Das transatlantische Rüstungsvorhaben »Meads« steht vor dem Aus

Der Nächstbereich geht vor

Das Flugabwehrsystem Meads galt lange Zeit als überaus wichtiges transatlantisches Rüstungsvorhaben. Doch die US-amerikanische und die deutsche Regierung haben mittlerweile andere Pläne, die den Bedürfnissen ihrer Armeen eher entsprechen.

Das Luftverteidigungssystem »Meads« (Medium Extended Air Defense System) sei das »einzige hervorstechende transatlantische Rüstungskooperationsprojekt zwischen den USA und Europa (Deutschland, Italien)« und deshalb von »enormer politischer Bedeutung«. Das ließ der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bernd Siebert, Mitte vergangener Woche in einer Pressemitteilung verbreiten. Siebert war erzürnt über die Berichterstattung mehrerer bundesdeutscher Medien. Diese hatten geschrieben, Meads stehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kurz vor dem Scheitern. Wer die »Verantwortung der USA für die Sicherheit Europas« wünsche, sagte hingegen Siebert, solle »nicht leichtfertig von einem möglichen Ausstieg aus diesem Projekt sprechen«. Zudem seien in dieses »seit Februar 1995 erhebliches politisches Kapital, fundierter mili­tärischer Sachverstand und technisches Know-how investiert« worden.
Der Anlass zur derzeitigen Diskussion ist eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung, in der Meads heftig kritisiert wird. Das System sei primär dazu geeignet, »Kampfflugzeuge, Hubschrauber, Marschflugkörper, taktisch-ballistische Flugkörper der Reichweitenklasse bis 1 000 Kilometer sowie unbemannte Trägersysteme und Abstandswaffen abzuwehren«, biete aber »keinen Schutz gegen die tatsächlichen Bedrohungen, denen deutsche Soldaten bei Auslandseinsätzen ausgesetzt sind, nämlich Minen, einfache Mörser und Raketen mit geringer Reichweite«, heißt es in der Anfrage. Außerdem seien schon 2005, als die damalige rot-grüne Bundesregierung die Entwicklung von Meads beschlossen habe, die Schätzungen über die Kosten »weit auseinander« gegangen; während diese offiziell mit 3,84 Milliarden Euro beziffert würden, spreche etwa die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung von zehn bis zwölf Milliarden Euro, so die FDP-Fraktion.

Bereits 2005 waren ähnliche Einwände gegen Meads erhoben worden. Um diese zu widerlegen, hatte die damalige Bundesregierung mehrere Gutachten in Auftrag gegeben, die auch prompt zu den gewünschten Ergebnissen führten. So prognostizierte etwa Joachim Krause, der Leiter des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, ohne Meads werde »eine möglicherweise gefährliche Lücke im Bereich des Schutzes deutscher (und mit ihnen zusammenarbeitender ausländischer) Soldaten bei Interventionen zur Friedenssicherung oder Friedenserzwingung entstehen«. Die Deutsche Gesellschaft für Auswär­tige Politik (DGAP) wies zudem darauf hin, dass Meads auch dem Schutz deutschen Territoriums zugute komme: Es gebe »klare Indikatoren« dafür, dass »terroristische Vereinigungen« planten, »Flugkörper« auf »zu Waffenträgern modifizierten Frachtschiffen« vor die deutschen Küsten zu schaffen, hieß es.
Besonders setzte sich damals Thomas Enders für Meads ein, ein Vorstandsmitglied des deutsch-europäischen Rüstungskonzerns EADS, der an dem Vorhaben maßgeblich beteiligt ist. Durch die Entwicklung des Flugabwehrsystems und die damit verbundene »Förderung transatlantischer Zusammenarbeit« verschaffe sich Deutschland »Anerkennung und Einfluss« innerhalb der Nato und erhöhe damit seinen »außenpolitischen Handlungsspielraum«, sagte der Manager. Zugleich ermögliche Meads der »europäischen wehrtechnischen Industrie«, den »Anschluss an das Innovationstempo der Amerikaner zu halten«, führte Enders weiter aus. Durch Meads würden die USA »dazu bewogen, wesentliche Hindernisse für eine weitergehende Rüstungskooperation aus dem Weg zu schaffen« – und das, obwohl selbst die britische Regierung, der »engste europäische Partner der USA«, in der Vergangenheit mehrfach öffentlich über die »Kooperationsunwilligkeit der Amerikaner« geklagt habe.

Mit dem angemahnten Technologietransfer steht es jedoch offenbar nicht zum Besten, folgt man den derzeitigen Ausführungen der FDP-Bundestagsfraktion. »Abweichend von den vereinbarten Nutzerforderungen«, so heißt es, beabsichtige die US-Armee, das im Rahmen von Meads »tri­lateral zu entwickelnde Führungs- und Waffeneinsatzsystem« durch das »rein US-amerikanische ›Battlefield Management System‹ zu ersetzen« und darüber hinaus das Gesamtvorhaben bis August 2010 »in ein US-geführtes Programm zu überführen«. Dazu passend äußerte Rüdiger Wolf, Staatssekretär für Rüstungsfragen im Bundesverteidigungsministerium, auf Spiegel online die Hoffnung, »dass US-Verteidigungsminister Robert Gates sich gegen die US-Army wenden und bald deren europa-feindlichen Kurs korrigieren werde« – andernfalls sei Meads »tot«.
Die Bundesregierung scheint sich deshalb auch schon vorsorglich mit alternativen Rüstungsvorhaben zu befassen. Der FDP zufolge ist geplant, ein »nationales System zur Flugabwehr (SysFla) zu entwickeln und zu beschaffen«: »SysFla soll den Schutz von stationären Objekten und hochmobilen Kräften im Nahbereich (bis zehn Kilometer) und Nächstbereich (ca. drei Kilometer) über das gesamte operationelle Einsatzspektrum sicherstellen.« Insbesondere die »vorrangige Schaffung« eines »Nächstbereichsschutzes von Feldlagern« finde »breiten politischen Konsens«, so die Liberalen.
Äußerungen wie diese verweisen auf einen zentralen Aspekt der Auseinandersetzung um Meads: Nach Angaben der DGAP sollte das Flugabwehrsystem die »notwendige operative Flexi­bilität« im Rahmen eines umfassenden Nato-Interventionskrieges gewährleisten – Militärs sprechen in diesem Zusammenhang gerne vom »Gefecht mit verbundenen Waffen« oder von einer »vernetzten Operationsführung«, an der das Heer, die Luftwaffe und die Marine gleichermaßen beteiligt sind. In diesem Zusammenhang war geplant, Meads in bereits existierende Luftüberwachungs- und Luftabwehrsysteme wie Awacs zu integrieren und dadurch die »notwendige Inter­operabilität zwischen den Nato-Alliierten« herzustellen.
Dieses Ziel und das Flugabwehrsystem scheinen mittlerweile zugunsten dringender praktischer Erfordernisse zurückgestellt zu werden. So befasst sich denn auch die in Afghanistan eingesetzte Bundeswehr lieber mit Aufstandsbekämpfung und damit, ihre im Feindesland errichtete Infrastruktur bestmöglich gegen Angriffe abzusichern – koste es, was es wolle.