Die Amtseinführung Ahmadinejads und die andauernden Proteste im Iran

Der Schauprozess von Teheran

Anders als europäische Diplomaten boykottierten die Reformislamisten die Amtseinführung Ahmadinejads, der auch wachsende Probleme mit seinen Verbündeten hat. Die Proteste dauern an.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Zerfall des iranischen Establishments Verwirrung stiftet. Eine tragfähige Sprachregelung zu den Geschehnissen im Iran zu finden, scheint auch für westliche Regierungen schlicht unmöglich zu sein. Robert Gibbs, der Sprecher des US-Präsidenten Barack Obama, musste sich korrigieren. Am Tag der Amtseinführung bezeichnete er Mahmoud Ahmadinejad als »gewählten Präsidenten«, tags darauf folgte der Hinweis, ob die Wahlen fair verlaufen seien, müssten die Iraner selbst entscheiden.
Wenigstens haben die USA keinen diplomatischen Vertreter im Iran. Schweden schickte seinen Botschafter sowohl zur Bestätigung Ahmadine­jads durch den religiösen Führer Ali Khamenei am Montag der vergangenen Woche wie zur offiziellen Amtseinführung zwei Tage später. Da Schweden derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, wurde damit fast so etwas wie die offizielle europäische Anerkennung angedeutet. Deutschland wiederum sah sich selbst nur auf »niederrangiger Ebene als Beobachter vertreten«. Die Bundesregierung hatte sich plötzlich und überraschend an die Spitze des internationalen Protestes gegen das iranische Regime gesetzt, der Forderung des Außenministers Frank-Walter Steinmeier nach Freilassung der politischen Gefangenen folgte umgehend die Botschaft der Kanzlerin Angela Merkel, sie werde Ahmadinejad das gängige Glückwunschtelegramm verweigern.

Während die Glückwunschtelegramme aus den USA und Europa ausblieben, schickte Großbritannien dann doch seinen stellvertretenden Botschafter zu den Feierlichkeiten, der sich bei der Bestätigung Ahmadinejads brav die inszenierten Sprechchöre der anwesenden iranischen Notabeln anhörte: »Nieder mit Großbritannien.« Was die liberale britische Opposition zu der Bemerkung veranlasste, die Entscheidung der Regierung, einen so hohen diplomatischen Vertreter zu Ahmadinejads Feierstunde zu schicken, sei »bizarr« gewesen. Während man auf Nachfrage im Auswärtigen Amt jenseits aller Realität behauptet, es habe zur »Frage der Teilnahme an der Vereidigung eine enge Abstimmung innerhalb der EU« gegeben, sprachen sich Abgeordnete aller deutschen Parteien im Europa-Parlament, mit notorischer Ausnahme der »Linken«, unisosno gegen die Anwesenheit des schwedischen Botschafters bei der Inauguration aus.
Die Präsenz europäischer Diplomaten wäre nur halb so peinlich gewesen, wenn nicht sogar die systeminterne Opposition der »Islamischen Republik« ihre Weigerung so deutlich gemacht hätte, Ahmadinejad anzuerkennen. Der ehemalige Präsident Hashemi Rafsanjani war nicht da, die Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mousavi und Mehdi Karrubi auch nicht, selbst der konservative Mohsen Rezai fehlte. Ein Enkel Khomeinis war in den Irak gefahren, um nicht anwesend sein zu müssen, Khatami als ehemaliger Präsident las nicht, wie es Usus gewesen wäre, die Ernennungsurkunde vor, weil er auch nicht da war. Wichtige Mitglieder des Expertenrats blieben der Feier fern, bei der Vereidigung im Parlament fehlte fast die ganze Fraktion der so genannten Reformer, und von den wenigen Reformern, die doch anwesend waren, ging der Großteil, als Ahmadinejad anfing, seine Rede zu halten.
Dem Staatsakt war am Samstag die Eröffnung eines lange angekündigten Prozesses gegen eine erste Gruppe von Demonstranten vorausgegangen. Immerhin erfüllte der Auftakt alle Erwartungen, die man an einen ordentlichen Schauprozess stellen kann. Die Angeklagten hatten während ihrer wochenlangen Haft keinen Kontakt zur Außenwelt, auch nicht zu Anwälten, die Prominenten wurden in schlafanzugähnlicher Gefängniskleidung und barfuß in Plastikschlappen vorgeführt, die weniger Prominenten bloß in Handschellen. Die exklusive Berichterstattung aus dem Saal war der staatlichen Fars News Agency übertragen, selbst andere staatliche gelenkte Medien waren nicht zugelassen.

