Die Bundeswehr im Krieg

Heilsarmee im Kampfeinsatz

Mit ihrer Strategie der bewaffneten Entwicklungshilfe ist die Bundeswehr gescheitert. Jetzt wird geschossen. Die Debatte, ob dies nun Krieg sei oder nicht, verdeckt die allgemeine Ratlosigkeit der alliierten Afghanistan-Politik.

Die Bundeswehr schießt in Afghanistan. Das ist neu – oder zumindest ist neu, dass öffentlich darüber geredet wird. Schließlich hatten die verantwortlichen Politiker über Jahre alles dafür getan, den deutschen Einsatz im Norden des Landes als eine Art bewaffnete Entwicklungshilfe darzustellen, bei der es in erster Linie darum gehe, die Infrastruktur des Landes wieder aufzubauen, Kinder in die Schule zu geleiten und alten Damen über die Straße zu helfen: Heilsarmee Bundeswehr.
Schießen taten angeblich immer nur die anderen, vor allem natürlich die Amerikaner. Wenn dabei Zivilisten getötet wurden, sparten deutsche Politiker bekanntlich nicht an öffentlicher Kritik. Lange herrschte in Deutschland folglich auch der Eindruck, die Unterschiede zwischen dem Vorgehen der Bundeswehr und dem der US-Armee lägen nicht etwa an der Situation, mit der sie in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu kämpfen hatten, sondern an ihren vermeintlich verschiedenen Einsatzkonzepten: die bewaffnete Absicherung des zivilen Wiederaufbaus bei den Deutschen, die Kriegsführung ohne Rücksicht auf zivile Verluste bei den Amerikanern. Lange redete die deutsche Politik sich und der Öffentlichkeit erfolgreich ein, die relative Ruhe um Kundus und Masar-i-Scharif sei dem vergleichsweise »zurückhaltenden Auftreten« der Bundeswehr geschuldet.
Diese Überzeugung gerät allerdings immer mehr ins Wanken, seit im vergangenen Jahr die Anschläge der Taliban auf die Bundeswehr trotz Zurückhaltung sukzessive alltäglich geworden sind. Inzwischen hat sich offenbar auch bei den deutschen Strategen die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Angriffe der Islamisten nicht einfach deshalb aufhören werden, weil man als Besatzungsmacht die Bevölkerung von seinen guten Absichten zu überzeugen versucht – dass man also, wenn man den Taliban das Land nicht einfach wieder überlassen will, am Ende vielleicht wirklich schießen muss. Die Beteiligung von 300 deutschen Soldaten an einer Offensive der afghanischen Regierungstruppen seit Mitte Juli, und vor allem die öffentliche Bekanntmachung dieser Beteiligung, ist dementsprechend auch als Eingeständnis der Bundesregierung zu verstehen, dass sie mit ihrem bisherigen Konzept gescheitert ist: Statt von Alphabetisierung und Straßenbau ist jetzt von Schützenpanzern die Rede, von 20-Millimeter-Maschinenkanonen und von Mörsergranaten, mit denen die Bundeswehr gegen die Taliban vorgehe.

