Aufregung um Flatrate-Bordelle

Wenn Schwaben nicht sparen wollen

Die Empörung über so genannte Flatrate-Bordelle ist groß. Die Prostituierten und ihre tatsächlichen Arbeitsbedingungen spielen in der Diskussion keine Rolle.

Für gewöhnlich versteht man unter dem Schutz der Menschenwürde die Garantie unverletzlicher Freiheitsrechte. Die Menschenwürde einer Frau dagegen bedarf ganz besonderer Pflege. Sie zu schützen, heißt, die Frau vor unzüchtigen Sexu­alpraktiken zu bewahren – zur Not gegen ihren erklärten Willen. Dies ist das Grundmotiv der derzeitigen Debatte um die so genannten Flatrate-Bordelle. Seit sich die Bordellkette »Pussy-Club« Anfang Juni mit der Eröffnung einer Filiale in Fellbach bei Stuttgart in die schwäbische Provinz vorwagte und ihre Werbung nicht wie üblich im Anzeigenteil der Lokalzeitung versteckte, sondern am hellichten Tag auf einem Geländewagen durchs Örtchen kutschierte, tobt der Streit in den Medien und der Öffentlichkeit.
Bereits kurz vor der Eröffnung agitierten die Stuttgarter Nachrichten unter dem Titel »Behörden und Polizei machtlos« gegen den Club. »Die Frauen sind bei dieser Flatrate komplett unfrei, sie werden entwürdigt«, teilte ein mit dem Geschäftsmodell offenbar bestens vertrauter Polizeibeamter mit, Prostituierte, die so arbeiteten, müssten »innerlich tot und schmerzfrei« sein. Kurze Zeit später gründete sich eine Bürgerinitiative, die notorischen Frauenorganisationen stürzten sich auf das Thema, baden-württembergische Politiker aller Parteien forderten ein Verbot von »Flatrate-Sex«.
Das Flatrate-Modell des Pussy-Clubs sieht vor, dass die Kunden gegen Zahlung eines Eintrittspreises von 70 bis 100 Euro neben Unterhaltung, Sauna, Essen und Getränken auch die sexuellen Dienste der anwesenden Frauen nach Belieben in Anspruch nehmen können. Anders als zunächst vielfach behauptet, steht es den Prostituierten frei, Gäste abzulehnen. Einträge in diversen Freier­foren zeugen davon, dass die Frauen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Auch bestimmen die Prostituierten selbst, welche sexuellen Praktiken sie anbieten.
Von vornherein interessierten sich die Kritiker aber nicht sonderlich für die Tatsachen. So sagte Katrin Altpeter, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Flatrate-Bordelle seien »eine moderne Form der Sklaverei«. Die Vorsitzende des evangelischen Landesfrauenrats, Angelika Klingel, urteilte: »Discount-Sex ist nichts anderes als eine Form von Vergewaltigung.« Christoph Palm (CDU), Oberbürgermeister von Fellbach, äußerte sich auf Spiegel online: »Dieses Flatrate-Konzept halten wir für menschenverachtend, weil es die Frauen, die dort arbeiten, ganz klar ausbeutet. Wenn Sie sich vorstellen, dass siebzig Frauen dort arbeiten und an normalen Tagen dort mehrere hundert Männer zugange sind, dann brauche ich eigentlich nicht mehr erzählen.«
Störend ist nur, wenn die Frauen, um deren Menschenwürde es angeblich geht, sich selbst zu Wort melden. Sie seien „froh (…), dass es diesen Club gibt«, schrieben die Beschäftigten des Pussy-Clubs in einem offenen Brief an Palm und lehnten die Bevormundung durch ihre selbst ernannten Retter ab. So hieß es dort weiter: »Herr Bürgermeister, Sie haben keine Ahnung, wie dieses Geschäft funktioniert. Sie haben weder mit uns gesprochen, Sie wissen nicht, wer wir sind, wie wir arbeiten, wie wir leben, was wir verdienen. (…) Sie vertreten (…) nicht unsere Interessen – behaupten aber, genau dies zu tun.«