Die Anklageschrift, vom berüchtigten Teheraner Oberstaatsanwalt Said Mortasawi verfasst, der im Zusammenhang mit dem Foltertod der kanadisch-iranischen Journalistin Zahra Kazemi im Jahr 2003 eine gewisse internationale Prominenz erlangte, las sich mit ihren Ausführungen über das wunderbare Wahlergebnis und die bösartigen Verschwörungen des Auslands wie ein Leitartikel der Hardlinerpresse. Die Mühe einer Beweisführung machte man sich erst gar nicht, schließlich hatten die Angeklagten alles Mögliche bereits »gestanden«.
Besondere Aufmerksamkeit fand dabei Mohammed Ali Abtahi, ehemals Vizepräsident unter Mohammed Khatami, zuletzt Berater Karrubis und ein eifriger Blogger. Der Mullah Abtahi, den man – eine besonders feinsinnige Herabwürdigung – ohne den obligatorischen Turban präsentierte, hatte in der Haft nicht nur extrem abgenommen, sondern offenbar auch seine Anschauungen grundlegend geändert. Es habe keinen Wahlbetrug gegeben, sagte er nun, die Entscheidungen des religiösen Führers seien überaus vorausschauend und weise, Rafsanjani und Kha­tami hätten sich gegenseitig in einem Eid geschworen, Mousavi bei einer velvet revolution zu unterstützen. Gerüchte über die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten an Abtahi machten umgehend die Runde, seine Familie wies darauf hin, dass seine Aussage vor Gericht seinen früher frei geäußerten Ansichten diametral widerspreche.
Über diesen ganzen vom Regime inszenierten Ereignissen ist die Frage nach den derzeitigen Protesten und Demonstrationen in den Hintergrund getreten. Fast ist man geneigt zu sagen, das Regime sei zwischenzeitlich so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass es den Druck der Straße gar nicht mehr zu benötigen schien, um die Selbstdemontage voranzubringen.
Die Protestformen haben sich mittlerweile grundlegend geändert. Den Massendemonstrationen der ersten Wochen folgen nun in periodischen Abständen größere Kundgebungen, zu denen Mousavi, unterstützt von Karrubi, »offiziell« aufruft, wobei die Absicht deutlich wird, religiöse »legale« Anlässe zu nutzen, bei denen die Symbolsprache der »Islamischen Republik« bzw. der Revolution von 1979 strikt beachtet wird.
Neben diesen von den Oppositionellen aus dem Establishment initiierten Protesten gibt es die ohne zentralen Aufruf oder feste Organisationsstruktur stattfindenden, mehr oder minder spontanen Auseinandersetzungen mit der allgegenwärtigen Staatsgewalt. Selbst der staatlich gelenkte Nachrichtenkanal Press TV sprach von mehreren tausend Sicherheitskräften, die während der Vereidigung das Viertel rund um das Parlament abgeriegelt hatten. Trotzdem kam es zu Protesten. Viele Videos der letzten Zeit zeigen kleinere und größere Menschenansammlungen, die sich auf U-Bahnrolltreppen oder irgendwo in der Stadt plötzlich mitten im Verkehrsgewühl formieren und Parolen skandieren, während die Autofahrer loshupen. Bezeichnend auch die gefilmte Reaktion der berüchtigten Schläger der Bassij-Milizen, die nun in Grüppchen aufgeteilt verhindern wollen, dass irgendjemand auf einem Bürgersteig auch nur stehen bleibt. Zu diesen dezentralen Protestformen kommen der nur anhand von Indizien nachweisbare Boykott von staatlichen Telekommunikationsleistungen, das gezielte Überlasten des Stromnetzes zu gegebenen Anlässen und die nächtlichen Versammlungen, bei denen Parolen von den Dächern gerufen werden.