Von den Medien wird dies jedoch nicht als Anzeichen für das Scheitern der bisherigen Strategie betrachtet. Vielmehr ist der Ton der Berichte und der Wortlaut der Kommentare nur selten nachdenklich, eher liest man zwischen den Zeilen ein wenig Euphorie heraus: Endlich geht es zur Sache, man darf wieder Kriegsberichterstattung betreiben: »Bundeswehr erobert Taliban-Hochburg« titelten etliche deutsche Medien vergangene Woche. Das eingeschliffene euphemistische Vokabular, mit dem die Medien die Bundeswehreinsätze bisher begleiteten, scheint auf einmal obsolet geworden zu sein. 1999, während des Nato-Angriffs auf Jugoslawien, wurde selbst noch das Bombardement von Flüchtlingstrecks verschämt eine »friedensschaffende Maßnahme« genannt – jetzt scheinen plötzlich alle, unabhängig von ihrer politischen Couleur, wild darauf zu sein, wieder von »Krieg« reden zu dürfen.
Etwa Winfried Nachtwei, der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, weil ihm die Soldaten am Hindukusch erzählt hätten, dass sie sich im Krieg befänden. Der Bild-Kommentator Georg Gafron, bei Springer ein Mann fürs Grobe, stellte fest: »Die Bundeswehr ist mit ihren Verbündeten im Krieg!« Wobei er freilich nicht das meinte, was er schrieb.
Noch vor wenigen Wochen wäre schon das Wort »Offensive« in Bezug auf die Bundeswehr kaum einem Politiker über die Lippen gekommen, geschweige denn einem Journalisten in den Text. Jetzt verkündet Die Welt bereits, deutsche Soldaten dürften endlich auch auf »flüchtende Feinde« schießen. Die Kategorie »Feind« hat es im Medienvokabular, mit dem über bundesdeutsche Militäreinsätze berichtet wird, bisher überhaupt nicht gegeben. Der einzige, der sich noch tapfer weigert, von Krieg zu sprechen, ist Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Er hält nach wie vor daran fest, die Bundeswehr befinde sich derzeit in einem »Stabilisierungseinsatz«, was die Süddeutsche Zeitung zum Spott veranlasste, einen Flugzeugabsturz würde der Minister vermutlich als »dynamischen Höhenverlust« bezeichnen.
Der Streit darüber, ob man das, was Krieg ist, nicht auch Krieg nennen sollte, verdeckt die allgemeine Ratlosigkeit, die sich in Sachen Afghanistan-Politik seit langem eingeschlichen hat. Symp­tomatisch ist die Aussage von Verteidigungs­minister Jung, man wolle nicht die westliche Demokratie nach Afghanistan tragen. Was will man dann? »Stabilisieren« und wieder aufbauen, sagt Jung, aber was heißt »stabil« in einem Land, das im wesentlichen von einem Haufen rivalisierender Warlords beherrscht wird und von Islamisten, die es als Gottes Auftrag betrachten, Frauen das Lesen zu verbieten? Zudem wird die Lage eben nicht stabiler, sondern seit Monaten immer bedrohlicher. Vor den Präsidentschaftswahlen ist nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die US-Armee in heftige Kämpfe verwickelt: Die Amerikaner erlitten Berichten zufolge die schwersten Verluste seit Beginn des Krieges; Taliban und Al-Qaida-Truppen in Afghanistan sollen sich auf ein gemeinsames Vorgehen unter Führung des alten Taliban-Führers und Bin-Laden-Schwiegersohns Mullah Omar verständigt haben.

Dem Westen scheint eine militärische Befriedung des Landes genauso wenig zu gelingen wie der Sowjetunion in den achtziger Jahren. Ein Abzug steht derzeit vor allem deshalb nicht zur Debatte, weil die USA immer noch auf vorzeigbare Erfolge gegen al-Qaida warten. Dies ist auch der Hintergrund der so genannten Afpak-Strategie, die die Bekämpfung der Islamisten in den paschtunischen Stammesgebieten zwischen Jalalabad in Afghanistan und Peschawar in Pakistan vorsieht – in jener Region, in der Bin Laden während der sowjetischen Besatzung seine ersten Ausbildungslager einrichtete und in der auch die Bergfestung Tora Bora liegt, aus der er während der amerikanischen Angriffe Ende 2001 entkam. Die Konzentration auf »Afpak« zeigt, dass Bin Laden und seine Anhänger nach wie vor der Hauptgrund für den Westen sind, den Afghanistan-Krieg fortzusetzen – auch wenn viele Linke dies für eine »Vernebelung schlichter imperialistischer Inter­essen« halten, wie es kürzlich im Neuen Deutschland hieß. Jene Linken würden einen Abzug der westlichen Truppen vermutlich auch als Unabhängigkeit des afghanischen Volkes bejubeln. Tatsächlich würde ein Abzug die Tragödie Afghanistans jedoch nicht beenden: An die Stelle der Besatzung träten wieder Bürgerkrieg und der Terror der Taliban, Steinigungen auf dem Fußballplatz eingeschlossen. Der Krieg, den die Bundeswehr jetzt auch nach öffentlichem Sprachgebrauch führt, mag für die Afghanen keine Lösung sein; Frieden aber scheint – auch und gerade ohne westliche Besatzer – nach wie vor unerreichbar.