Über den Jam-Comic »Sonnenfinsternis«

Vier Tage Ferien

Als wär’s ein französischer Quasselklassiker: Im Comic »Sonnenfinsternis« streiten sich sechs Freunde in einem Ferienhaus in der Provinz über die Liebe, die Lebensentwürfe und die verpassten Gelegenheiten.

Sonnenfinsternis« ist ein Jam-Comic. Über acht Monate traf sich das Autorenduo Jim und Fane alias Thierry Terrasson und Stéphane Deteindre wöchentlich für dieses Projekt und arbeitete sich zu gleichen Teilen durch die Story. Jeder der beiden war dabei für drei Figuren verantwortlich. Wichtigste Bedingung für die Zusammenarbeit war die Bereitschaft, emotional »alles offenzulegen«. Das klingt zunächst mehr nach Selbsthilfegruppe als nach Comic-Produktion, aber das Ergebnis spricht für sich. »Sonnenfinsternis« ist eine Bildergeschichte über gescheiterte Liebeskonzepte, passiv-aggressive Freundschaften und verpasste Lebens­chancen, und man merkt der Geschichte an, wie viel authentisches Material darin verarbeitet wurde.
Der Plot erinnert an den klassischen französischen Sommerfilm: Sechs Freunde in den Mittdreißigern nehmen eine Sonnenfinsternis zum Anlass, Paris zu verlassen und in die südfranzösische Provinz zu reisen, wo man gemeinsam vier Tage in einem Ferienhaus mit­einander verbringen wird. Der Kurzurlaub gerät jedoch zunehmend zu einer Bewährungsprobe für die Freundschaft. Mitten in der trügerischen Ferien­idylle steigen die Konflikte aus der Vergangenheit wieder hoch, außerdem hat jeder seine Probleme aus dem Alltagsleben mit im Urlaubsgepäck. Für Jean Pierre ist dieser Urlaub vor allem Anlass, seiner Ehe zu entfliehen und sich, wenn auch ängstlich und unsicher, mit der 19jährigen Chatbekanntschaft Jan zu vergnügen, die wiederum wesentlich ernstere Absichten hegt, aber diese nicht artikuliert. Zu Jean Pierre gesellt sich Dominique, sein egozentrischeres Pendant und der Initiator der Reise. Beide sind, trotz eines doch gelegentlich recht unterkühlt zynischen Verhältnisses, Verbündete im Geiste. Dominique erhofft die Absolution für eine Jahre zurückliegende Affäre, indem er seine Frau Isabelle und seine Geliebte Helena notgedrungen in diesem Domizil ohne Fluchtweg miteinander konfrontiert, in der Hoffnung, die einstigen Freundinnen könnten sich so einander wieder annähern. Komplettiert wird das Sextett von Hubert, dem Kasper und Quotenschwulen der Gruppe, dessen Single-Nöten niemand die gebotene Aufmerksamkeit schenkt.
Das Konfliktpotenzial ist also nicht gering, und es ist den pointiert eingesetzten stilistischen Finessen und humoristischen Brechungen zu verdanken, dass diese Chronik einer kollektiven Entfremdung nicht zu hermetisch wirkt. Abgründe tun sich auf, und doch gibt es am Ende so etwas wie eine höchst vergnügliche Katharsis, wenn sich alle sechs am Tisch eines skurrilen Restaurants den kompromittierenden Fragen der noch skurrileren Sylvaine-Alain stellen müssen, der Küchenchefin und Herzheilerin in Personalunion, einer gelassen sarkastischen Psychoanalytikerin. Danach jedenfalls haben sich alle Rollenmuster verflüchtigt. Das zaghafte Happy End ist trügerisch, die Charaktere sind gebrochen. Es ist der Geschichte wirklich hoch anzurechnen, dass sie Tragik, Reflexion und sommerliche Unbeschwertheit spielerisch vereint und dennoch eine ziemlich düstere Meditation über eine ganze Menge Mechanismen ist, die die Liebe zu erdulden hat.

Fane & Jim: Sonnenfinsternis. Splitter-Verlag, Bielefeld 2009, 287 Seiten, 24,80 Euro