Über das Badengehen

Badespaß mit den Schnappschildkröten

Baden ist kein Vergnügen, sondern so abenteuerlich wie eine Mutprobe im »Dschungelcamp«.

Manche Sätze hören sich, einmal ausgesprochen, eher harmlos an. »Lass uns baden gehen« ist so einer, der vordergründig viel Spaß, Abwechslung und Entspannung verspricht, in Wirklichkeit aber jede Menge grauseliges Zeug beinhaltet.
Ein großes Problem am Badengehen ist beispielsweise das Wasser. Denn selbst, wenn eshauptsächlich weder aus Algen noch aus Chlor besteht, ist da immer noch die Sache mit der Temperatur. Soll heißen: Es ist kalt, und zwar so kalt, dass es eigentlich nur bei Außentemperaturen ab 35 Grad im Schatten als betretbar deklariert werden kann. Eigentlich, denn, so viel hat man ja doch immerhin gelernt: Hinterher wird man doch feststellen, dass es gar nicht so schlimm und eigentlich sogar sehr erfrischend gewesen ist, dieses Bad.
Bis man so weit ist, muss allerdings das Problem des Hineinkommens geregelt werden. Ist keine vertrauenswürdige Wespe in der Nähe, die einen garantiert bis in die Mitte des Sees jagt, muss man das alles selber machen. Falls man zu den Leuten gehört, die kaltes Wasser am Bauch ganz abgrundtief ekelhaft finden, bedeutet das zunächst: sich ordentlich anziehen, selbst dann, wenn man sich eigentlich an einem FKK-Strand befindet. Und sich dann im See oder Meer eben wieder ausziehen, was zwar ziemlich doof aussieht, aber auf solche Kleinigkeiten kann man nun wirklich keine Rücksicht nehmen, wenn die Alternative im Tod durch Kälteschock besteht.
Rückwärts ins Wasser zu gehen, ist in solchen Fällen zwar auch ein guter Tipp, aber nur wenig probat. Denn man möchte ja doch lieber umwerfend aussehen, wenn man sich ins Wasser begibt, irgendwie wie die Venus von Milo oder wenigstens wie Topmodel Adriana Lima. Oder zumindest nicht wie jemand, der Angst vor kaltem Wasser hat.
Vordergründig sind Wasserrutschen beispielsweise eine prima Möglichkeit, in den See zu kommen. Wenn man älter als fünf ist, muss man jedoch ein ausgesprochener Verdrängungskünstler sein, um überhaupt auch nur auf die Idee zu kommen, so ein Ding zu benutzen. Nicht nur, weil es in aller Regel nur wenig verlockend ist, über wacklige, rutschige Treppenstufen auf ein Ding zu klettern, das bereits dann erkennbar ins Wackeln gerät, wenn eine vollkommen normalgewichtige Gruppe kleiner Jungs ganz oben auf der Plattform mit viel Geschrei und Schubsen die Sache mit dem Erst-Rutsch-Recht klärt. Nein, so eine durchschnittliche Wasserrutsche – also ein immer irgendwie selbstgebastelt aussehendes Konstrukt ohne erkennbares Tüv-Siegel – legt sich auch ganz gern gemeinsam mit ihren Benutzern in die Kurve, was nicht wirklich vertrauenerweckend aussieht. Und sich manchmal zusätzlich auch nicht so anhört.
Ein weiteres Problem ist die Beschaffenheit der Bahn, die man unbedingt vor dem ersten Rutsch abklären sollte. Sieht die Lauffläche ein wenig abgeätzt aus? Dann sind die Chancen nicht schlecht, dass Generationen von Fünfjährigen sie vor lauter Freude über die rasante Fahrt mit Pipi besprenkelt haben, was zwar einerseits für den durchaus guten Eventcharakter des Dings spricht, andererseits aber natürlich sehr ernsthafte Hygienefragen aufwirft.
Ist die Bahn dagegen leidlich blank poliert, sollte man sie trotzdem nicht vollkommen gedankenlos für okay befinden, sondern sich darüber im Klaren sein, worüber man dann – vor allem, wenn es sich um ein nur sehr unregelmäßig gründlich gereinigt wirkendes Holzgerät handelt – rutschen wird. Ist man bereit, auf den hinterlassenen Hautschichten derjenigen tapferen Menschen dahinzugleiten, die aus dem zweifellos splittrigen Teil in zähen, jahrelang andauernden Rutschereien eine wunderbar glatte Fläche machten?
Handelt es sich bei der Rutsche dagegen um eines dieser hochmodernen, ergonomisch geformten Dinger, die, mindestens zehn Meter hoch, neben einer Vielzahl von Kurven auch ausgesprochene High-Speed-Streckenabschnitte bieten, ist die Ausgangsfrage dagegen relativ leicht zu beantworten: Glaubt man, dass man die Benutzung überleben wird?
