Über die Übernahme der Porsche AG durch VW

Der Porsche unter den Volkswagen

Die Übernahme der Porsche AG steht auch für den Niedergang der Unternehmerdynastien im modernen Kapitalismus.

»Der ist öffentlich hingerichtet worden«, dramatisierte der Betriebsratsvorsitzende Uwe Hück den Rücktritt von Wendelin Wiedeking als Vorstandsvorsitzender der Porsche AG. Ganz so, als stünde Exekutierten üblicherweise ein angenehmes Leben mit 50 Millionen Euro in der Tasche bevor. Tatsächlich hatte Wiedeking mit der von ihm anvisierten Übernahme des VW-Konzerns schlicht zu hoch gepokert und verloren.

Noch vor einem Jahr sah es so aus, als würde der Deal tatsächlich klappen. Das VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen bei dem Wolfsburger Autokonzern eine Sperrminorität sicherte, war drauf und dran, gekippt zu werden, und das Unternehmen der Familien Porsche und Piëch schien gute Chancen zu haben, den Vorzeigekonzern der deutschen Automobilindustrie unter seine Kontrolle bringen. Ferdinand Piëch, der VW bereits als Vorstandvorsitzender geleitet hatte und nun Aufsichtsratsvorsitzender ist, hätte damit einen jahrzehntelangen Traum der schwäbischen Unternehmerdynastie wahr gemacht.
Dann jedoch scheiterte der Versuch, das VW-Gesetz ersatzlos zu beseitigen und damit den Einfluss des Staats auf VW zurückzudrängen. Das Gesetz, das im Jahr 2007 wunschgemäß vom Europäischen Gerichtshof als marktverzerrend für unrechtmäßig erklärt worden war, wurde von der Bundesregierung in kaum veränderter Form neu verabschiedet. Damit aber war Wiedeking das zentrale Element seiner Übernahmestrategie abhanden gekommen. Er hatte geplant, Porsche 75 Prozent der Stimmrechte zu verschaffen und dann mit VW einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abzuschließen. Mit dem Zugriff auf die vollen Kassen der Wolfsburger hätten die Stuttgarter ihre Schulden aus dem Kauf der VW-Aktien tilgen können.
Als dann im März die wegen der Finanzkrise verunsicherten Banken beinahe einen Großkredit über zehn Milliarden Euro verweigert hätten und beträchtliche Liquiditätsengpässe bei Porsche sichtbar wurden, drehte VW den Spieß um. Damit begann Wiedekings Stuhl bedenklich zu wackeln.
Er musste gehen, weil weder das VW-Management noch die Aufsichtsräte auf Dauer mit ihm hätten zusammenarbeiten wollen. Zu herrisch war sein Auftreten in Wolfsburg, zu sehr wurde er zum Schluss bei VW, vom Konzernvorstand bis zur Betriebsratsführung, als Feind angesehen. Man konnte dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von VW, Bernd Osterloh, die Genugtuung deutlich anmerken, als er zum Rücktritt Wiedekings und seines Vertreters knapp zu Protokoll gab: »Wir respektieren diesen Schritt von Herrn Wiedeking und Herrn Härter. Jetzt konzentrieren wir uns darauf, ein industrielles und finanzielles Gesamtkonzept zu gestalten, das dem Wohle der Arbeitnehmer des Volkswagen-Konzerns und von Porsche dient.«

Immerhin wird Wiedeking der Abschied mit einer Abfindung von 50 Millionen Euro versüßt, der höchsten, die in Deutschland jemals gezahlt wurde. Obwohl der Beschenkte ankündigte, die Hälf­te davon spenden zu wollen, sorgte die Nachricht für große Empörung. Nicht zur Debatte stand die Zahlung des gesamten Betrages, auf den er, seinem großzügigen Vertrag entsprechend, rechtlich einen Anspruch gehabt hätte. Das wären 250 Millionen Euro gewesen, eine Summe, die selbst den bis zur Selbstverleugnung loyalen Betriebsratsvorsitzenden Uwe Hück erbleichen und ein wenig die Fassung verlieren ließ, wie kolportiert wurde.
Nach der am Donnerstag voriger Woche getroffenen Entscheidung der Aufsichtsräte von Porsche und Volkswagen soll durch eine schrittweise Beteiligung von Volkswagen an Porsche und die anschließende Verschmelzung der Porsche Holding SE mit der Volkswagen AG ein neuer Großkonzern entstehen. Die Familien Porsche und Piëch werden mit mehr als 50 Prozent der Aktien Mehrheitseigner des künftigen Konzerns. Danach folgt Niedersachsen mit 20 Prozent. Das Emirat Qatar soll zunächst 17 Prozent aus den Optionen von Porsche an VW erwerben.
Wer jetzt aber meint, der notorisch zerstrittene Familienclan der Porsche-Eigner habe zwar ein Bauernopfer bringen müssen, sich aber letztlich doch durchgesetzt, übersieht einen kleinen, aber wesentlichen Unterschied zum ursprünglichen Plan, VW zu übernehmen. Denn die Sperrminorität der niedersächsischen Landesregierung besteht weiter, und darüber hinaus wird man sich noch mit den bisher wenig bekannten Interessen der Investoren aus der Golf-Region beschäftigen müssen. Die Piëchs und Porsches haben sich durch die Fusion hinübergerettet in eine Konzernstruktur, in der sie weniger Einfluss haben werden als bisher, aber dafür mehr Sicherheit.

