Das gemeinsame Programm von CDU und CSU

Team Deutschland marschiert wieder

CDU und CSU haben in Berlin ihr gemeinsames Wahlprogramm vorgestellt.

Eine Veranstaltung der CDU und der CSU verdient es keineswegs, als eintönig bezeichnet zu werden. Zwischen den Herren und Damen in verschie­denen gedeckten Farben leuchten T-Shirts in fröh­lichem Orange auf. »Team Deutschland« steht darauf geschrieben, in Kleinbuchstaben, mit einem großen »A« und einem großen »M« für Angela Merkel. Das sei eine »tolle Sache«, erklärt ein emsiger junger Mann. »Jeder kann sich im ›Team Deutschland‹ für die Wiederwahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin einsetzen«, man sei offen für alle, auch für solche, »denen das mit der CDU zu viel ist«.

Irgendwie offen klingt es auch, wenn die Union zu einem »Kongress« einlädt. Dabei wäre es ja auch keine Schande gewesen, schlicht vom Wahlkampfauftakt oder von der Vorstellung des Wahl­programms zu sprechen. So muss es denn bei der Veranstaltung, auf der CDU und CSU ihr »Regierungsprogramm 2009–2013« vorstellen, ganz so, als sei die absolute Mehrheit bereits gewonnen, verkrampft lässig zugehen.
Nach der Begrüßung durch Generalsekretär Ro­nald Pofalla moderiert der eloquente Herr Profes­sor Ernst Elitz die »Foren«. Die Sitzgruppe auf der Bühne im Berliner Congress Center am Alexan­der­platz erinnert an Talkshows, und dement­sprech­end ist es die Aufgabe der Teilnehmer, im Wechsel und auf die Fragen des Herrn Professor hin die ihr Ressort betreffenden Punkte aus dem Wahlprogramm so vorzutragen, als seien diese ihnen just in diesem Moment in den Sinn gekommen.
Die anderen Parteioberen sitzen währenddessen wie Geschworene auf stufenförmig angeordneten Bänken etwas seitlich, plaudern und blättern bisweilen in ihren Unterlagen. Auf den Parkettplätzen sitzen massenhaft Menschen, die bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten frenetisch klatschen und sich noch bei den flachsten Witzchen schier ausschütten vor Lachen, als würden sie sehr gut dafür bezahlt, ganz nach dem Motto der Union: »Leistung muss sich lohnen«. Feine Unterschiede sind dennoch zu spüren: Zum Star des Tages ist, einmal abgesehen von der Kanzlerin, Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg auserkoren, der agil aufs Podium hopst, noch nicht ahnend, dass sein Parteivorsitzender Horst Seehofer ihn am nächsten Tag gehörig rüffeln wird, weil er dem Versandhaus Quelle nicht schnell genug einen Kredit zusagte. Eher verhalten ist der Beifall dagegen bei Günther Oet­tinger, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der in Interviews an diesem Tag so wirkt, als habe man ihn mit einem dumpfen Schlag auf den Kopf von der Idee befreit, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz erhöhen zu wollen.

Da nicht genug Zeit ist für alle Themen, die die Republik bewegen, muss einiges zusammengeworfen werden. Krise und Wirtschaft kann man als Themen für ein »Forum« gelten lassen, ebenso Bildung und »Innovation«. Etwas abenteuerlich ist dagegen das dritte Forum, in dem die verbleibenden Themen Familienpolitik, Innenpolitik und Verteidigung abgehandelt werden. Aber Profis machen passend, was nicht passt, und so trägt das »Forum« die Überschrift »Zusammenhalt stärken«.
Der Zeitplan ist straff, schnell wird an- und abge­treten. Bei je fünf bis sechs Vortragenden in den halbstündigen »Foren« vergeht einem leicht Hören und Sehen. Der Herr Professor sorgt unerbittlich dafür, dass sich die Ministerinnen und Minister, stellvertretenden Parteivorsitzenden, Ministerprä­sidenten und anderen obersten Funk­tionsträger nach ihrem Auftritt husch, husch wieder auf ihre Plätze auf der Geschworenenbank trollen.
Schon nach der ersten halben Stunde schwirrt einem der Kopf vor lauter »Mittelstand«, »Leistungsträgern« und »Frühaufstehern«, »Zukunftsinvestitionen« und »nachhaltigem Wachstum«, »Wir« und »Gemeinsamkeit«, »Stärke« und »Kraft«, »Ludwig Erhard« und »sozialer Marktwirtschaft«. Zum Glück kann man alles nachlesen im 63 Seiten dicken Wahlprogramm.
Darin ist zum Beispiel zu lesen, dass »das Fehlen eines soliden Ordnungsrahmens« und »individuelle Verantwortungslosigkeit« maßgeblich schuld an der Krise sind, also nichts, aber auch gar nichts, was mit der »sozialen Marktwirtschaft« oder der CDU zu tun hätte, die sich »an den Prinzipien des ›ehrbaren Kaufmanns‹ orientiert«. Das soll der Rest der Welt endlich einsehen! Von »Arbeit für alle« ist die Rede – das klingt nicht so verbissen wie »Vollbeschäftigung«, soll aber wohl dasselbe bedeuten und ebenso möglich sein wie die »Haushaltskonsolidierung«. Beides hatte man ja quasi schon geschafft, legen CDU und CSU nahe, doch dann kam die Krise über Deutschland wie ein herber Schicksalsschlag aus heiterem Himmel. Deswegen macht man so weiter wie bisher, was die Arbeitsplätze angeht, und pumpt schnell noch eine halbe Billion hinein, bevor die »Schuldenbremse« in Kraft tritt.
Da die Atomkraft »ein vorerst unverzichtbarer Teil in einem ausgewogenen Energiemix« ist, werden nach den Plänen der CDU/CSU die Laufzeiten der »sicheren deutschen« AKW verlängert. Wer meint, das nütze bloß den Energiekonzernen, irrt, soll doch »der größte Teil des zusätzlich generierten Gewinns« dazu genutzt werden, zu »Energieeffizienz« und erneuerbaren Energien zu forschen. Nur die Störenfriede von Greenpeace vor der Kongresshalle mit ihrem trojanischen Pferd und dem Slogan »Wer Merkel wählt, wählt Atomkraft« wollen das nicht einsehen.