Dieser Wandel der Protestformen erweckt weithin den Eindruck, als sei wieder Ruhe eingekehrt, als sei der Versuch der Menschen, im Iran eine gewaltige Veränderung herbeizuführen, bereits niedergeschlagen worden. Dabei mehren sich in Wahrheit eher die Anzeichen dafür, dass die Proteste den »Reformern« entgleiten und sich gegen das islamistische System wenden könnten. Bei spontanen Menschenansammlungen in den Straßen, wie im Anschluss an die Trauerkundgebungen für die getöteten Demonstranten Ende Juli dokumentiert, beginnen die Protestierenden plötzlich zu skandieren: »Esteghlal, Azadi, Jomhuriye Irani«. Üblicherweise endet die Parole mit »Jomhuriye Eslami« (Islamische Republik), nun wird nach Unabhängigkeit und Freiheit eine iranische, das heißt eine säkulare Republik gefordert.
Es gibt keine fernsehträchtige »grüne Welle« mehr, aber andauernde Proteste gegen ein Regime, das bereits den nächsten Akt der Selbstdemontage vorbereitet. Bis Anfang September muss das Kabinett Ahmadinejads ernannt und vom Parlament gebilligt worden sein. Das hat seinen Preis. Der religiöse Führer Khamenei hat Ahmadinejad bei dessen offizieller Bestätigung nicht nur den Kuss und die Umarmung verweigert, er hat ihm auch deutlich gesagt, dass er auf dem »richtigen Pfad« bleiben müsse. Der Parlamentssprecher Ali Larijani, die wohl opportunistischste Figur im ganzen Establishment, hat bei der Vereidigungszeremonie, der er vorsaß, darauf hingewiesen, dass das Parlament Vorschläge für ein neues Kabinett habe.
Weitere ähnliche öffentliche Äußerungen aus dem Kreis der zur Stützung Ahmadinejads bereiten »Prinzipialisten« im Parlament sind gefolgt. Sie schwanken zwischen Drohung und Bitte. Ahmadinejad hatte den Posten des ersten Vizepräsidenten mit Esfandiar Rahim Mashai besetzt, der den Vorzug hat, dank seiner Schwiegertochter zur Familie zu gehören, bei den Verbündeten des Präsidenten jedoch verhasst ist. Eine, vorsichtig ausgedrückt, eigenwillige Entscheidung, die Ahmadinejad revidieren musste. Kurz vor der offenen Konfrontation mit Khamenei trat der Intimus des Präsidenten zurück, diese Episode und die folgende Entlassung des Geheimdienstministers Gholamhossein Mohseni Ejeies, eines Getreuen Khameneis, hat die »Prin­zipalisten« arg verschreckt.
Die um Khamenei gruppierte Fraktion des ­Establishments will einen gefügigen und sich konziliant gebenden Ahmadinejad, auf dessen Kabinettsbesetzung sie maßgeblich Einfluss nehmen kann. In Anbetracht der anstehenden Konfrontation mit Rafsanjani und den Reformern, vom Konflikt mit den vielen Menschen, die dieses System überhaupt satt haben, ganz zu schweigen, wäre für den »Wahlsieger« Ahmadinejad eine solche Verständigung mit den Anhängern des religiösen Führeres, die bei entsprechender Teilhabe bereit sind, ihn zu unterstützen, eine rationale Entscheidung. Aber unter den Hardlinern geht es derzeit nicht immer um Rationalität.