Über die Konferenz »Europas Rechte und der Zweite Weltkrieg«

Rechts ist mehr als der Rand

Die Kritik am Extremismusbegriff beschäftigt nicht nur die Antifa-Bewegung. Auf einer Fachtagung des Alfried-Krupp-Wissenschaftskollegs diskutierten auch Wissenschaftler, ob der Extremismusbegriff rechte Tendenzen in Europa ausreichend beschreibt.

»Europas radikale Rechte und der Zweite Weltkrieg« – so lautete der Titel einer internationalen Fachtagung im Wissenschaftskolleg Greifswald. Anlässlich des 70. Jahrestags des deutschen Überfalls auf Polen diskutierten dort vom 8. bis 10. Juli Wissenschaftler aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Großbritannien, Ungarn, Polen und Israel über das Verhältnis rechtsradikaler Parteien zu ihren historischen Vorläufern sowie die unterschiedlichen Gedenkkulturen und Nachkriegsidentitäten der Nationen Europas.
Veranstalter der Tagung war das Greifswalder Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg, das maßgeblich von der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung finanziert wird. Diese verwaltet das Erbe des gleichnamigen Rüstungsindustriellen und SS-Mitglieds, der bei seinem Tod testamentarisch die Gründung einer Stiftung bestimmte, »die Ausdruck der dem Gemeinwohl verpflichteten Tradition des Hauses Krupp sein soll«. Die internationale Fachtagung, die das durch die Krupp-Stiftung finanzierte Wissenschaftskolleg Greifswald ausrichtete, stand offenbar nicht in der verheerenden Tradition des Hauses Krupp sie bezeugte vielmehr, dass das Wissenschaftskolleg Greifswald das Postulat wissenschaftlicher Unabhängigkeit erfreulicherweise ernst zu nehmen scheint. Passend zur Krupp-Stiftung wie auch zum Thema der Tagung schmückten Hunderte kleine Panzer den Hintergrund des Konferenzplakats.

Bei der Konferenz, an der mit Zeev Sternhell und Roger Griffin prominente Faschismus-Forscher teilnahmen, ging es neben den historischen Bezügen der rechten Bewegungen Europas auch um die aktuelle Europa-Politik rechter Parteien. Der rasche Zerfall der rechtsextremen Fraktion »Identität, Tradition, Souveränität« im Europa-Parlament vor zwei Jahren und die Frage, ob und wie nationalistische Parteien in Europa zusammenarbeiten können, hätten bei der Planung eine Rolle gespielt, so Agnieszka Pufelska vom wissenschaftlichen Leitungsteam der dreitägigen Konferenz.
Aber nicht alle Vortragenden hielten sich an den relativ eng gesteckten thematischen Rahmen. Die Bedeutung des Zweiten Weltkriegs für die jeweilige nationale Identität und dessen Thematisierung in Gedenkkultur und Geschichtspolitik wurden hauptsächlich in den Beiträgen zur Situation der Rechten in Osteuropa, insbesondere in Ungarn und Polen, beleuchtet. Der israelische Politikwissenschaftler Zeev Sternhell gab in seinem Eröffnungsvortrag dagegen einen ausholenden Überblick pber die historischen Wurzeln der »europäischen Katastrophe im 20. Jahrhundert«, die, so Sternhell, bereits im 18. Jahrhundert in der mit Herder auf den Plan tretenden Gegenaufklärung zu suchen seien. Für Sternhell, der durch seine Untersuchungen zur »Geburt der faschistischen Ideologie« bekannt wurde, ist dies kein rein akademisches Thema. Er sei sich nicht sicher, wie viel Extremismus und Nationalismus sich zur Zeit noch im politischen Mainstream versteckt hielten, bekannte der 74jährige in einem kurzen Statement. »Was wird in einer großen Krise passieren?«
Diese Sorge teilte auch der britische Faschismusforscher Roger Griffin, der davor warnte, sich zu sehr auf die extremen Ränder zu konzentrieren. Seiner Ansicht nach drohe eher aus der Mitte des politischen Spektrums Gefahr – möglicherweise in Gestalt eines »ethnokratischen Liberalismus«, für den nur »Einheimische« den vollen Schutz ihrer Menschenrechte genießen. Ulrich Bielefeld vom Hamburger Institut für Sozialforschung wies daraufhin, eine solche Entwicklung sei immer schon als eine Möglichkeit in der Demokratie angelegt.

Ungeachtet dieser grundsätzlichen Fragen arbeiteten sich andere Konferenzteilnehmer vornehmlich an rechtsextremen, rechtsradikalen oder rechtskonservativen Parteien und Bewegungen ab. Etwa Andreas Klärner, der die NPD und die British National Party (BNP) gegenüberstellte. Während sich letztere seit einiger Zeit um ein gemäßigtes Auftreten nach dem Vorbild des französischen Front National bemühe, gebe es bei der NPD gleichzeitig eine taktische Mäßigung und eine Radikalisierung, was auf den Einfluss des in Deutschland stärkeren Bewegungsflügels zurückzuführen sei. Die BNP konnte bei der jüngsten Europawahl zwei Mandate gewinnen. Die NPD, deren stellvertretender Vorsitzender Jürgen Rieger sich derzeit um die Etablierung eines »Kraft durch Freude«-Museums in Wolfsburg bemüht, sieht Klärner hingegen geschwächt: »Mit einem KdF-Wagen kann man keine Wahlen gewinnen.«
Gilbert Casasus widmete sich den gemeinsamen Themen von Schweizer Volkspartei (SVP) und Front National, Andreas Umland dem Einfluss des russischen Faschisten Alexander Dugin und dessen »neo-eurasischer« Ideologie.
Michael Minkenberg gab einen Überblick über die Entwicklung der radikalen Rechten in Europa und den USA seit dem Zweiten Weltkrieg. Dem Plädoyer für die Abschaffung des Extremismusbegriffs, für den sich zuvor der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann mit Hinweis auf dessen Prägung durch den Verfassungsschutz stark gemacht hatte, mochte sich der in New York lehrende Politikwissenschaftler nicht anschließen. »Da überschätzen Sie den Einfluss des deutschen Verfassungsschutzes auf die Wissenschaftsgemeinde«, so Minkenberg. Schließlich würde der Extremismusbegriff auch von Kollegen in Italien, Frankreich und den USA verwendet.