Dabei ist eine Wasserrutsche natürlich, wie gesagt, einer der elegantesten Wege, ins Wasser zu gelangen. Zumal da man, wenn man nicht gerade panisch schreiend und sich verzweifelt an den Rändern festzuklammern versuchend oder einfach nur doof ins Wasser plumpsend unten ankommt, bei der Landung eigentlich immer eine leidlich gute Figur macht.
Ganz anders sieht es aus, wenn man die traditonelle Methode, ein Gewässer zu betreten, wählt. Denn natürlich lauern vor dem und im Wasser jede Menge Gefahren, weswegen es keine gute Idee ist, sich einfach so fröhlich hineinzuwerfen. Hin und wieder werden nämlich beispielsweise Schnappschildkröten in Badeseen ausgesetzt, und nur, weil am präferierten Tümpel bislang noch keine aufgetaucht ist, sollte man nicht automatisch davon ausgehen, dass auch wirklich keine da ist. Schnappschildkröten sind nämlich äußerst böse und fressen Zehen. Oder beißen sie nur ab, was im Endeffekt allerdings nun wirklich keinen großen Unterschied ausmacht.
Neben Schnappschildkröten muss man natürlich auch noch auf viele weitere Bedrohungen für Zehen und Gesundheit achten. Insbesondere an Baggerseen, also diesen speziell für Jugendliche als Testgebiet für Sexualität-Ausprobieren und Alkoholauswirkungen-Erforschen entwickelten künstlichen Gewässern, hat man gute Chancen, statt in weichen Sand in Glassscherben, gebrauchte Kondome, Kotzepfützchen und halbgegessene Bratwürstchen zu treten – wohlgemerkt auf dem Weg ins Wasser. Ist man dann endlich eingetaucht, kann man allerdings keinesfalls entspannen: Im Wasser selber wohnen, jedenfalls wenn die dort ansässigen Schnappschildkröten genug Zehen zu fressen bekommen und deswegen ihren Job als Vertilger von Viechern nicht mehr sonderlich ernst nehmen, viele böse Tiere. Spitzschalige Muscheln zum Beispiel, bissige Fische, glitschige, ganz bestimmt hochgiftige Würmer und Käfer, zum Beispiel. Und dazu noch jede Menge hinterlistige Menschen – an dieser Stelle sollen die Stichwörter »hinterrücks nassspritzen« und »anschleichen und untertauchen« genügen.
Wenn nach ungefähr einer Viertelstunde der große Badespaß beendet ist, droht auch schon weiteres Ungemach. Der Rückweg zum einladend daliegenden Badetuch beginnt. Dabei muss man nicht nur ständig aufpassen, wohin man tritt, sondern auch, dass man keinesfalls auf andere Leute tropft, außer, man möchte von den Nadines dieser Welt und ihren Kumpels Atze und Stulle lautstark zurechtgewiesen werden. Da man in aller Regel aber diese Nadines nicht näher anschauen möchte – außer man hat das Proseminar »Der weiße Stringtanga und seine Bedeutung für Personen ohne Schulabschluss« belegt –, steht man nun vor einer fast unlösbaren Aufgabe: Einerseits muss man das Ziel grob im Auge behalten, andererseits auf am Boden wartende Schnappschildkröten achten und gleichzeitig jeden weißen Tanga in der näheren Umgebung erspähen und großräumig umgehen.
Ist das alles ohne größere Zwischenfälle geschafft, kann man mitnichten entspannt dahinsinken und es sich auf dem großen bunten Handtuch gemütlich machen. Irgendeine Wespe hat nämlich immer irgendwas missverstanden und glaubt nicht nur, dass Frottee essbar ist, sondern auch, dass der nasse Mensch ihr Territorium widerrechtlich okkupiert hat und deswegen bestraft gehört. Oder fand das Ins-Wasser-Jage-Spiel so lustig, dass man es gleich nochmal spielen könnte.
Wenn es sich dann noch plötzlich links vom Handtuch ein weißer Tanga mit viel männlicher Begleitung und jeder Menge Bratwürstchen im Gepäck gemütlich macht, ist es höchste Zeit, nach Hause zu gehen. Wobei man beim Einpacken auch wieder sehr vorsichtig sein sollte, denn möglicherweise hat ja auch eine Schnappschildkröte entschieden, dass es Zeit für einen Ortswechsel ist und dass es besser ist, in einer Badetasche von im übrigen höchst lecker aussehenden Fingern getragen zu werden als zu Fuß zu gehen.