scham, Ekel, Empörung und Begeisterung irgendwie zu verarbeiten.
Ein paar Kritikpunkte gibt es aber auch. Während es Cohen in »Borat« und noch eindrucksvoller in seiner Fernsehreihe »Da Ali G Show« immer wieder geschafft hat, auch etablierte Mitglieder der eher aufgeklärten gehobenen Gesellschaft, etwa Wissenschaftler und linksliberale Politiker, zu kompromittieren, hat er sich für »Brüno« mehrheitlich leichte Opfer ausgesucht. Genannt seien hier nur eine Redneck-Jagdgesellschaft aus den Südstaaten, Soldaten eines Boot-Camps sowie ein Pastor, der als »Gay Converter« Schwule »heilen« will. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Wenn Brüno den Pastor für seine »Blow-Job-Lippen« anhimmelt oder sich nackt in das Zelt eines Hobby-Jägers schleicht, ist das schreiend komisch. Nur: Die Homophobie dieser Personengruppen überrascht natürlich nicht. Von Entlarvung kann keine Rede sein. Niemand von ihnen versucht, seine Ansichten zum Thema Homosexualität aus Gründen beispielsweise der Political Correctness zu verheimlichen. Hier wird zugunsten der Stärkung der Rolle des Komikers auf ein aufklärerisches Element verzichtet – und das ist ein bisschen schade.
Auch scheinen mehr Szenen inszeniert zu sein als bei »Borat«. Dass nicht bekannt ist, welche das sind, führt zu (möglicherweise beabsichtigten) Irritationen beim Publikum und schmälert das Vergnügen. Ein Beispiel: Sollte Brünos Gesprächspartner im Libanon wirklich der Anführer einer al-Aqsa-Märtyrerbrigade sein, dann ist diese Szene nicht nur die beste Terroristen-Verarschung aller Zeiten, sondern sie muss darüber hinaus lebensgefährlich für den Komiker Cohen gewesen sein. Sollte sie inszeniert sein, ist sie immer noch ganz gut, aber längst nicht so beeindruckend.
Schade ist auch, dass es hierzulande offensichtlich kein Studio gibt, das in der Lage ist, hochklassige Komik wie diese angemessen zu synchronisieren. Auf der Pressevorführung gab es glücklicherweise die Originalfassung zu sehen. Die deutschen Trailer sind grauenhaft. In ihrer Erbärmlichkeit sind sie nur vergleichbar mit den synchronisierten Serien auf dem Fernsehsender Comedy Central. Dort schafft man es ja sogar, Kunstwerke wie »Extras« von Ricky Gervais zu zerstören. Wer kein Englisch versteht, sollte sich »Brüno« nicht ansehen. So einfach ist das leider.
Kritik grundsätzlicher Art ist aus den USA zu vernehmen. Dort äußerten sich Gay-Rights-Aktivisten besorgt über die Wirkung von »Brüno«. Rashad Robinson von der Gay & Lesbian Alliance Against Defamation zum Beispiel sagte der Agentur Associated Press: »Wir haben den Eindruck, dass die Filmemacher gute Absichten haben, und Satire dieser Art kann tatsächlich Homophobie entlarven. Aber gleichzeitig kann sie bei manchen Menschen die Abneigung gegen unsere Community erhöhen.« Seine Organisation forderte deshalb den Verleih Universal Pictures auf, dass Cohen am Ende des Films in einem Beitrag auf den satirischen Charakter seines Films hinweisen und sich für die Rechte Homosexueller sowie für Toleranz im Allgemeinen aussprechen soll. Universal lehnte das ab, die meisten Zuschauer würden die Absicht des Films auch ohne diese Erläuterung verstehen. Das sieht Aaron Hicklin, Chefredakteur des auflagenstarken US-Gay-Magazins Out, ähnlich: »Dem Film gelingt etwas sehr Wichtiges«, sagte er der New York Times. »Er zeigt, dass das Verhalten von Menschen sich komplett ändern kann, wenn sie feststellen, dass du schwul bist. Normalerweise würde sich das Multiplexpublikum doch niemals auf eine Zweistunden-Vorlesung über Homophobie einlassen, aber genau das bietet dieser Film.« Im August soll daher Brüno das »Out«-Cover schmücken. Das ist eine gute Idee, denn Sacha Baron Cohen ist in seiner Rolle als Brüno zwar selten dämlich, aber – mal rein optisch betrachtet – wirklich ein verdammt hübscher Kerl.

»Brüno«. Buch/Regie: Sacha Baron Cohen. Start: 9. Juli