Dass sich die Zuordnung einer Partei oder Bewegung zur extremen Rechten in Deutschland an deren Verfassungsfeindlichkeit orientiere, sei jedoch ein Problem, gab Minkenberg zu. Aus diesem Grund bevorzuge er selbst den Begriff Rechtsradikalismus. Dieser ließe es eher zu, politische Entwicklungsprozesse in den Blick zu nehmen. Erfolg hätten rechtsradikale Parteien heute nur dort, wo sie sich strategisch und theoretisch modernisierte und vom historischen Faschismus verabschiedete. Denn Faschismus sei nur eine mögliche Variante von Rechtsextremismus und keinesfalls mit diesem gleichzusetzen.
Für Wippermann ist die Bezeichnung »radikale Rechte« dagegen eine Verharmlosung. Angesichts von Pogromen gegen Roma und der Legalisierung bewaffneter Bürgerwehren in Italien fragt der Berliner Historiker: »Warum soll man da nicht von Faschismus sprechen?« Der zum Organisationsteam der Konferenz gehörende Historiker Volker Weiß wies darauf hin, dass es zumindest in Deutschland fließende Übergänge zwischen der modernisierten »Neuen Rechten« und dem sich selbst in die Tradition des Nationalsozialismus stellenden Strang dieser Bewegung gebe. Eine Scheidelinie sei möglicherweise das Verhältnis zum Islamismus. Während sich das Milieu um die Junge Freiheit oder das Institut für Staatspolitik als Verteidiger der kulturellen Werte des Westens sehe und daher Stellung gegen den Islam beziehe, gebe es bei der NPD auch positive Bezüge auf den politischen Islam – als potentiellen Bündnispartner gegen Israel und die USA.
Dieser Frage ging auch die Soziologin Claudia Globisch in ihren Ausführungen zum Verhältnis von Ethnopluralismus und Antisemitismus nach. Ob letztgenannter eher als Ideologie bzw. Semantik zu analysieren oder als eine bestimmte Praxis zu betrachten sei, stand im Zentrum der Beiträge von Klaus Holz und Detlev Claussen. Michael Wirz thematisierte die Rolle des Antiamerikanismus.
Auf diese Weise wurde ein weites Feld von rechten Organisationsformen und rechten Ideologien diskutiert. Den roten Faden bildete, obwohl nicht im Konferenztitel erwähnt, der Faschismusbegriff. Dass sich die Veranstaltung durchaus auch als eine wissenschaftspolitische Intervention verstehe, bekannte Volker Weiß für die Organisatoren der Tagung, die sich alle im Villigster Forschungsforum zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus engagieren.

Ob sich alle behandelten Phänomene mit Hilfe des Faschismusbegriffs sinnvoll analysieren lassen, wurde daher in den drei letzten Beiträgen der Konferenz diskutiert. Nachdem der Historiker Axel Schildt ausgeführt hatte, warum es der Faschismusbegriff vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs in der deutschen Geschichtswissenschaft lange schwer gehabt habe, wandte sich Agnieszka Pufelska dessen Verwendung in Osteuropa nach 1945 zu. Dort werde er tendenziell mit dem deutschen Nationalsozialismus gleichgesetzt, während die eigenen faschistischen Regime der Vorkriegszeit zunehmend verklärt würden.
An Roger Griffin war es schließlich, seine berühmte Definition des »generischen Faschismus« und den heuristischen Nutzen dieses Ansatzes in einer rasanten und stellenweise selbstironischen Powerpoint-Präsentation zu verteidigen. Ähnlich wie Sternhell betrachtet er den Faschismus als eine eigenständige Ideologie, die als Reaktion auf die negativen Seiten der Modernisierung entstanden und auch nach 1945 nicht verschwunden sei.
Griffin warb deshalb dafür, die Beschäftigung mit diesem Thema nicht als rein akademische Frage anzusehen. Denn im »Kampf verschiedener Lebensweisen« sei nicht garantiert, dass der »liberale Humanismus« den Sieg davontrage. Dieser Appell stand in einem sichtbaren Kon­trast zu den eher nüchternen Vorträgen der meisten anderen Teilnehmer. Obwohl sich Griffin für den akademischen Kontext vergleichsweise stark politisch positionierte, gab es am Ende kaum Kritik an seinen Thesen. Etwas ins Stocken geriet Griffin nur bei einer Frage aus dem Auditorium: »Wie sieht es eigentlich mit dem Antifaschismus aus?« In seinem Land sei diese Bewegung, abgesehen von trotzkistischen Grüppchen, immer stark von Menschen aus dem Umfeld der Labour-Partei geprägt gewesen, so der Brite. »Aber inzwischen gibt es bei uns kaum noch Sozialisten.«