Weil Steuererhöhungen grundsätzlich nicht so beliebt sind und ihre Ankündigung den Unionsparteien bei der vorigen Bundestagswahl geschadet haben soll, versucht man es diesmal mit der Ankündigung von Steuersenkungen. Das glau­ben zwar, Umfragen zufolge, lediglich fünf Prozent der Deutschen, während zwei Drittel sogar fest mit Steuererhöhungen rechnen, aber vielleicht sind damit ja dennoch ein paar Stimmen zu gewinnen.
Ansonsten finden sich viele wohlklingende Absichtserklärungen im Programm und viel Altbekanntes: die »privilegierte Partnerschaft« mit der Türkei, das Betreuungsgeld, der »Nationale Integrationsplan«, das »Nationale Freiheits- und Einheitsdenkmal« sowie das Vorhaben, »Graffiti-Schmierereien« und anderen »Verbrechen« mit dem »verstärkten Einsatz von Videokameras« Einhalt gebieten zu wollen. Dass klare Worte gänz­lich fehlen würden, wäre eine Lüge. So steht im Programm mehr als deutlich, dass man sich beim »deutschen Asylkompromiss« nicht von der EU reinreden lassen will. Oder das: »Ausländer müssen bereits bei einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung ausgewiesen werden können.«
Zwischen den recht zackig abgehaltenen Foren und der Rede Angela Merkels ist noch der Vorsitzende der CSU, Horst Seehofer, dran. Für ihn scheint inhaltlich nichts Relevantes übrig geblieben zu sein. So obliegt es ihm, mit Witzchen und flotten Sprüchen für Stimmung zu sorgen. »Irren ist menschlich. Immer irren ist sozialdemokratisch«, sagt er, und der Saal tobt. Er beschwört den Kampfgeist der Konservativen, dass einem angst und bange wird (»Gibt es etwas Schöneres, als jetzt wieder zu marschieren?«), die Einigkeit von CSU und CDU (»Wir sind so verschmolzen seit gestern, dass ich nur noch von einer Partei spreche«) und huldigt der Kanzlerin. Schier aus dem Häuschen gerät das Klatschpublikum und der Saal erbebt, als er sagt: »Wir brauchen keinen Kandidaten. Wir haben eine Kanzlerin.« Und für die räumt er kurz darauf vorzeitig das Feld.

Angela Merkel redet von der »Liebe zu unserer Hei­mat«, die aus dem Programm spreche, und zählt in einer zermürbenden Passage Details über die »Zukunftsprojekte« der Unionsparteien auf. Vor allem aber macht sie noch einmal klar, dass Deutsch­land zur Krise kam wie die Jungfrau zum Kinde. »Wenn die soziale Marktwirtschaft international verankert gewesen wäre, hätte es diese Krise nicht gegeben«, sagt sie und kündigt an, das Erbe Erhardts zum »Exportschlager« zu machen. Sie erhält tosenden Beifall, und die Klatscher erheben sich pflichtgemäß von den Stühlen. Ein besonders fachmännischer Journalist auf der voll­gestopften Pressetribüne stoppt die Zeit, wie lange geklatscht und gejohlt wird, weiß man doch, dass dieses Ritual von ebenso großer Bedeutung ist wie die Vorhänge am Ende der Theatervorstellung. Das Ergebnis scheint ihn zufrieden zu stimmen.
Zum krönenden Abschluss des Kongresses ohne Diskussion und Widerworte hat auch die Truppe in Orange noch ihren Auftritt: Sie vergrößert den Chor auf der Bühne und macht ihn schön bunt, als alle zusammen die Nationalhymne schmettern. Dann ist das Ereignis endlich überstanden, »Angie« von den Stones ertönt, und es gibt Kartoffelsuppe und Quiches.