Der Abgang Wiedekings ist somit nicht zuletzt auch Ausdruck eines Modernisierungsschubs im deutschen Kapitalismus, welcher einer Auswirkung der Krise geschuldet ist: dem Niedergang der Eigentümerfamilien. Einige Tage vor Wiedekings erzwungenem Rücktritt hatten ihm bereits zwei Emissäre mitgeteilt, die Familien Porsche und Piëch seien entschlossen, die Zusammenarbeit mit ihm zu beenden. In welchem großen Konzern gibt es das noch, dass das Spitzenmanagement von Boten der Familienpatriarchen über seine Entlassung in Kenntnis gesetzt wird? Diese Eigentümerfamilien werden im neu entstehenden integrierten Konzern zwar vorerst ihr Duodezfürstentum, die Porsche Holding, behalten können, aber auf Konzernebene gewaltig an Einfluss verlieren und sich darüber hinaus auch noch mit den auf den Plan tretenden Investoren aus Qatar auseinandersetzen müssen.
Dieser Einflussverlust der Familienpatriarchen ließ sich in den vergangenen Monaten quer durch die deutsche Unternehmenslandschaft verfolgen. Das Scheitern der Schaefflers bei Continental war ebenso ein Beispiel dafür wie das Ende der Schickedanz-Dynastie im insolventen Konzern Karstadt-Quelle. Die Milliardärsfamilien haben abgewirtschaftet, verlassen nach und nach die Kommandobrücke und ziehen sich auf ihr Altenteil zurück, von Familien geführte Großunternehmen wird es in dieser Form wohl bald nicht mehr geben.
So scheint es auch der unvermeidliche »Autoexperte« Ferdinand Dudenhöffer von der Gesamthochschule Duisburg-Essen zu sehen, der, entgegen der kämpferischen Absichtserklärung bei Wiedekings Verabschiedung, die Eigenständigkeit Porsches innerhalb des gemeinsamen Unternehmens zu erhalten, der Berliner Zeitung zu Protokoll gab, Porsche werde lediglich als Marke übrigbleiben. Er sei sich sicher, dass Vertrieb und Teile der Entwicklung von VW übernommen würden, die Porsche-Bank in die VW-Bank integriert und die Produktion an VW-Standards angepasst werde. »In fünf Jahren wird es bei Porsche zehn bis 20 Prozent weniger Mitarbeiter geben.«

Der letzte, der Wiedeking noch treu zur Seite stand, war der Betriebsratsvorsitzende Hück, der zugleich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist. Er ist neben Wolfgang Porsche einer der letzten, die davon reden, die Eigenständigkeit Porsches zu verteidigen. Und Hück war es auch, der im vorigen Jahr, als alles noch ganz anders aussah, zusammen mit Wiedeking die Machtverteilung im künftigen Aufsichtsrat des Unternehmens so regeln wollte, dass die Porsche-Betriebsräte genauso viele Sitze und Stimmen erhalten hätten wie die Arbeitnehmervertreter der VW-Werke, die zehnmal so viele Beschäftigte vertreten. »Wenn ich ein Haus kaufe, ziehe ich nicht in den Keller, sondern ins Penthouse«, hatte er damals getönt und sich damit den Zorn der VW-Betriebsräte eingehandelt. Nun steht der Zuf­fenhausener Betriebsratsfürst ohne Land da.
Kämpferisch sei er, heißt es über ihn immer wieder, und das Gleiche ließe sich auch über die mächtigen VW-Betriebsräte sagen. Sie kämpfen jedoch vor allem für die einzelnen Produktionsstätten und Unternehmen, denen sie in Nibelungentreue verbunden sind. Die IG Metall, der all diese wackeren Standortverteidiger angehören, hat sich alles in allem bei der Fusion nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Denn eine Gewerkschaft, die nicht in der Lage ist, jenseits korporatistischer Firmen- und Standortlogik eine unabhängige Position gegenüber dem Kapital einzunehmen, wird auf die eine oder andere Weise immer auf der Verliererseite stehen.