Tanja Regensburg, Sexarbeiterin und Moderatorin der Internetseite »sexworker.at«, des größten deutschsprachigen Sexarbeiter-Forums, besuchte den Pussy-Club in Fellbach und sprach mit einigen Frauen. Diese sagten, dass der Club ihnen bessere Bedingungen biete als die sonst üblichen Laufhäuser und FKK-Clubs. Sie erhielten ein garantiertes Einkommen von 120 Euro pro Arbeitstag. Weil ihre Bezahlung nicht von der Anzahl der Kunden abhänge, stünden die Frauen nicht unter dem Druck, jeden Gast annehmen oder miteinander konkurrieren zu müssen. Regensburg, die selbst langjährige Erfahrung in verschiedenen Bereichen der Prostitution hat, kann die Kritik daher nicht nachvollziehen: »Als ich damals angefangen habe, wäre ich froh über so ein Angebot gewesen.«
Manche lassen sich von den Einsprüchen der störrischen Schutzbefohlenen nicht beirren, wie etwa Claudia Robbe vom Stuttgarter Fraueninformationszentrum. Dieses hat einen offenen Brief unterzeichnet, in dem ein Verbot von Flatrate-Bordellen gefordert wird. Robbe gibt im Gespräch mit der Jungle World zwar zu, dass die Arbeitsbedingungen im Pussy-Club besser seien als in manch anderen Bereichen der Prostitution. Aber die Sexualpraktiken, die dort vollzogen würden, seien doch »sehr schlecht und unwürdig«. Cornelia Filter von »Solidarity for Women in Distress«, einer Organisation, die von einer deutschen Ordensschwester gegründet wurde und sich dem Kampf gegen Prostitution verschrieben hat, plädierte in der ZDF-Sendung »Mona Lisa« für die Bevormundung der Frauen: »Diese jungen Frauen aus Osteuropa, die wissen überhaupt nicht, welche Rechte sie haben. Sie sind oft nicht aufgeklärt, und deswegen las­sen sie letztlich alles mit sich machen. Und da sie nicht wissen, was wirkliche Freiwilligkeit heißt, sagen sie dann meinetwegen: Ich mache das freiwillig.« Unbestritten ist, dass es vielen der Frauen an Möglichkeiten mangelt, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber dieses Problem dürfte kaum dadurch zu lösen sein, dass man den Frauen auch noch das Recht abspricht, zwischen den vorhandenen Alternativen zu wählen.

Am vorvergangenen Sonntag wurden in einer gemeinsamen Aktion von Polizei, Staatsanwaltschaften, Ordnungsämtern und Gesundheitsbehörden Razzien in allen vier Filialen des Pussy-Clubs durchgeführt. Über 700 Polizeibeamte waren beteiligt. Vier Mitglieder der Geschäftsleitung wurden festgenommen, außerdem wurden die beiden baden-württembergischen Clubs wegen hygienischer Mängel vorerst geschlossen. Allerdings mussten die Behörden schnell einräumen, dass sich der zunächst geäußerte Verdacht auf einen Fall von Zwangsprostitution als unbegründet erwiesen hatte. Dafür führte ein Gast Cannabis mit sich.
Als Grund für die Razzien wurde der Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug und illegale Beschäftigung genannt. In den Pussy-Clubs arbeiten die Frauen gemäß dem Vertrag als selbständige Subunternehmerinnen. Staatsanwaltschaft und Polizei gehen aber von einer Scheinselbständigkeit aus, weil die Frauen kein »unternehmerisches Risiko« getragen hätten. Die Frauen seien daher als Angestellte sozialversicherungspflichtig. Allerdings widersprechen etwa die Hurenorganisation Doña Carmen und Emilija Mitrovic, eine Prostitutionsexpertin von Verdi, dieser Einschätzung.

Von dieser Frage hängt auch die Legalität der Erwerbstätigkeit der überwiegend rumänischen Frauen ab. Denn während diese als Selbständige in Deutschland arbeiten dürfen, benötigen sie als Angestellte nach der Übergangsbestimmung für die neuen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien eine Genehmigung, die sie als Prostituierte freilich kaum erhalten dürften. Das Bürgeramt Heidelberg hat prompt die Initiative ergriffen und die Rumäninnen in einem »Anhörungsschreiben« aufgefordert, sich »der Stadt Heidelberg gegenüber zu äußern«. Sie sollen nachweisen, dass sie entsprechend den Vorschriften für ihren Lebensunterhalt aufkommen können. Die Stadt also schon einmal Druck aus, während die Ermittlungen noch laufen.
Unterdessen hat der Pussy-Club den Flatrate-Tarif vorübergehend abgeschafft. Sexuelle Dienste müssen nun mit der jeweiligen Frau abgerechnet werden. Dass dies für die Prostituierten vorteilhaft ist, darf bezweifelt werden. Die Kritiker des »Flatrate-Sex« dagegen können zufrieden sein, den vermeintlichen Schutz der Menschenwürde gegen den Widerstand der Prostituierten durchgesetzt zu haben.